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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 5
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Das Buch für Alle.

Heft 3.

128

„Nein, nein, Papa," unterbrach sie ihn hastig,
„wir verlassen dich nie. Wir bleiben bei dir, solange
dn uns erlaubst, nm dich zu sein. Ich habe mit
Marcel schon alles besprochen. Wir trennen nns
nicht. Auch erfährt niemand unseren Namen. Wir
lassen nns im Ausland trauen, und niemand wird
wissen, wenn wir wieder hierher zurückkommen, wer
die Gattin Marcel Delongs ist."
Einige Sekunden stand der Graf keuchend da, den
wehmütig-traurigen Blick bald ans sein Kind, bald
ans Herrn Delong gerichtet. Dann gab er dem
Sänger nut einer müden Resignation die Hand
und sagte: „Sie wollen bei mir ansharren, Herr
Delong?"
„Bis zum Ende, Herr Graf," antwortete dieser
rasch.
„Ich wußte ja wohl, daß dieser Augenblick ein-
mal kommen mußte und habe ihn immer gefürchtet.

Da? Ki'ncl al; Sötze.

Cin Mcistinoort an alle Cltsrn. Von l)r. kcins Zckmillkunr.

s würde wohl mit Recht Zweifel an der Ver-
nünftigkeit oder wenigstens an der fachlichen
Einsicht eines Menschen erwecken, wollte er erst
noch daran gehen, die innige Liebe zu den Kindern
als etwas höchst berechtigtes hinzustellen oder sie gar
als unsere Pflicht zu erklären. Das sind Dinge, die
so tief in der Natur und in unserem Bewußtsein
sitzen, daß wir daran gar nicht zweifeln können. Eher
läßt sich schon über ein etwaiges Gegenteil sprechen.
Mangel an Kindesliebe, ja selbst nur an Interesse
überhaupt für Kinder erweckt den Eindruck des Un-

(Nacküruck verboten.)
Dienens ist es, wenn die Mutter hinter den Kindern,
die eben mit dem Spielen fertig sind, die liegen-
gelassenen Spielsachen aufränmt, um deu Kindern
einen Gefallen zu thun, statt diese zur Ordnung an-
znhalten. Nun aber giebt es neben diesem eigentlichen
Verziehen noch einen besonderen Fall des Uebertreibens
der Liebe zu den Kindern. Man sehe einmal zu, wie
oft, namentlich, wenn Gäste ins Haus gekommen sind,
die Erwachsenen sich um das Kind scharen, es be-
wundern, über jede noch so belanglose Aenßerung
von ihm halbtoll vor Entzücken werden, sich gegen-



venkmal kriedncks de; Suchen auk der Plantage in Potsdam. Ilack einer ptiotograptne von Seils L liunhe, kokpliotograplien in Potsdam. <5. 121)

Aber ich habe meiner Tochter für die treue Liebe,
mit der sie bei mir ausgehalteu, versprochen, der
Wahl ihres Herzens nicht zu widersprechen. Ich
weiß, daß sie auf keinen Unwürdigen gefallen sein
kann. Statt eines Verlustes werden Sie in das
Leben eines Unglücklichen einen Geivinn bringen.
Gott segne Sie beide dasür!"
Damit legte er die Hand seiner Tochter sanft
in die des Sängers, der feine Brant mit einem
Jnbelrus umarmte.
Noch dreimal trat „Monsieur Merlin" als Rigo-
letto auf der Bühne des Herrn Ruffini auf, immer
in gleicher Weise vom lauten Beifall des Publikums
überschüttet, aber niemand hat erfahren, wer sich
eigentlich, hinter diesem Pseudonrpn verbarg. Im
Mai des folgenden Jahres, als Herr Delong in Ur-
laub ging, reiste er nach dem Süden, und als er im
Herbst nach Paris zurückkehrte, war er verheiratet.
Alle Welt war von der zierlichen Schönheit und
Grazie, von der hinreißenden Munterkeit und Frische
der Fran Eveline Delong entzückt, aber über ihre
Familie herrschte das tiefste Schweigen. Von „Mon-
sieur Merlin" hat niemand wieder etwas gehört.

natürlichen. Perversen, Unheimlichen. Und wir
glauben, man könnte hier sehr weit gehen und sogar
wesentliche Unrichtigkeiten im Betrachten und Be-
handeln der Kinder, insbesondere einen Mangel an
Gefühl für das natürliche Niveau der Kindheit,
als ein Vergehen gegen die Anforderungen der Natur
in nns und in den Kindern hinstellen.
Sitzen nun also Interesse und Liebe für die Kin-
der derart tief in uns, so drängt sich nns die Frage
ans, ob nicht gefährliche Uebertreibnngen dieser Ge-
fühle nahe liegen und häufig vorkommen. In der
That kommen Uebertreibnngen der Liebe, insbesondere
ihre affektartigen Steigerungen, ihre Exaltationen
und Explosionen, häufig vor und sind als „Affen-
liebe" wohl bekannt. Ein Zusammentreffen dieser
Erscheinung mit erzieherischem Ungeschick ist es
meistens, was das vielberufene Verziehen der Kinder
bewirkt. Läßt sich eine naturgemäße, uormale Liebe
zu den Kindern ganz wohl mit Strenge in der Er-
ziehung verbinden, so verträgt die unnatürliche Affen-
liebe diese Verbindung nicht; sie ist schlaff und treibt
den Eigenwillen des Kindes in ein stetiges Wachs-
tum hinein. Zweifach läßt sich deu Kindern dienen:
als ihr Bedienter zu ihrem Schaden, als ihr Lenker
zu ihrem Nutzen. Ein Beispiel jenes schädlichen

seitig in verzerrendem Ton die Worte des Kindes
wiederholen und durch all dies das Kind zwingen,
sich allmählich immer mehr für die Sonne und die
anderen für die um diese Sonne kreisenden Planeten
zu halten, zumal wenn cs der einzige Sprößling ist.
Auf solche Weise wird dem Kind eine Wichtigkeit und
Bedeutung gegeben, die es thatsächlich nicht besitzt.
Gleichwie irgend ein Bildnis nicht nur als Abbild
einer Gottheit, sondern als diese selber ansgefaßt
und so zum Götzen gemacht wird: ebenso behandeln
wir oft das Kind, wir machen es zum Götzen, wir
beten es an, opfern ihm, harren seines Winkes, sind
seine gehorsamen, fügsamen Untergebenen.
Da thut irgend ein Kind eine Frage, eine Aenße-
rung, eine Behauptung, bei der sowohl von unserem
pädagogischen Interesse wie auch von dem thatsäch-
lichen Bedürfnis des Kindes ans die Dringlichkeit
vorliegt, ihm zn antworten, es zn berichtigen, an das
von ihm Gesagte weitere Belehrungen anzuknüpfcn
und dergleichen mehr. Statt nun derartiges zn thnn,
fahren die Erwachsenen verzückt aufeinander los
und plärren sich ihre Bewunderung vor: wie köstlich,
wie reizend, wie naiv, wie weise n. s. w. dieser herr-
liche Ausspruch gewesen sei. Der Leser möge nicht
glauben, daß der Verfasser den unvergleichbaren Reiz,
 
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