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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 7
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Das Buch für Alle.

Heft 7.

die ihr völlig unerwartet kam, daß sie vorwurfsvoll
den Kopf schüttelte. „Wenn das Betty gehört
hätte!"
Er strich ungeduldig seinen Bart. „Glaubst du,
sie weiß nicht, wie ich über sie denke? Kind, du!"
„Ich wußte nicht —" sagte sie verwirrt und
schritt die Stufen hinunter, welche in den duftenden
Garten führten.
So also hatte er sie täuschen können!
Ihr war so beklommen zu Mut, daß sie wie im
Traum einherschritt. Hatte sie eine Binde vor den
Angen verloren, daß ihr nun erst die Wahrheit kund
ward? Wenn eine Frau wie Betty Trachberg sich
derart mißachtet wußte, war's ihr dann zu ver-
denken, daß sie von jeher Abneigung gegen Maximilian
empfand?
Von dieser Stande an suchte Marie Antouie in
ihres Gatten Worten zu lesen. Den naiven Kinder-
glauben an das Gesagte streifte sie fortan langsam
ab. Dabei gewann aber ihre Sehnsucht uach seelischer
Vereinigung nichts, ini Gegenteil, je hingebender sie
ihm anhing, desto deutlicher fühlte sie die Schranke,
welche sie von jedem Einblick in das Geistesleben
ihres Gatten fernhielt.
Die Baronin, welche ihrer Tochter Not nie be-
merkt hatte, schenkte auch jetzt der zunehmenden Un-
ruhe der jungen Fran keine Beachtung. Sie war
froh, in Holdenberg nach Herzenswunsch die Vor-
kehrungen zu dem großen Ereignis treffen zu können,
welches dem alten Stamm einen neuen Sproß zu-
fügen sollte. In diesem Sinne lachte sie die Schwer-
mutsanwandlungen der jungen Fran siegreich fort
und lenkte ihre Gedanken auf das noch unverstandene
Glück der Zukunft. . . .
Als der erste Schnee seine Flocken lautlos durch
die rauhe Luft sandte und das Schloß in weiße
Schleier hüllte, umarmte Marie Antonie mit uner-
meßlicher Wonne ihren neugeborenen Sohn.
Ein zartes und schwächliches Kind war's, das sic
ihrem erfreuten Gatten schenkte, der mit einem Ge-
fühl hoher Befriedigung das Vorhandensein eines
Erben und Stammhalters begrüßte.
An sich machte ihm das kleine, unruhige Geschöpf-
chen wenig Spaß. Alles, was dran und drum hing,
ihm die kümmerliche Lebenskraft zu erhalten, scheuchte
ihn viel mehr davon, als daß es ihn hätte anziehen
können. Da Marie Antonie aber die Wiege nicht
von ihrer Seite ließ, überglücklich schon im Anschauen
des Kleinen, empfand sie die Abwesenheit ihres Gatten
schwer und bemühte sich, ihn durch verdoppelte Liebens-
würdigkeit an ihr Zimmer zu fesseln.
„Sieh ihn nur au, deu süßen Schatz," flüsterte sie,
den kleinen Schläfer in die Höhe hebend. „Das ist
mein — unser Sohn! Da — nimm ihn! Jetzt
weint er nicht. Aber du mußt ihn auch sehr lieb
haben, so wie ich, und noch mehr, lieber als mich,
als die ganze, ganze Welt."
Sie plauderte so süß, so voll Innigkeit, indes
die heilige Mutterthräne in ihren dunklen Angen
leuchtete.
„Ich habe euch beide gleich lieb, Närrchen," sagte
Trachberg, die Notwendigkeit einer solchen Forderung
nicht einsehend. Wenn der Knabe erst größer war,
würde er einen liebevollen und gewissenhaften Vater
in ihm besitzen. Diese Aussicht wog jedenfalls schwerer
als eine überschwenglich eingeforderte Zärtlichkeit.
„Aber du findest ihn doch auch bildschön?" fuhr
sie dringend fort, ihn für ihren Liebling zu begeistern.
„Tante Tina nennt ihn einen Seraph. Du auch?"
„Ich bedaure," scherzte er, ihr lockiges Haar strei-
chelnd, „bis jetzt die Bekanntschaft der Seraphe noch
nicht gemacht zu haben, sonst würde ich in der Lage
sein, einen Vergleich zu zieheu. Von Tante Tina
bin ich überzeugt, daß sie ihre Neugier in alles steckt,
auch in die Personalakten der Seraphe."
Die junge Mutter lachte, indem sie ihren Sohn
küßte.
„Willst du ihm denn noch keinen Kuß geben?"
fragte sie schüchtern und mit sichtlicher Betrübnis.
Dem Grafen war das rotgelbe Gesichtchen zwi-
schen den Spitzen, Rüschen nnd Schleifen so wenig
anziehend zum Küssen, daß er scherzend verneinte.
„Das Vorrecht lasse ich vorläufig noch dir!" —
Am Tanstage sah Marie Antonie ihren Vater
wieder. Herr v. Debellaire, auf seinen Enkel um
so stolzer, als derselbe ja auch seinen Namen fort-
führen sollte — der Graf hatte zuletzt achselzuckend
zugesagt, die Einwilligung des Landesherrn hierzu
einzuholen — genoß in vollen Zügen das Glück
seiner Tochter, indem er sich nicht minder in ihrer
Mutterfrcude sonnte.
Er sand Marie Antonie gewachsen und körperlich
schöner entwickelt. Insonderheit erschien ihm der
Ausdruck ihres Gesichts verändert. Wenn er auch
einen feinen Leidenszug, der ihre Züge veredelte, auf
ihr noch schwankendes Befinden schob und den ernsten
Blick der Augen auf ihre neue Würde, so mußte er-
sieh doch gestehen, daß das verflossene Jahr ein außer-

gewöhnlich einflußreiches für das Innenleben seiner
Tochter geworden war.
Das tadellose Verhalten des Grafen seiner Gattin
gegenüber entsprach den Erwartungen des Vikomte
vollkommen. Nicht minder auch erfreute ihn die ruhige
Haltung, mit welcher Marie Antonie die ihr ge-
widmete liebenswürdige Hochachtung in Empfang
nahm.
Wohl hatte sie sehnsüchtig des Momentes geharrt,
da eine Frage ihres Vaters diese korrekte Haltung
wie eine Maske beiseite warf und ihr rastlos for-
derndes, in Zweifel verfallendes Herz enthüllte. Aber
er that diese erlösende Frage nicht. Und so schwieg
sie ans Liebe zu ihm. Auch war sie zu stolz gewor-
den, freiwillig die Schranke zwischen sich nnd Maxi-
milian einzugestehen, welche niederzureißen ihr die
Macht fehlte.
Von kindlichen: Ehrgeiz angestachelt, glaubte sic
durch eine Ansammlung von mancherlei Kenntnissen
ihrem Gatten vollwertiger zu erscheinen, nnd so saß
sie manche Stunde lesend nnd lernend in ihren: Ge-
mach oder schrieb alle Empfindungen und Gedanken
des Herzens in einen: Tagebuch nieder. Dadurch
rückte sie jedoch der nüchternen Anschauungsweise des
Grafen nicht näher, sondern nur noch ferner.
Seit die Errichtung einer in großartigem Maß-
stab aufgeführtcn Zuckerfabrik auf einem seiner Neben-
güter beschlossen war, legte Trachberg wenig Wert
darauf, außer zu den Mahlzeiten, sich in Holdenberg
aufzuhalten. Marie Antonie empfand diese ewigen
Trennungen anss schmerzlichste.
„Erkläre nur doch, bitte, diese Blätter hier," sagte
sie eines Tages ungeduldig, als sic ihren Gatten
abermals in das Stadium ihn: vorgelegter Zeich-
nungen vertieft sand. „Laß mich wenigstens wissen,
was dich so ganz in Anspruch nimmt und von mir
abzieht."
„Ist man schon wieder so neugierig?" fragte er
ii: scherzenden: To::.
Das Blut schoß ihr in die Wangen. „Daß ich
nicht neugierig bin, weißt du," sagte sie leise, aber
:nit tiefer Ueberzeugung. „Aber du weißt nicht, wie
weh du mir mit solchen: Verdacht thust."
„Eine schöne Evatochter sollte wirklich gar nicht
neugierig sein? Das wäre!" fuhr er in demselben
Neckton fort.
„Es handelt sich nicht darum, ob ich's bin oder
nicht," fiel sie ihn: mit Herzklopfen ins Wort, aber der
angehäufte Brandstoff in ihrer Brust hatte seinen
Zündfunken empfangen, „es handelt sich darinn, ob du
ein Recht hast, mich immer und überall wie ein Kind
beiseite zu schieben, statt mir so viel Interesse nnd
Verständnis —" sie brach ab. Die kühle Atmosphäre,
in welcher ihre Jugendliebe jedes Anflodern ver-
lernen sollte, übte wieder ihre Macht. „Vergieb!"
Er lächelte ruhig. „Daß dn eine kleine explo-
dierende Dame bist nut einen: reizenden Trohkopf?
Gern! Also, was wollen wir diesmal durchsetzen?"
Sie schwieg einen Moment.
„Ich will wissen," sagte sie dann, die dunklen
Augen voll zu ihm aufschlagend, „weshalb du nicht
aufhörst, nur den Mut zu nehmen, an mich selbst
zu glauben."
„Phrasen, Kind!" erwiderte er lächelnd. „Mut
läßt sich nichts unterschlagen. Außerdem erinnere ich
mich nicht, einmal gegen diesen Mut ins Feld ge-
zogen zu sein."
„Aber ich sage dir," flüsterte Marie Antonie nut
zitternder Stimme, ihre Hand ans seinen Arn: drückend,
„daß ich auf den: Punkte stehe, an mir zu verzweifel::.
Ich weiß, daß ich einen Anteil habe an dem, was
dir lieb oder leid ist, gleichwie mein Thnn nnd
Treiben —" sie stockte, da sie ihn die Hand nach der
Tischglocke ausstrecken sah, und ries erschreckt: „Was
willst du?"
„Den Maschinisten kommen lassen," sagte er ge-
lassen, „damit er dir ein Privatissimum über diese
Dampfkesselzeichnung liest."
Die junge Fran trat einen Schritt zurück. „Ich
hatte nicht die Absicht, anderen als dir mein Interesse
zn beweisen. — Max," flüsterte sie, abermals der
warmen Regung ihres Herzens folgend, „willst du
mich wirklich nicht besser verstehen? Du kannst diese
Art doch nicht fortführen wollen, bis ich alt und
grau geworden bin. Mir ist's ja gewiß selbst un-
endlich schwer, es auszusprechen, aber wenn ich bis-
weilen darüber nachdenke, wird mir sterbensweh, daß
das so weiter gehen soll."
Sie deckte die Hände über die Augen, damit er
die Thränen nicht sah, welche zwischen ihren Wimpern
hervorquollen.
„Ich weiß in der That nicht, was ich ans solchen
Vorwurf erwidern soll," versetzte Trachberg, sich tiefer
in den Sessel zurücklehnend und beide Arme über der
Brust kreuzend. „Es sei denn, daß ich meine Un-
lust eingestehe, Frauenköpfe und -Hände mit meinen
Angelegenheiten beschäftigt zu sehen. Voransschicken
will ich indes der Vorsicht halber, daß nur häusliche

und sonstige Scenen von Grund aus zuwider sind."
Er dachte an die letzte Scene der Leidenschaft mit
Betty, und sein Verdruß wuchs, während er fort-
fuhr: „In meine Eigenart dich zu versenken, würde
ich zweckmäßiger finden als sentimentale Grübeleien,
Thränen und Klagen. Wenn ich deinen Erwartungen
nicht entspreche, glaube ich nngalanterweise, daß deine
große Jugend daran mehr Schuld trägt, als mein
reifes Alter. Wie deu: auch sei, ich habe dich zu
keiner Frau gemacht, die ihre Mitregentschaft, das
heißt, ihre Herrschsucht zum Wohle der Familie gel-
tend zu machen braucht. Zn sorgen und zu sparen
giebt es nichts. Ich mache dich für nichts verant-
wortlich, als daß dn unser Haus standesgemäß
repräsentierst, lind das thust dn, und dafür bin ich
dir dankbar. Im übrigen lasse ich dir freie Hand.
Bitte aber, diese Freiheit für mich nicht in Drück zu
verwandeln."
Sie warf sich auf seinen Schoß und umschloß
seinen Hals. „Es mag mein Fehler sein," flüsterte
sie erregt, „eine häßliche, selbstsüchtige Unzufrieden-
heit. Aber, ich hab's nur anders gedacht — ganz
anders."
„Was anders? Die Ehe? Unser Verhältnis zu
einander? Ich weiß nicht mehr, wovon du sprichst."
„Ich dachte, ich könnte," fuhr sie rascher fort,
„meine Seele immer vor dich hinbreiten wie ein Blatt,
das dn gern liesest, am liebsten liesest, — und daß dn
dann auch deine Seele ebenso vor mich hinbreiten
würdest, damit auch ich —"
„Da sind wir also wieder bei der neugierigen
Evatochter augelangt," unterbrach er sie.
„Nein, das sind wir nicht," rief sie aufspringend
nnd nut flammenden Wangen. „Wir sind da an-
gelangt, wo meine Enttäuschung beginnt. Ich habe
dir einen Sohn und Erben geboren, ich gab dir meine
Liebe und mein Leben —"
„Ich habe mich auch iu einer Sache verrechnet,"
unterbrach er sie ruhig lächelnd, „nämlich, als ich
in der kleinen Vikomtesse v. Debellaire keine streitbare
Heroine vermutete, sondern eine liebenswürdige kleine
Fran, die da weiß, daß man seine Mitteilsamkeit
niemals aufdrängen darf, ohne beschwerlich zu fallen."
Im Scherz war's gesagt, im Ernst gemeint.
Marie Antonie war's, als habe sie einen Schlag
erhalten.
„Und ich habe von meinem Vater gelernt," sagte
sie mit erhobenem Haupt, „daß man sein Herz sprechen
lassen kann, ohne seiner Würde etwas zu vergeben."
Damit verließ sie das Zimmer.

Llite; Kapitel.
Draußen knospeten die Blätter in brauner Hülle.
Veilchenduftig wehte der wärmende Wind über den
sprossenden Rasen. Ein gewaltiges Frühlingssehnen
ging über die wintermüde Erde.
Marie Antonie durchschritt hastig die große Halle,
welche sie einst so entzückt betreten hatte. Das Sonnen-
licht funkelte durch die bunten Scheiben und warf
ein wundervolles Farbenspiel in den herrlichen Raum.
Sie sah es nicht, sondern eilte hinaus ins Freie.
Tief in Gedanken folgte sie mechanisch den ver-
schlungenen Parkwegen, immer tiefer in die Waldes-
stille hinein.
Sie hatte ihr Herz endlich einmal frei sprechen
lassen, aber die Erwiderung, welche darauf erfolgte,
verstand sie nicht. Sie hatte keinen anderen Begriff
von der Liebe als ihr eigenes Empfinden. Mit ihn:
maß sie auch Maximilians Neigung, indem sie der-
selben alle Innigkeit nnd Selbstlosigkeit ihrer Liebe
zu Grunde legte.
Unerschüttert in diesen: Glauben mußte sie des
vollen Verständnisses für die soeben erlittene Krän-
kung ermangeln, da sie in gleichen: Falle überbereit
gewesen wäre, eingestandene Herzensnot durch zärt-
lichen Zuspruch zn entkräften.
Tiefe Trauer ging durch ihr Gemüt.
Wenn sie sich jetzt wieder gegenübertraten, ohne
daß der Schatten zwischen ihnen gelichtet war, oder
wenn gar das tägliche Leben darüber hinfloß, gleich-
mäßig, gleichgültig-wenn sie gezwungen war,
mit vollen: Herzen neben Maximilian zn stehen,
schweigend, sich selbst unbegreiflich!
Wie alt kan: sie sich vor, wenn sie der sprudeln-
den Freude ihrer Mädchenzeit gedachte, jener Zeit,
wo Bruno Geisler sie mit deu: ihn: als Almosen
dargereichten Groschen neckte, nnd sie so herzlich lachen
mußte.
So gar lange war das doch nicht her. Weshalb
kam es ihr denn wie eine Ewigkeit vor?
Wenn ihr Vater sie jetzt hätte sehen können, wie
sie mit angsterfülltem Herzen ihren Gedanken nach-
hing, ohne Würde nnd Haltung!
Sie dachte an seine Worte: „Vergiß nie, daß du
eine Debellaire bist, so wirst dn immer auf der Höhe
der Situatiou bleiben."
 
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