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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 13
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310

Das Buch für Alle.

M 1.8.

Hastig schrieb er einige Zeilen nieder.
„Ich bitte, Ihren Namen jetzt darnntcr zn
setzen," sagte er aufstehend und Marie Antouie die
Feder hinreicheud. „Sie bcscheiuigeu nur, daß ich
der von Euer Erlaucht erwählte Geschäftsträger und
Bevollmächtigte bin. Sie haben es in der Folge
also lediglich mit mir zu thun, nur mit mir."
Marie Antonie sah ihn bestürzt au. „Ich will
kein Geld von Maximilian. Ich bringe kein be-
zahltes Opfer. Mein Vater würde —"
„Ich bitte Euer Erlaucht dringend," fiel Geisler
mit tadelnder Ungeduld ein, „meiner Lebenserfahrung
Gehör zu schenken. Hier handelt es sich um die ernsteste,
nackte Wirklichkeit, nicht nm Nachklänge und ideale
Voraussetzungen. Das Geld, welches Ihr Herr Vater
hinterließ, ist kein Vermögen zu nennen, nur ein Not-
pfennig. Als solcher —"
„Ich hoffe, er wird so lange hinrcichen, als - -
ich kann die Feder jetzt nicht ansetzen, es ist, als
sollte ich mich selbst tief, tief ins Herz schneiden.
Leben Sie wohl, Herr Justizrat!" Sie schlug den
Schleier wieder über ihr Gesicht.
„Und wohin werden Sie jetzt zunächst gehen?"
„Ich weiß es nicht. Fragen Sie mich nicht."
„Sie dürfen sich meiner fürsorglichen Obhut nicht
entziehen," sagte er gebieterisch, ihr den Weg ver-
tretend. „Sie suchen einen unbekannten Weg mit
verbundenen Augen. Versprechen Sie mir, daß, so-
bald die vernarbende Wunde Ihres Herzens es ge-
stattet, oder sobald die Notwendigkeit einer gesicherten
Existenz Ihnen klar geworden ist, Sie sich mit Ihrem
Vertrauen an mich wenden wollen, an keinen sonst."
Er hielt ihr die Hand entgegen.
„Ich verspreche es, wenn die Zeit gekommen sein
wird," sagte Marie Antonie leise.
„Hoffen wir, daß sie bald kommt!" Er drückte
ihre Finger an seine Lippen.
„Hoffen wir —" murmelte sie. Daun ging sic
aus dem Zimmer. .

Lmmulruminigite; itcipitel.
Ueber dem Züricher See verdünnte sich der Früh-
nebel zu wolkigen Schleiern, die ein leiser Wind-
hauch vom Wasserspiegel hob und in die frische
Morgenluft zerstreute. Aus der jähen Klarheit er-
hoben sich unter dem Goldflammcn der Sonne wie
durch einen Zauberschlag die schneefunkelnden Gipfel
der Gebirge in blendendem Weiß. Im Westen aber
um den waldigen Rücken des Etzelberges, den der
Lauf der Sihl vom Brnderstocke lieblich scheidet,
hing der flüchtende Nebel noch seine lichten Schleier,
unter denen Feld und Wiesen, Obst- und Wein-
gärten, Landhäuser und Villen, vom Secufer an den
Hängen des Albis emporstrebend, ihre wechselreiche
Pracht hinbrciteten — Natur und Kunst zu wunder-
voller Einheit verschmolzen.
Den Seequai entlang, wo das Hotel Baur
au Lac seinen palastartigen Van aufgeführt hat,
war zur achten Morgenstunde wie alltäglich eine
Frauengestalt, die Mappe unter dem Arm, an der
Dampferstation vorüber, die Limmatbrücke hinauf
und den Weg zur Universität gegangen.
Der Wind mochte noch so scharf, die Luft noch
so rauh vom See herüber wehen, allmorgendlich ward
der „deutschen Gräfin" vom Hotelportier ehrerbietig
die Pforte geöffnet, wenn sie als Hörerin sich ins
Kolleg begab.
Im schwarzen einfachen Tuchkleid, den schmuck-
losen Filzhut auf dem kurzgeschnitteuen Haar, ging
Betty Trachberg dieser neuesten Beschäftigung nach,
welche, ihrem Gatten unfaßbar, ihr selbst nur ein
quälendes Bedürfnis war. Vergangenes in Gegen-
wärtigem zu vergessen.
Wenn sie unter den lauschenden und schreibenden
Studenten im Hörsaal saß, und der Vortragende
vom Katheder herab über die Psychologie des Weibes
sprach, dann zuckte wohl um ihre Lippen ein herbes
Spottlächeln ob all der schön durchdachten Klassi-
fikationen fraulicher Seelenthätigkcit, und sie blickte im
Saal umher, ob unter allen Anwesenden wohl einer
thöricht genug sein könne, solcher Professorenweisheit
Lehrgeld zu entrichten.
Und wie sie es dachte, erstarrten ihre Augen in
der Gedankenlast, die sich immer von neuem über
sie hinwälzte.
Die Zeiten waren lange vorüber, wo Betty Trach-
berg sich ihrer Wonne in Maximilians Armen ent-
sann , längst verhallt auch die letzte Klage über ihre
hingeopferte Schönheit.
Nur ein Ziel kannte sie noch. Es war nahezu
erreicht. Bereits hatte sie in grausamer Freude den
Vater an der leeren Wiege seines Erben trauern
sehen, ihrem Rachegelüst und ihrem Hasse war die
Vorsehung selbst zu Hilfe gekommen.
Betty Trachberg atmete rascher. Die Stimme des
Redners hatte sie aufgeschreckt. Er sprach außer-
ordentlich eindrucksvoll von der Beobachtung aller

krankhaften Veränderungen des Bewußtseins durch
äußere und innere Ursachen, nur die eine, die aller-
verderblichste Ursache, erwähnte er nicht: wenn ein
Weib ihre Liebe dem Manne zu Füßen wirft und
er, ihrer Verzweiflung spottend, sein Herz einer
anderen schenkt.
Bettys Blicke schweiften scheu zu beiden Seiten,
ob jemand durch ihre Wangenblässe hindurch den
schwarzen Flecken in ihrer Seele gewahre. Aber
niemand achtete ihrer. Die kleine saloppe Russin
mit dem verwilderten Haar fand zweifellos das
Leben deshalb nicht unschöner, weil es Sumpfblumen
trug. Und das hagere Mädchen zn ihrer Linken mit
den sorgenvollen Zügen, das Bild freudloser Jugend,
wußte nichts von Liebeslust und Liebesleid.
Betty hörte Fußscharren um sich her. Das Kolleg
war zu Ende. Sie schlug ihr Heft rasch zusammen,
dem großen Strom zuvorzukommen, und eilte die
Treppe hinunter ins Freie.
Die jammervolle Heuchlerrolle, welche sie ihrem
gedankenlosen Manne gegenüber spielte und spielen
mußte, bis das Ziel ihres Veruichtungskampfes er-
reicht war, flößte ihr Ekel vor sich selbst ein.
Mancher Vorübergehende heftete den Blick neu-
gierig aus die vornehme Haltung und den bedeutungs-
vollen Charakterkopf der Gräfin. Sie achtete nicht
auf die Außenwelt.
Dcr Portier riß die Thür weit ans. Die deutsche
Gräfin streute ja Gold mit vollen Händen nm sich.
Die Kammerfrau hatte kaum Hut und Hand-
schuhe an sich genommen, als Eduard Trachberg be-
reits im Rahmen des Vorhanges erschien.
Die frische Lebendigkeit seines Wesens hatte starke
Einbuße erlitten durch die Seelenpein der letzten
Monate, Mißbehagen und Rette hatten in seinem
hübschen, unbedeutenden Gesicht ihre alternden Runen
gezogen. Bei ihrem Anblick aber ging ein frohes
Aufleuchten über seine Züge.
„Endlich bist dn da!" Er umfaßte sie uud küßte
sie aus Stirn und Wange.
„Dn hast heute nacht wunderlich im Schlaf ge-
sprochen," sagte sie, sich frei machend. „Seit wann
träumst du so lebhaft?"
„Ich —" er stockte wie ein Knabe, der seines
Verweises sicher ist — „war in Holdcnberg."
Sie lachte herb auf. „Also bei dir. Denn Hol-
denberg ist jetzt dein Besitz."
Er strich sich über die blonden Haare. „Betty,"
sagte er leise im Tone der Entschuldigung, „Maxi-
milian sah mich kommen, - plötzlich riß er das
Fenster auf und rief, daß es weithin durch die Um-
gegend schallte: Dieb! Seht den Dieb!"
Jetzt lachte sie laut. „So! Und du? Was thatest
du? Hoffentlich zeigtest du ihm den Querbalken ans
seinem Wappenschild?"
„Ich? Ich glaube, ich lief davon. Mir war's,
als verfolgte man mich."
„Bravo!" sagte sie spöttisch. „So-gut hat er dich
erzogen, daß du selbst im Schlaf nicht aus der Bot-
mäßigkeit herauskommst."
Sie ging einigemal schweigend durchs Zimmer,
dann blieb sie vor ihm stehen.
„Wirst du dich nie auf die gleiche Stufe stellen
lernen mit ihm? Wirst du ewig fortfahren, dich
wie ein falscher Prätendent verborgen zu halten, wäh-
rend der thatsächliche Usurpator den Samen der
Verleumdung überall ausstreut gegen dich?"
„Nein, nein," sagte er hastig. „Aber die Schick-
salsschläge —"
„Wer hat ihm und der geborenen Brissot das
natürliche Mitgefühl entziehen wollen? Aber hier-
handelt es sich nicht um Gefühle, sondern um That-
sachen. Träte er freiwillig sein verwirktes Recht an
dich ab, das wäre Seeleugrößc — eine Bethätigung
dessen, was du ihm grundlos andichtest: Seelenadel!"
„Ganz recht," sagte er und fühlte gleichwohl die
ihm aufgezwungene Rolle dieses Familiendramas
wie einen Mühlstein auf sich lasten. „Ich hätte aller-
dings vermutet, daß er —"
Es klopfte. Der Kammerdiener brachte die Morgen-
post herein. Erleichtert wandte sich Eduard Trach-
berg dem Tische zu.
„Briefe?" fragte Betty gleichgültig.
Ihr Gatte nickte, indem er ein ziemlich umfang-
reiches Schreiben erbrach.
„Von Mama! Darf ich vorlesen?"
Sie zuckte die Achseln, aber ihrem Grundsatz ge-
mäß, in kleinen Dingen seinem Willen gefügig zu
sein, setzte sie sich in lauschender Stellung ans Fenster.
„So lies, bitte!"
Er stellte sich au ihre Seite, die Eingangsworte
stumm überfliegend, bevor er laut fortfuhr: „—gebe
ich mir nicht mehr die Mühe, Bettys Schweigen zn
tadeln. Von ihrer Rücksicht auf meine mütterlichen
Gefühle für euch darf ich mir nichts versprechen,
aber Anspruch auf Dankbarkeit mache ich denn doch
insoweit, als ich die Märtyrerin bin — zu eurem
> Nutzen. Die Oberhofmeisterin hat ihren ersten Thee-

abend ohne mich gegeben. Das sagt viel — das
sagt alles. Die abscheuliche Kranzgeschichte macht
noch immer die Runde. Wenn jemand, so gönne ich
den beiden hochmütigen Menschen in Holdcnberg eine
kräftige Lektion. Dort wird übrigens schon gepackt,
höre ich. Den heimtückischen Justizrat, der so schön
zu liebedienern weiß, laß nur gleich bei deiuer An-
kunft gehörig abfallen, lieber Edi. Er geht jetzt
darauf aus, euch möglichst viel Schwierigkeiten in
Betreff der kostbaren Einrichtung zu machen. Euer
Anwalt soll, wie ich höre, stark auf der Hut vor dem
alten Fuchs seiu.
Einen leichten Stand werdet ihr hier vorerst nicht
haben, aber kommt nur sobald als möglich. Wir
drei zusammen werden den einstigen Halbgott schon
vergessen machen. Und wenn Betty sich nur etwas
pflegt und besser in Toilette hält, wird sie wieder
eine sehr gute Figur machen — trotz der weichlichen
Schönheit des Kammerdienersprößlings."
Die bleiche Frau im Fenstersessel zuckte zusammen.
„Noch nicht fertig?"
„Gleich! Es ist doch ganz interessant, über die
jeweiligen Zustände daheim orientiert zu sein," sagte
Eduard Trachberg uahezu demütig. „Die Unsicher-
heit —"
„Unsicherheit?" fragte sic, sich mit Würde auf-
richtend. „Ans wessen Seite vermutest du sie? Auf
der deinen doch nicht? Wir werden sortfahreu zn
thun, was uns beliebt. Zu fragen haben wir keinen.
So steht's und nicht anders."
Er streifte ihr bleiches Antlitz mit bewunderndem
Blick. Endlich fragte er zaudernd : „Willst du wirk-
lich zurück? Ich meine nach Holdenberg?"
Ihre blauen Augen strahlten einen magischen
Blick auf ihn. „Ob wir zurück wollen zu unserer
Pflicht? Ich meine, diese Frage beantwortet sich
von selbst. Wenn du nicht den Mut hast, tat-
sächlich von deinem Eigentum Besitz zu nehmen, so
wäre die Mühe, die ich mir für dein Recht gab,
besser unterblieben. Wir werden zn beweisen haben,
daß die Glanzzeit eures Hauses nicht im Erlöschen,
sondern in der Zunahme ist. Wir werden durch das
Distelgestrüpp des Neides und des Uebelwollens
schreiten, nm es zu zertreten. Wir werden sogenannte
Sympathien und Antipathien verachten. Wir werden
die Stellung einnehmen, die wir uns geben, nicht die
man uns giebt."
„Aber wenn man höchsten Ortes eingenommen
gegen uns bleibt, wie Mamas Brief es befürchten
läßt? Wenn die Gegenströmung stärker wird statt
schwächer infolge einer ungnädigen Beurteilung der
Verhältnisse seitens des Großherzogs? Wenn —"
„Wenn!" sagte sie achselzuckend und mit verächt-
lichem Lächeln. „Wenn! Was bewiese dies anderes,
als daß selbst die Gerechtigkeit sich verschiedene An-
schauungen gefallen lassen muß. Bist du benötigt,
huldreich behandelt zu werden? Die Hosschranzen
laß zittern vor einem Angenbrauenzncken des Fürsten:
du stehst auf dem Boden des Gesetzes, auf dem
Boden des Rechts. Du bedarfst keiner Gnade."
Er nahm ihre Hand und küßte sie. „Wäre ich
doch wie du —"
Sie zuckte leicht zusammen. „Du leidest öfter an
närrischen Wünschen."
Er lachte. „Aber Mama scheint wirklich schlecht
behandelt zu werden um unseretwillen."
„Ihre Schuld!" sagte sic kurz. „Weshalb mischte
sie sich in diesen Fall, ohne zu bedenken, daß sie, sic
ganz allein, die Urheberin dieser Tragödie ist. Wahr-
haftig —" Bettys Nasenflügel zitterten leise — „wäre
sie an jenem ersten Morgen meiner vorahnenden
Warnung zugänglich gewesen in ihrer maßlosen Eitel-
keit, ja, wäre ihr auch nur einmal im Laufe der
folgenden Wochen ein Verständnis anfgegangen für
die Folgen, die ihr Thun für ihren Schützling, für
uns alle haben werde, wir ständen heute nicht so —
nicht so —"
Verständnislos für ihren Seelenznstand legte er
scherzend den Arm um ihre Schulter. „Ein bißchen
Mitleid hast du doch mit ihr."
„Nein," sagte sie schroff. „Weder mit ihr, noch
sonst mit jemand Mitleid ist die gangbare Maske
für moralische Schwächen. Sie mag kleidsam sein,
ich — ich habe immer einen Widerwillen gegen
Maskeraden gehabt. — Was steht sonst noch in
Mamas Brief?"
„Die Bitte, Tag und Stunde unserer Ankunft vor-
her genau anzugeben. Und hier noch eine Nachschrift:
„Es verlautet mit Bestimmtheit, daß Maximilians
Privatvermögen für einen so großartigen Herrn mehr
als gering sei. Da werden ihm die hohen Flöten-
töne also allmählich wohl ausgehen. Ihr müßt das
ja wissen."
Eduard Trachberg konnte sich einer aufsteigenden
Schamröte nicht erwehren. Die Pfeiler und Trag-
balken, auf welche sein Vorgehen sich stützte, schwankten
wieder wie papierene Säulen, jeden Augenblick drohten
sie einzustürzen. Der Glaube an sein reines Ge-
 
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