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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 13
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https://doi.org/10.11588/diglit.44085#0317
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312

Hrft l.r

Das Buch für Alle.


ivissen fehlte. Seine lleberzengnng war Furcht, sei»
Rechtsbedürfnis Zwang.
„Ich fehe, du willst ihm etwas anbieten," sagte
Betty rnbig. „Thn's nicht, ich rate dir gut."
„Es bleibt eine elende Geschichte," murmelte er,
zerriß Frau v. Lüttmigs Brief in kleine Fetzen und
verließ das Zimmer.
Sie sah ihm starren Blickes nach. Was wußte
der Strohmann ihres Handelns, die Marionette ihres
Willens, jetzt schon von Elend! Diese Erkenntnis
behielt sie ihm noch vor, wenn er den Besitz von
Holdenberg angetretcn haben würde.
Wie er dann dastehen würde vor seinem hinter-
listig errafften Recht, das er nicht wieder loswerden
konnte, dastehen mit seiner blindgläubigen Liebe vor
ihr, die ihn gleich einer ausgepreßten Frucht von
sich rvarf und fortging - weit, weit, dahin, wo kein
Mensch mehr die Schauer seines Gewissens fühlt.
Es war ihr unmöglich, ihn jetzt lächelnd znrück-
kommen zu sehen. Sie ließ sich hastig umkleiden und
verließ den Gasthof.
Am Gestade des im Lufthauch plätschernden Sees
schritt sie gedankenverfolgt dahin. Nicht eine Sekunde
lang vermochte sie ihre Phantasie anderen Bildern
zuzuwenden als diesem: Marie Antonie an Maxi-
milians Seite Schloß Holdenberg verlassend. Sie
mußte unaufhörlich darüber uachgrübeln, ob Maxi-
milians Liebe zu seiner Frau nunmehr tiefere Wur-
zeln schlagen werde. Ob er dahin gelangen könne,
wohin sie in jener verzwciflnngsvolleu Abendstunde
ihn führen wollte, zu rufen: „Was ist mir die Welt,
gehörst dn mir!"
Wozu dann das ganze ungeheure Opfer ihres
Lebens, wenn es ihm nur dazu verhalf, diese Spanne
Zeit zu segnen? Ein kaltes Grauen packte sie. Wenn
das ihr letzter Gedanke sein sollte, wenn sie als Stüm-
perin sich erwies, statt als Meisterin, und sich be-
schämt hinansschlich aus dem Leben, statt erhobenen
Hauptes hinauszuschreiten, mit festem Griff die Pforte
hinter sich schließend
Sie machte mechanisch Halt. Stundenweit war
sie einsam fortgeschritten. Der rotglühende Sonnen-
ball, der auch ihr blasses Antlitz mit Farbe über-
strahlte, stand langst nicht mehr, in Mittagshöhe.
Tiefer neigte er sich den Bergkuppen zu, über welche
ein scharfer Abendwind Hcranwehte.
Betty Trachberg wandte sich zur Rückkehr. Aber
den Gedankenfurien, die sie verfolgten, entrann sie
nicht; noch die Stufen der Gasthofstreppe stieg sie
wie geistesabwesend empor.

kranrölilcke Alpenjäger in einer kutlcklciuine. (5. 31Z)
Sie merkte es nicht, daß sic statt in den ersten,
in den zweiten Stock geriet. Ganz in Gedanken öffnete
sie die Thür, die sie für jene ihres Zimmers hielt,
und trat hastig ein.
Aufgeschreckt erhob sich eine schwarzgekleidete
Franengestalt vom Sofa. Ihre und Bettys Blicke
sanken ineinander. Dann schritt Betty, ungläubig,
durch die Zimmerverwechslung verwirrt, starren
Blickes vorwärts, jeden Augenblick erwartend, daß
sich der Anblick als eine Wahnvorstellung enthülle.
Endlich stieß sie rauh hervor: „Marie Antonie —
du hier?"
Die Angeredete staud da wie gelähmt — ein
Marmorbild von so wunderbarer Schönheit, daß
selbst Betty Trachberg sich ergriffen fühlte.
„Was thust du hier?" stieß sie abermals rauh
hervor. „Wußtet ihr, daß wir von hier aus heim-
kehreu wollten? Seid ihr mit Absicht hierhcrgegaugen?
Sprich! Ich will wissen, weshalb ihr hier, gerade
hier seid? Konntet ihr nicht warten, bis wir dieses
Hotel verlassen hatten?"
Marie Antonie versuchte es, die Hand zu heben
und nach der Thür zu weisen, aber ihre Glieder-
waren durch diese unerhörte Begegnung förmlich
schreckgelähmt. „Geh!" brachte sie endlich mühsam
hervor.
Ihr von so vielen seelischen Erregungen erschüt-
terter Körper begann zu zittern, - sic sank in den
Sessel zurück und schloß die Augen.
lieber Bettys Züge flog ein bitteres Spottlücheln.
„Sv flügellahm hat dich das bißchen Glanzverlust ge-
macht? Da war's also doch nichts mit dem himmel-
stürmenden Entzücken, Bettlerin zu spielen um der
Liebe willen? Dieser Scenenwechsel kommt früh.
Oder" - ihre Stimme schwankte in Verachtung zu-
gleich und Freude „hat dem Maun sich seines
gerühmten Hochsinns so jämmerlich begeben, daß er
dich für die Flatterhaftigkeit eurer längst vermoderten
Urahnen verantwortlich macht?"
Sie fühlte gegen alle Absicht ein Schmerzgefühl
für die also Mißhandelte in ihrem Herzen sich los-
lösen.
„Wenn er das konnte, wenn er das kann," fnhr
sie leiser fort, „angesichts dessen, was dn an Selbst-
vorwürfen dir bereits angethan hast, siehst du dann
ein, daß er nicht wert war, geschont zu werden?"
„Schweig! Schweig!" flüsterte Marie Antonie.
„Der Tod könnte mir nicht schrecklicher sein, als dn
es bist. Und er ist entsetzlich — entsetzlich!"
Betty zuckte die Achseln. „Wie man's nimmt.

Ich werde schweigen und gehen, sobald ich weiß,
ums ihr hier zu thun gedenkt. Zeh will Eduard um
jeden Preis vor einer Begegnung mit Maximilian
schützen. Hörst dn? Um jeden Preis! Deshalb allein
frage ich dich."
Marie Antonie, noch unfähig, diese Frage zu be-
antworten, aber zu stolz, ihr Leid zu offenbaren,
trocknete hastig die Thräncu fort, welche sich durch
ihre Wimpern schleichen wollten. Die ungeheure
Leere, die jetzt überall vor ihr aufgähnte, die furcht-
bare Freudlosigkeit, welche zuweilen ihren Herzschlag
anssetzen ließ vor innerem Grauen, überdrangen ihr
Empfinden so mächtig, daß sie wie in Ersticknugsnot
aufsprang und das Fenster öffnete.
Der kühle Anhauch des Windes vom See gab
ihr die Fassung zurück. Sic schloß den Riegel, daß
niemand Ohrenzcnge dessen werde, was jetzt unauf-
haltsam über ihre Lippen drang.
„Ich sehe es als eine glückliche Fügung au," sagte
sic mit tiefbewegter Stimme, „daß du dich noch ein-
mal in meinen Weg stelltest. Glaube nicht, daß der
Sieg über dein eigenes Herz die schmachvolle Grau-
samkeit mildert, mit der dn an mir gehandelt hast.
Daß Maximilian dich, die er eine Furie nennt, nicht
lieben konnte, ist "
„O, über diese elende Rache!" unterbrach Betty
sic mit farblosen Lippen. „Die Waffe gab ich dir
so billig in die Hand, so spottwohlfeil, daß ich mich
an deiner Stelle schämen würde, sic zu gebrauchen."
Marie "Antonie richtete sich höher ans. „Ich nehme
keine Rache an dir, denn wenn ich das Aeußerste
thäte - was könnte mir dadurch ersetzt werden?
Triumphiere über den Tod meines Kindes, es wird
darum nicht friedloser ruhen. Deine Macht, die du
ausgcbeutet hast, wie kein Schelm sie tückischer aus-
beuten konnte, ist zu Ende. Tu hast meinem Vater
ein jähes Ende bereitet, du hast Maximilian aus eine
Folter gespannt, die sein Haar gebleicht hat, du hast
mich an Gottes Gerechtigkeit zweifeln gemacht, mein
Herz hast du mit Füßen getreten. Alle Freude hast
du ans meinem Leben gerissen, Schmerz und Qual
hast du mir übrig gelassen, unabsehbar unabseh-
bar —" Ihre Stimme, die bis dahin laut und lauter
geworden war, brach matt ab. Bebend fuhr sie fort,
das nicht mehr zurück zu haltende Bekenntnis zu voll-
enden. „Aber damit ist deine Macht erschöpft. Den
moralischen Totschlag, den du Maximilian znfügen
wolltest und den du nicht ansführcn konntest, ohne
mich zur Mitschuldigen zu machen — ungerührt, ob
ich gleich in Verzweiflung dein Erbarmen anflehte —
 
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