Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

DOI Heft:
Heft 14
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.44085#0337
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Heft 14. Illustrierte Zunritien-Deitung. I»hrg. ms.




liulügss Volk. Nack einem Ssmälöe von p. Lü. Lkocarns-Moreau. (5. 33?)

V?emi 6u mick lisbit.
komcin von Seorg 6cirtwig sCmmij l<osppol).
t?ort!strung.)

strahlende Saal des Holdenberger Schlosses, in dem
er mit Marie Antonie so glückstrnnken geplaudert.
Alles, bis ins kleinste, das längst vergessen, sah er
wieder lebendig werden: an der Thürsüllung die
beobachtende Gestalt des Grafen, die königliche Er-
scheinung Betty Trachbergs im schwarzen Sammet-
gewande, ihres Gatten geschmeidige Beweglichkeit aus
dem spiegelnden Parkett — und drüben an der ent-
gegengesetzten Wand die ihm verhaßte Baronin Lütt-
mig, deren Sinnen und Trachten daraus gerichtet
war, ihn herabzusetzen.
Alle diese Erinnerungen, in den Zeitraum eiuer
Sekunde gefaßt, überkamen Geisler mit neuer Ge-
walt. Stand er hier vor der Lösung des Nätsels,
das ihm der heutige Brief seines Onkels wieder nahe-
gelegt? Oder wurde ihm eben jetzt ein neues zu
löse» aufgegeben?
„Fräulein war sie nicht," sagte Hilde hastig. „Eine
Witwe!"
„Sie sagten zuvor: als sie wegkam. Warum ver-
ließ sie die Anstalt?"
„Ach, das weiß man eigentlich nicht," versicherte
das Schwesternpaar
eifrig. „Es hieß, die
Vorsteherin wäre
mit dem Gesang-
lehrer heimlich ver-
lobt gewesen, bis
die schöne Frau
Brissvt kam
„So!"
Tiefe, wühlende
Sorge bemächtigte
sich Geislers. Was
war aus Marie An-
tonie geworden? Es
drängte ihn, dies
Gespräch abzubre-
chen, aber die Un-
ruhe seines Herzens
ließ es nicht zu.
„Die Dame,
welche ich meine,
ist keine Witwe,"
sagte er mit an-
scheinender Gleich-
gültigkeit. „Sie
halte das Unglück,
sich von einem un-
würdigen Manne
trennen zu müssen."
„Wenn die gute
Weltmann das ge-
wußt hatte, würde
sie die Brissot uie
ins Haus genom-
men haben," ries
Hilde, die Hände
zus ammens ch lageud.
„Ich kann mir nicht
helfen, die Frau
machte nun einmal
einen elivas selt-
samen Eindruck."

stern. „Sie war höchstens Mitte Zwanzig. Und
wenn sie ein bißchen Farbe bekam — sie war näm
lich sonst sehr bleich - dann sah sic ans wie acht-
zehn."
„Na ja, sie war )a ganz nett anzujehen," sagte
Hilde Gebhardt etwas von oben herab.
„Thn doch nicht so!" rief Lilli dagegen. „Wir
haben alle sür sie geschwärmt. Jawohl, die ganze
Klasse- -du auch! Und als sie wegkam, haben wir
geweint. Jawohl, geweint du auch!"
„Fällt mir nicht im Traum ein," versetzte Hilde
wegwerfend, „um Frau Brissot zu weinen. Da hätte
man viel zu thun!"
Geislers liebenswürdige Ironie war einem liefen,
jäh aufgeschrcckten Ernst gewichen. „Wie nannten
Sie Ihre Lehrerin?" fragte er rasch.
„Brissot Marie Brissot."
„Brünett? Mittelgroß? Schlank?"
„Jawohl! Kennen Sic sie?" riefen alle vier
lebhaft.
„Ich ich kannte einst ein Fräulein Brissot,"
sagte er, und da stand vor seinen Geistesaugen der

— Mckäruck vsrkoten.)
ie von Fräulein Lilli dem Gaste vorge-
l stellten jungen Mädchen verneigten sich et-
! was tiefer als gewöhnlich. Der Professor
._ imponierte ihnen ersichtlich.
„Ich habe erfahren, daß wir dieses improvisierte
Tanzfest Ihrem Hiersein verdanken, meine Damen,"
sagte Geisler, die frischen, jungen Gesichter be-
trachtend, welche sich verstohlen,zulächelten. „Und
außerdem verdanke ich Ihnen persönlich die Bekannt-
schaft mit der so viel gerühmten Pensionsfreundschaft
junger Damen. Ich weiß nicht, wie lange es her ist,
daß Sie sich trennten."
„Anderthalb Jahre."
„Nein, ein Jahr und sieben Monate."
„Wirklich?"
„Ja," fiel Lilli
lachend ein. „Ich
glaube aber, wir
kämen jetzt nicht
mehr in die erste
Klasse. Mein Fran¬
zösisch und Englisch
ist fast futsch."
„Welches Pen¬
sionat hat den Vor¬
zug gehabt—?"
„Das Wellmann¬
schein Zürich. Ach,
es war reizend dort
— bis auf das viele
Lernen."
„Ja, was haben
wir studieren müs¬
sen. Entsetzlich! Und
immer englisch oder
französisch sprechen."
„Französisch ging
noch, aber - "
„Sie hatten doch
gewiß einen würdi¬
gen Lehrer," sagte
Geisler belustigt,
„der nur ganz von
fern mit dem Nach¬
sitzen drohte?"
„Lehrer?" riefen
alle vier zugleich.
„Nein. Eine junge
Frau war's!"
„Jung?" warf
Hilde Gebhardt
achselzuckend ein.
„Jawohl, jnng!"
sagte Lilli unter
energischer Zustim¬
mung der Schive-
 
Annotationen