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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 22
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526

Das Buch für Alle.

M 22.

„Ich bin mit dem Herrn Grafen zu verschiedenen
Zeiten meines Lebens in Berührung gekommen.
Aber ich habe keinen Anspruch auf die Ehre, mich
seinen Freund zu nennen."
„Ah, verzeihen Sie! Nach der Begrüßung, die
er Ihnen zu teil werden ließ, glaubte ich-Sic
kennen auch seine Gemahlin?"
„Ich verkehrte im Hanse des Herrn v. Hertlingk,
als Graf Meinbnrg sich mit der Baronesse verlobte."
„Eine ausgezeichnete Dame: Ich hatte erst in
diesem letzten Sommer das Vergnügen, ihr vorgestellt
zn werden, und ich gestehe, daß ich schon in der ersten
Viertelstunde vollständig hingerissen war von ihrer
Schönheit und Grazie. Es ist mir eine wahre
Freude, daß die Herrschaften meiner Einladung mit
so liebenswürdiger Bereitwilligkeit Folge geleistet
haben."
Fürst Xaver war ins Plaudern gekommen, und
in solchem Moment pflegte er namentlich dem Forst-
meister gegenüber leicht zu vergessen, daß cs ciu
Untergebener war, mit dem er sprach. Seinen Arm
leicht ans den Alvördcns stützend, war er die Stufen
der Terrasse hinab gestiegen, und indem er sich wie
zu einer diskreten Mitteilung etwas näher gegen
ihn neigte, fuhr er fort: „Man erzählt sich ja wunder-
liche Geschichten von diesem beneidenswerten Grafen.
Er ist jedenfalls ein Beweis mehr für die alte Wahr-
heit, daß der ungebärdigste Most oft den besten Wein
gicbt. Als alter Bekannter sind ja auch Sie ohne
Zweifel über die romantische Episode seines Lebens
unterrichtet, die sich irgendwo jenseits des Ozeans
abgespielt haben soll."
„Ganz oberflächlich, Durchlaucht! Ich begegnete
dem Herrn Grafen zuweilen, als er noch aktiver
Offizier war, und traf ihn, wie gesagt, später im
Hause des Herrn v. Hertlingk wieder. Von seinen
Lebensschicksalen weiß ich nicht viel mehr, als daß
er inzwischen aus einem ziemlich mittellosen Leutnant
zum Majoratsherrn auf Meinbnrg aufgestiegen ist."
„Ja, ja — und wie ich höre, durch eine beinahe
wunderbare Fügung des Geschicks, denn innerhalb
eines einzigen Jahres starben nicht weniger als drei
seiner Verwandten, die zwischen ihm und dem
Majorat standen. Aber der große Besitz ist bei ihm
in die rechten Hände gekommen. Mein alter Freund
Willisen, der sozusagen sein Nachbar ist, wußte nicht
Rühmens genug von der Energie und Schneidigkcit
seiner Verwaltung zu machen."
Der Forstmeister schwieg, und Fürst Vilmar-
stein hielt es für angezeigt, die seinerseits vielleicht
etwas zu vertraulich gewordene Unterhaltung zn be-
enden.
„Nun aber will ich Sie nicht länger anfhalten,
denn ich kann mir denken, wie kostbar Ihnen die
Stunden sind. Ich bitte Sie, heute bei mir zn
speisen, da werden wir ja Gelegenheit finden, noch
über dieses und jenes zu sprechen, was bei unseren
Vorbereitungen bedacht werden muß. Auf Wieder-
sehen also um sechs Uhr, mein lieber Alvörden!"
Er winkte freundlich verabschiedend mit der Hand
und ging mit raschen, etwas trippelnden Schritten
tiefer in den Park, in angemessener Entfernung ge-
folgt von dem Diener, der stets in der Nähe bleiben
mußte, seitdem Seine Durchlaucht vor Jahresfrist
von einer etwas bedenklichen Ohnmacht heimgesucht
worden war.
Der Forstmeister aber schritt langsam seiner un-
fern dem Schlosse gelegenen Dienstwohnung zu, und
der tiefe Ernst seines Antlitzes verriet, daß es sehr
unerfreuliche Gedanken waren, welche die unerwartete
Begegnung mit dem Grafen Meinburg in ihm wach-
gerufen hatte.
künkte; Kapitel.
Das Ristower Waldrevier war von dem Flecken
Girnitz, der fürstlichen Residenz, erst in etwa zwei-
stündiger Wagenfahrt zu erreichen. Meilenweit
dehnte sich der Wald auf hügeligem Terrain am
hoch aufsteigenden östlichen Rande der Insel dahin,
den Sommergästen des neuerdings znm vielbesuchten
Seebad aufblühenden Dorfes Ristow reiche Gelegenheit
zu schönen und ausgedehnten Spaziergängen bietend.
Jetzt, da das Laub der herrlichen alten Buchen
sich bereits herbstlich zu verfärben begann, waren die
sommerlichen Zugvögel allerdings samt und sonders
wieder den heimatlichen Gefilden zugeflogen und
unter den majestätischen Baumkronen herrschte tiefe,
feierliche Stille.
Beinahe lautlos auch rollten die Räder des
leichten Einspänners, den der Forstmeister auf seinen
oft weit ausgedehnten dienstlichen Fahrten zu be-
nutzen pflegte, über den Waldweg dahin. Das Ziel,
dem sie zustrebten, war offenbar jenes alte, burgähn-
liche Gebäude, das sich auf dem höchsten Punkt des
Reviers erhob, mit seinem runden zinnengekrönten
Turm weithin die Gegend beherrschend.
Seine Erbauung fiel noch in die Zeit, da die

Schweden hier ans der Insel das Regiment geführt
hatten. Damals hatte es viele Jahrzehnte hindurch
dem Geschlecht der Cederström zur Residenz gedient
Von den Vilmarstein aber, deren Erster sich sogleich
den prächtigen Palast im Flecken Girnitz erbaut hatte,
war es in ein einfaches Jagdschloß verwandelt
worden, das nur in der dem edlen Weidwerk ge-
widmeten Jahreszeit vorübergehend einige Bewohner
in seinen Manern sah.
Einmal allerdings war cs für mehrere Jahre
wieder zum Range einer fürstlichen Residenz erhoben
worden, ohne daß indessen seine prunklose innere
Einrichtung irgend welche Verschönerung oder Be-
reicherung erfahren hätte. Denn Fürst Axel Vilmar-
stein, der ältere Bruder des jetzigen Familien-
oberhauptes, war ein Sonderling gewesen, ein Stuben-
hocker und unersättlicher Bücherwurm, der in Er-
scheinung und Wesen viel mehr einem stillen,
weltscheuen Gelehrten ähnlich sah, als einem lebens-
freudigen Aristokraten.
Er hatte nach seines Vaters Tod der Mutter uud
den Geschwistern das Girnitzer Schloß überlassen,
und war mit seinen Büchern und Sammlungen nach
Ristow übergesicdelt, nm dort in tiefer Waldesstille
ganz seinen wissenschaftlichen Neigungen zu leben.
Damals hatte das prächtige Forstgebiet anfgehört,
ein wohlgepflegtes Jagdrevier zu sein; denn Fürst
Axel war von Jugend auf ein Verächter dieses ritter-
lichen Vergnügens gewesen, und der Knall eines
Schusses machte ihn nervös. Er gestattete seinen
Forstbeamten kaum, das ständig überhandnehmende
Raubzeug abzuschießen, und die unvermeidliche Folge
seiner Absonderlichkeit war, daß sich der ehedem so
weitberühmte Wildstand auf Ristow nach Verlaus
weniger Jahre in einer recht kläglichen Verfassung
befand.
Hätte nicht Xaver Vilmarstein, der als jüngerer
Bruder damals nur den Grafentitel führte, neben
der ganz in seinen Händen liegenden Verwaltung
des gesamten Familienbesitzes auch der zweckmäßigen
Bewirtschaftung der großen Girnitzer Waldungen
eine besondere Sorgfalt zugewandt, so wäre die Insel
vielleicht für alle Zeiten um ihren bisherigen jagd-
lichen Rus gekommen — ein Verlust, der dem Fürsten
Axel wahrscheinlich sehr wenig Kummer bereitet hätte.
Denn er vergrub sich von Jahr zu Jahr tiefer
in die Schätze, die er mit unermüdlichem Sammel-
eifer nm sich her anhänste. Seine Studien galten
ausschließlich der geschichtlichen und vorgeschichtlichen
Vergangenheit der Insel; und die Herbeischaffung
irgend einer bedeutsamen alten Urkunde oder die
Aufdeckung eines Hünengrabes interessierten ihn mr-
endlich viel mehr, als die Abrechnungen, die ihm
sein Bruder zur Unterfertigung und Prüfung vor-
legte. Als er im besten Mannesalter nach kurzer
Krankheit starb, hinterließ er eine überaus kostbare
Sammlung von Altertümern und eine Bücherei, die,
soweit es sich um die Lieblingsfächer des verewigten
Fürsten handelte, vielleicht kaum ihresgleichen hatte.
Seine letztwillige Verfügung bestimmte, daß alle diese
Schütze nicht in das Girnitzer Schloß überführt werden
dürften, sondern an Ort und Stelle verbleiben
müßten — eine etwas engherzige Anordnung, da sie
in dieser weltfernen Waldeinsamkeit so gut wie ver-
graben waren, während sie als Bestandteile irgend
einer öffentlichen Sammlung der Allgemeinheit sehr
wohl hätten von beträchtlichem Nutzen sein können.
Das Testament des Verstorbenen aber mußte
selbstverständlich respektiert werden. Der alte Kammer-
diener des dahingeschiedenen Fürsten wurde znm
Kastellan des Jagdschlosses und damit znm Hüter
der wissenschaftlichen Kostbarkeiten bestellt, von deren
Fülle und Mannigfaltigkeit unter den naiven Be-
wohnern der Insel die abenteuerlichsten Vorstellungen
und Erzählungen im Umlauf waren. Für die Auf-
nahme einer größeren Anzahl von Jagdgästen war
das Schloß dadurch unbrauchbar geworden. Und
wenn es einmal für längere oder kürzere Zeit einen
Fremden in seinen alten Mauern beherbergte, so war
es sicherlich irgend ein stiller Gelehrter, der bei dein
Fürsten um die stets mit großer Bereitwilligkeit er-
teilte Erlaubnis nachgesncht hatte, die Sammlungen
für seine Studienzwecke zu benutzen. —
Als der Wagen des Forstmeisters vor der zum
Eingangsthor des Jagdschlosses empor führenden
Treppe hielt, erschien aus den oberen Stufen der-
selben ein hochgewachsener junger Mensch in der
Uniform eines Forstgehilfen, der grüßend seine linke
Hand an die Kopfbedeckung legte. Die andere konnte
er dazu nicht wohl benutzen, da er sie nicht mehr
besaß, der rechte Aermel seiner Jacke hing vom
Ellenbogen abwärts schlaff hernieder; und der An-
blick dieser Verkrüppelung wirkte doppelt mitleid-
erregend bei deni kraftvollen, fast herkulischen Körper-
bau des höchstens Vierundzwanzigjährigen.
„Guten Morgen, Hilgert!" rief der Forstmeister
in freundlicher Erwiderung seines Grußes. „Ich
wollte nur auf einen Augenblick vorsprechen, um

mich nach dem Befinden des Professors Meinardus
zu erkundigen. Der alte Herr ist doch wieder wohl-
auf?"
„Der Herr Professor hatte die kleine Unpäßlich-
keit schon gestern vollständig überwunden," lautete
die in ehrerbietigem Tone gegebene Antwort. „Er
ist drinnen im großen Bibliothekzimmer bei der Ar-
beit, — wenn der Herr Forstmeister vielleicht den
Wunsch haben, ihn zu sprechen —"
Alexander v. Alvörden, der noch im Wagen saß,
schien für einen Augenblick unentschlossen. Es war
als hätte er noch eine weitere Frage ans den Lippen.
Aber er sprach sie doch nicht aus, sondern sprang
eine Sekunde später auf das grasüberwucherte Stein-
pflaster und wandte sich an den Kutscher: „Warten
Sie hier, Langschmidt! Ich bin in wenigen Minuten
wieder da, und wir holen die kleine Versäumnis
später schon wieder ein."
Dann stieg er rasch die Treppe empor, und es
war wie der Abglanz einer freudigen Erwartung
ans seinem sonst so ernsten Gesicht.
„Melden Sie mich also bei dem Herrn Professor,
Hilgert! Er ist doch allein?"
„Nur mit dem Fräulein, Herr Forstmeister —
wie immer. Aber sollte es wirklich nötig sein, daß
ich —"
„Ja, ja, melden Sie mich nnr; und sagen Sie,
daß ich unter keinen Umständen stören will, falls ich
etwa gerade in diesem Augenblick ungelegen kommen
sollte."
Soweit die Miene des Einarmigen einen Schluß
ans seine Gedanken gestattete, ließ sich darin lesen,
daß er diese Förmlichkeit für ziemlich überflüssig er-
achtete. Aber er stand zn Alexander v. Alvörden
in dem Verhältnis des Untergebenen und gehorchte,
ohne weitere Einwendungen zu erheben. Wenige
Augenblicke später kam er wieder aus dem ersten
Stockwerk herab mit dem Bescheid: „Herr Professor
Meinardus ist sehr erfreut, den Herrn Forstmeister
zu sehen."
Und nun eilte Alvörden behend die breite Wendel-
treppe hinauf, nm bescheiden an eine der hohen
Flügelthüren zu klopfen und ans das doppelstimmige
„Herein", das ihm von drinnen entgegen tönte, mit
einem sehr heiter und herzlich klingenden Gruße die
Schwelle zu überschreiten.
Der große, sonnenhelle Raum, den er betrat,
mußte mit seinen gewaltigen, ringsum bis zur Decke
reichenden Bücherregalen schon auf den ersten Blick
das Entzücken jeder Gelehrtcnseele bilden. Von den
Geweihen und sonstigen Jagdtrophäen, die einstmals
die Wände geschmückt hatten, war nichts mehr ge-
blieben, nnd der dicke, weiche Teppich, der den Fuß-
boden bedeckte, nm die Tritte der Diener unhörbar
zu machen, ließ gleich dein gewaltigen, grün über-
zogenen Tische inmitten des Gemaches nnd gleich
allen anderen Stücken der überaus schlichten, prunk-
losen Einrichtung unzweideutig erkennen, daß dieser
ehemalige Speisesaal, der so oft von dem Hellen
Gläserklang und der derben Lustigkeit ausgelassener
Jägermahle durchtönt worden war, sich längst in
eine Stätte ernster, stiller Arbeit verwandelt hatte.
Und als eine Stätte ernster Arbeit diente er ohne
Zweifel auch in diesem Augenblick, denn der große
grüne Tisch war nut Büchern nnd Skripturen mehr
als zur Hälfte bedeckt, und in einem der tieflehnigen
Stühle saß ein Mann, dessen feinem Gesicht man
es unschwer ansah, daß sein ganzes Leben einer
rastlosen, nnermüdlichen Geistesarbeit gewidmet ge-
wesen war.
Und es mußte wohl ein langes, gesegnetes Leben
gewesen sein, das ihm so dahingegangen, denn das
lange und noch immer dichte Haar fiel ihm schnee-
weiß in den Nacken hinab, und das blasse Gesicht
war von zahllosen Falten und Fältchen durchzogen.
Aber die großen blauen Augen leuchteten noch
jugendlich hell daraus hervor, und aus den greisen-
haften Zügen sprach die friedliche Heiterkeit eines
mit sich selbst wie mit der Welt in vollster Harmonie
befindlichen Gemütes.
Mit einer Elastizität, die ebensowenig etwas von
seinem eben überstandenen Unwohlsein erkennen ließ,
als davon, daß er das biblische Alter schon nm bei-
nahe fünf Jahre überschritten hatte, erhob sich Pro-
fessor Ludwig Meinardus bei Alvördens Eintritt von
seinem Sitz und streckte ihm die feine, schmale Hand
entgegen.
„Grüß Gott, mein lieber Herr Forstmeister! Sie
kommen wie der Wolf in der Fabel. Denn es sind
noch nicht fünf Minuten vergangen, seitdem wir —
oder vielmehr seitdem meine Enkelin von Ihnen
gesprochen."
Dabei hatte er mit einer kleinen Kopfbewegung
ans das junge Mädchen hingedeutet, das ihm gegen-
über an der Schmalseite des grünen Tisches saß.
Aber es hätte dieses Zeichens nicht bedurft, um die
Aufmerksamkeit des Besuchers auf sie zu lenken. Denn
schon von der Schwelle aus war des Forstmeisters
 
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