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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 23
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https://doi.org/10.11588/diglit.44085#0563
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564

Das Buch für Alle.

Hrst 23.

„O, er wollte sich wohl bloß mal verändern.
Ich glaube, es war ihm nicht hoch genug."
„Nicht hoch genug? Aber ich bitte Sie — dann
hätte er sich doch geradezu auf einem Kirchturm ein-
logieren müssen."
Der Mann zuckte die Achseln. „Es giebt wunder-
liche Känze unter den Künstlern, mein Herr! Zu
Ihnen aber habe ich Vertrauen. Sie sehen so gesund
und so frisch aus. Von Ihnen brauchen wir jeden-
falls nicht zu fürchten, daß auch Sie eines
Tages — —
Er brach plötzlich ab wie jemand, dem wider
seinen Willen eine unvorsichtige Aenßernng entfahren
ist. Ich aber glaubte das Zartgefühl des liebens-
würdigen Mannes richtig zu verstehen und beruhigte
ihn lächelnd.
„Daß ich Ihnen eines Tages mit der Miete
durchgehen würde, meinen Sie? Nein, das brauchen
Sie in der That nicht zn fürchten. — Und wann
kann ich einziehen?"
„Wann es Ihnen beliebt. Je eher, desto besser.
Meinetwegen noch heute." —
Schon am folgenden Mittag nahm ich denn auch
mit der beglückten Empfindung einer sehr vorteil-
haften Veränderung Besitz von meinem neuen
Quartier, und nicht einmal das Stöhnen und
Schimpfen der beiden Menstmcinner, die meine Hab-
seligkeiten herauf schafften
und die damit in der
That ungefähr eine zwei¬
malige Montblancbestei-
gung auszuführen hatten,
vermochte mir die Freude
au dem prächtigen Heim
zu verderben.
Ich wies jedem Dinge
sofort seine richtige Stelle
au, zerschlug mrr beim De¬
korieren des Ateliers bei¬
nahe sämtliche Finger¬
spitzen der linken Hand,
ohne dadurch nennens¬
werte Einbuße an meiner
guten Laune zu erleiden,
und hatte die Genng-
thnung, noch vor Ein¬
bruch des Abends meine
Umgebung in einem recht
wohnlichen und anhei¬
melnden Zustand zu sehen.
Zwischen dem Atelier
und dem Schlafzimmer
gab es zwar eine Thür-
öffnnng, aber keine Thür,
und ich faßte den Ent¬
schluß, diesem Mangel,
den ich erst heute be-
merkte, morgen durch Anbringung eines Vorhanges
abznhelfen. Vorderhand hatte ich ja keinen an-
deren Besuch zu erwarten als den der Aufwärterin,
die mir der Hausverwalter empfohlen hatte, und die
sich um sechs Uhr vorstellen sollte.
Sie fand sich auch pünktlich ein, gab sich mit der
ihrem nützlichen Stande eigenen Würde als eine
Witwe Neumann zu erkennen und teilte mir in
wohlthuender Vertraulichkeit mit, daß sie schon bei
sehr vielen, zumeist sogar sehr vornehmen Jung-
gesellen Aufwartedienste verrichtet habe. Ueber die
Bedingungen waren wir bei der zielbewußten Ent-
schiedenheit der wackeren Frau sehr rasch einig ge-
worden, und ich würde meinerseits nichts gegen die
Beendigung des Besuches eingewendet haben, wenn
nicht die freundliche Dame ersichtlich das Bedürfnis
gefühlt hätte, dem Geschäftlichen noch einiges Persön-
liche folgen zu lassen.
„Die Griebenows sind übrigens heilsfroh, daß sie
endlich einen gefunden haben, der sich nicht grault,
hier einzuziehen," sagte sie mit einem schalkhaften
Augenzwinkern. „Jedermanns Sache wäre das ja !
nnn eben nicht."
„Und warum nicht, Frau Neumann? — Wovor ;
hätte ich mich denn graulen sollen?"
„Herrje, am Ende hat er's Ihnen gar nicht ge-
sagt, der alte Schlauberger. Na, danu brauchen
Sie's ja von mir auch nicht zu erfahren."
„Aber es würde mich doch sehr interessieren. !
Vielleicht spukt es hier oben — wie? Das wäre mir s
außerordentlich erfreulich, denn so etwas habe ich mir
bisher immer vergeblich gewünscht."
„Hören Sie, junger Herr — man soll einen Ge-
wissen nicht an die Wand malen. Ob's spukt, weiß
ich uicht. Aber nicht für tausend Thaler möchte ich
da drinnen schlafen."
„Sie machen mich wirklich neugierig. Was hat
sich denn hier Schreckliches zugetragen?"
„Na, aufgehängt hat er sich, der andere Maler,
der vor Ihnen da gewohnt hat. An dem Fenster-
riegel da soll er gehangen haben, und die Griebenow

mußte acht Tage zu Bette liegen, so hatte sie sich
erschrocken."
Ich bin weder furchtsam uoch abergläubisch; aber
ich muß gestehen, daß es mir bei dieser angenehmen
Eröffnung doch recht unbehaglich kalt über den Rücken
herabrieselte. Das also hatte der freundliche Herr
Griebenow gemeint, als er sagte, daß es meinem
Vorgänger hier oben noch nicht hoch genug gewesen
war und daß er sich mal zu verändern gewünscht
hatte! Und daraus erklärte sich seine Bereitwilligkeit,
mir ohne Prüfung meiner Verhältnisse das Atelier
zu vermieten! Ich bemühte mich indessen, mein
Unbehagen zu verbergen und hinderte die treffliche
Frau nicht, mir noch verschiedene erbauliche Einzel-
heiten über das Aussehen der Leiche und über einige
nervenerregende Zwischenfälle mitzuteilen, die sich
beim Transport derselben ereignet haben sollten.
„Er war immer so ein Heimlicher gewesen,"
schloß sie ihren Bericht, „ein bißchen verrückt und,
wie die Griebenow meint, ein Spiritist. Noch drei
Tage vorher hat er sie gefragt, ob sie an die Wieder-
kehr der Gestorbenen glaube. Er selber glaube daran.
Und er würde ihr ganz gewiß nach seinem Tode er-
scheinen, wenn sie nicht endlich aufhörte, ihn wegen
der rückständigen Miete zu plagen."
„Nnn? Und hat er sein Versprechen gehalten?"
„So gewissermaßen — ja! Sie sagt, daß sie

beinahe jede Nacht von ihm träumt, wie er im Atelier
am Fensterriegel hängt und sie angrinst. Manchmal
soll er sogar mit Armen und Beinen zappeln wie
ein Hampelmann."
Es verlangte mich nicht, noch weiteres zu er-
fahren, und ich fand einen Vorwand, die gute Seele
zu verabschieden, deren Mitteilsamkeit mir doch nach-
gerade ein wenig auf die Nerven fiel. Als sie ge-
gangen war, fielen schon die ersten Schatten der
Dämmerung in das Atelier, und trotz der linden
Luft, die durch das offene Fenster hereinströmte, ver-
spürte ich etwas wie ein leises Frösteln.
„Narrheit!" schalt ich mich selbst. „Du hast ja
den armen Teufel nie gesehen. Was kümmert es
also dich, welches Ende es mit deinem Vorgänger-
genommen!"
Trotzdem war es mir ganz lieb, daß meine Lampe
noch nicht mit Petroleum gefüllt war, und daß ich
somit vor meinem eigenen Gewissen einen stichhaltigen
Vorwand hatte, diesen ersten Abend außer dem Hause
zu verbringen. Noch auf der Treppe und auf der
Straße verspürte ich das fatale Frösteln, das mich
erst am runden Mnsentisch in der trauten Künstler-
kneipe gänzlich verließ.
Es mag sein, daß ich an diesem Abend zwei oder
drei Schöppchen mehr getrunken als sonst; aber es
geschah sicherlich nicht, nm mir Akut zu machen,
sondern weil doch natürlich das große Ereignis des
Wohnungswechsels angemessen begossen werden mußte.
Etwa eine halbe Stunde vor Mitternacht machte
ich mich, von einer plötzlichen Müdigkeit befallen,
auf den Heiniweg. Der Himmel war wolkenlos und
der volle Mond goß verschwenderisch sein silbernes
Licht über die Dächer der Riesenstadt. Aber es wehte
ein scharfer Wind, der mich des öfteren nötigte, nach
der Krempe meines fluchtverdächtigen Hutes zu
greifen. Daß ich das Schlüsselloch der Hcmsthür
erst nach einigem Suchen fand, ließ sich ebensowohl
mit meiner Unkenntnis der neuen örtlichen Verhält-
nisse als mit der Wirkung der genossenen Schöppchen
erklären.

Aber betrunken war ich ganz gewiß nicht.
Wie hätte ich sonst im Hausflur mit solcher
Sicherheit feststellen können, daß sich nur noch vier
Wachszündkerzchen in meiner Schachtel befanden!
Und wie wäre ich im stände gewesen, mit klugem
Bedacht meine Entscheidung dahin zu treffen, daß
mir zwei von ihnen auf der Treppe und die beiden
anderen bei der Nachttoilette oben in meinem Schlaf-
zimmer leuchten sollten!
Etwas außer Atem und ein bißchen schwindlig
laugte ich droben im fünften Stockwerk an, sand
ohne verhängnisvolle Irrungen die rechte Thür und
stieß nicht einmal an das Nachtschränkchen oder an
einen Stuhl, während ich mich mit der Geschwindig-
keit eines Verwandlungskünstlers meiner Kleider ent-
ledigte.
Gerade als das letzte in die Schachtel geklemmte
Züudkerzchen erlosch, zog ich mir mit einer Em-
pfindung wohligen Behagens die Decke über den
müden Leib und schloß die Augen, ohne daß eine
Erinnerung an den unseligen Vorbewohner den
Frieden meiner Seele getrübt hätte.
Ich kann nicht mit Bestimmtheit angeben, wie
lange ich geschlafen. Aber ich erinnere mich sehr-
deutlich des beängstigenden Traumes, der meinem
Erwachen voraufging. Mir träumte, ich stände vor
meiner Staffelei und hätte
das große Gemälde, dessen
Idee ich seit vier Wochen
mit mir Herumtrug, nahe-
zu vollendet. Es war ein
vollkommenes Meister-
werk, nur das Gesicht der
Hauptfigur, eines alle-
gorischen weiblichen We-
sens, war mir aus schier-
unbegreifliche Weise miß-
raten, indem cs statt der
berückend schönen Züge
einer Göttin eine gräß-
lich verzerrte Fratze mit
herabhängendcm Kinn
und greulich verdrehten
Augen zeigte. Ich hatte
Pinsel und Palette in den
Händen und schickte mich
eben an, das abscheuliche
Gesicht mit energischen
Strichen zn übermalen,
als sich ein nie zuvor ge-
sehenes, grausig gestal-
tetes Lebewesen, eine
Schlange mit ungezählten
Füßen und mit dem Kopf
eines Tigers, vor mir
aus dem Boden erhob
und mich, der ich vor Entsetzen völlig gelähmt war,
mit den tausend Ringeln seines Leibes zu umwinden
begann. Ich fühlte, daß das scheußliche Geschöpf
die Absicht habe, mich in seiner Umschlingung zu
erdrücken; aber ich war unfähig, ein Glied zu meiner
Verteidigung zu rühren, und ich mußte es wider-
standslos geschehen lassen, daß der Schlangentiger
oder die Tigerschlange sich um meine Schenkel, meine
Hüften und nun auch um meine Brust legte, eng
und immer enger, daß der Atem mir zn versagen
begann, und daß eine schreckliche Todesangst sich
meiner bemächtigte.
Da aber, als das Ungetüm, das überdies merk-
würdigerweise fortwährend seine Gestalt wechselte,
eben eine letzte energische Anstrengung zu machen
schien, um das arme, zitternde Lebensfünkchen in
meiner Brust zn ersticken — als ich seine gräßlichen
grünen Augen dicht vor meinem Antlitz phosphores-
zieren sah, löste sich zu meinem Glück die Erstarrung,
die meine Glieder so lange gefesselt hatte. Ich stieß
einen gellenden Angstschrei ans, machte eine ver-
zweifelte Bewegung und — erwachte.
Ein paar Sekunden vergingen, ehe ich die Nach-
wirkungen der im Traume ausgestandenen Augst ab-
geschüttelt uud mich völlig in die Wirklichkeit zurück-
gefunden hatte. Daß ich noch im Moment des
Erwachens die Empfindung gehabt, als glitte etwas
Dunkles, Lebendiges, schlangenhaft Bewegliches über
mich dahin, war ohne Zweifel nur eine Sinnes-
täuschung, ein Nachzittern der erregten Nerven ge-
wesen. Denn jetzt, da ich wieder mit vollem Bewußt-
sein zwischen Traum und Wahrheit zu uuterscheideu
vermochte, war nichts mehr davon zn spüren. Meine
Umgebung aber schien mir seltsam verändert im Ver-
gleich zu dem angenehmcn und behaglichen Eindruck,
den ich bei Hellem Tageslicht von ihr empfangen.
Ich hatte durch die unverschlossene Thüröffnung einen
vollen Ueberblick über das Atelier, und ich konnte
! jeden Gegenstand darin mit unzweifelhafter Dent-
! lichkeit erkennen, da es fast in seiner ganzen Aus-
i dehnnng von licht-bläulichem Mondschein erfüllt war.

llnkunlt 6e; König; killonio XIII. von Spanien vor äem liongrehgebauäe in lllaäriö. (8. Löt)
 
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