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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 24
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578

Heft 24.

War sie allem Anschein nach anfangs wirklich
etwas zornig auf ihn gewesen, so glitt jetzt schon
wieder ein heiteres Lächeln über ihr reizendes Ge-
sicht. „Gut also für mich, daß das Schicksal Ihnen
dieses Glück versagt hat," erwiderte sie. „Aber da-
mit Sie nicht etwa noch einmal die Lust anwandelt,
auf meinen armen und wehrlosen Cäsar zu schießen,
so lassen Sie sich's gesagt sein, daß er das Privat-
eigentum des Herrn Forstmeisters v. Alvörden und
meiner besonderen Obhut anvertraut ist. Jeder, der
ihm ein Leid zufügt, würde es also mit uns beiden
zu thun bekommen. Oder vielleicht auch mit uns
dreien," fügte sie mit einem freundlichen Blick auf
den Forstgehilfen hinzu, „nicht wahr, Hilgert?"
Ter Einarmige, der eine dienstliche Haltung an-
genommen hatte, wie wenn ihm statt der jungen
Dame ein Vorgesetzter gegenüberstände, murmelte
mit verlegener Miene etwas Unverständliches vor
sich hin. Ueber das sonnengebräunte Gesicht des
Grafen aber hatte sich's bei der Erwähnung seines
Feindes wieder wie ein tiefer Schatten gelegt, und
er zerrte nervös an seinem Schnurrbart.
Mußte ihm deuu hier auf Schritt und Tritt
dieser verhaßte Name begegnen? Und mußte ihm
die Freude an dem reizenden Abenteuer, das so viel-
versprechend zu beginnen schien, gleich wieder durch
die Erinnerung an die Existenz jenes Menschen ge-
trübt werden?
Eine sarkastische Antwort hatte sich ihm auf die
Lippeu drängen wollen, aber als sich ihm jetzt das
Gesicht der schönen Unbekannten wieder zukehrte,
blieb sie unausgesprochen. Es hatte vielmehr ledig-
lich den Klang einer aufrichtigen und herzlichen Be-
sorgnis, als er sagte: „Als der Herr Forstmeister
Ihnen einen so bedenklichen Schützling anvertraute,
geschah es sicherlich nicht in der Erwartung, daß Sie
sich auf derartige Wagnisse einlassen würden. Er
hätte sich ja im anderen Fall eines geradezu un-
verantwortlichen Leichtsinns schuldig gemacht."
„Nein, nein, der Herr Forstmeister hat mir sogar
aufs strengste verboten, das Gehege zu betreten.
Und wenn Sie mit ihm bekannt sind, dürfen Sie's
ihm nicht verraten, daß ich gegen seinen Befehl ge-
sündigt. Ich bitte Sie darum recht herzlich — Sie
müssen nnr's fest versprechen."
Er verbeugte sich sehr artig, und mit einem
Lächeln, das sie erröten machte, erwiderte er: „Ich
kann nur bedauern, gnädiges Fräulein, daß die
Bitte, die Sie da an mich richten, eine so leicht zu
erfüllende ist. Denn es würde mich glücklich machen,
wenn meine Bereitwilligkeit, Ihnen zu dienen, ans
eine etwas härtere Probe gestellt werden könnte. —
Aber verzeihen Sie — die sonderbaren Umstände,
unter denen unsere Bekanntschaft sich angeknüpft
hat, müssen es entschuldigen, wenn ich bisher verab-
säumt habe, mich Ihnen vorzustellen. Gras Mein-
burg — ein Gast und Bewunderer dieser herrlichen
Insel, die ihm allstündlich neue und überraschende
Schönheiten offenbart."
Der Blick, von dem diese letzten Worte begleitet
waren, konnte Renate kaum im Zweifel darüber
lassen, wie sie gemeint seien. Aber sie schien den-
noch unbefangen genug, sie nur auf die Natur-
schönheiten des gesegneten Eilandes zu beziehen, da
sie lebhaft zurückgab: „Ach ja, es giebt gewiß kaum
ein reizenderes Erdenfleckchen, als dies. Und ich
denke schon jetzt mit Bangen an die Stunde, da ich
genötigt sein werde, es zu verlassen."
„So befinden sich gnädiges Fräulein auch nur
zu vorübergehendem Aufenthalt auf der Insel?"
Seine Frage erinnerte Renate daran, daß es
doch eigentlich eine Pflicht der Höflichkeit sei, ihm
auch über ihre Person einige Aufschlüsse zu geben.
Und sie that es in der noch halb kindlich offen-
herzigen Weise, die so gut zu ihrem allerliebsten
Aussehen paßte und sie so entzückend kleidete. Als
er erfuhr, daß sie im Waldschloß wohne, und daß
es ihre Absicht sei, jetzt dahin zurückzukehren, bat
Meinburg um die Erlaubnis, sic zu begleiten, da
ihn sein Wagen dort erwarte. Wenn er sich an-
fänglich einen etwas freieren Ton gegen sie gestattet
hatte, vermutlich, weil er sie für irgend ein Försters-
töchterchen oder dergleichen gehalten, so war er jetzt,
nachdem er den berühmten Namen ihres Großvaters
vernommen, nur noch der höfliche Kavalier von
tadellos weltmännischen Manieren. Und Renate,
der trotz der aufrichtigen Freude an ihrer Wald-
einsamkeit eine kleine Abwechslung vielleicht nicht
unwillkommen war, mußte an seinem gewandten
Geplauder wohl aufrichtiges Wohlgefallen finden,
da sie während ihrer gemeinsamen Wanderung nach
dem Waldschloß wiederholt hell und fröhlich auf-
lachte. Meinburgs Entzücken aber steigerte sich mit
jeder Minute. Seine blitzenden Augen hingen un-
verwandt an ihr, und seine Wangen färbten sich
dunkler, wenn seine Hand bei dem ritterlichen Be-
mühen, einen überhängenden Zweig zur Seite zu
biegen, für einen Moment flüchtig ihr Gewand streifte.

Das Buch für Alle.
Als sie die weite Lichtung betraten, auf der sich
das Waldschloß erhob, konnte es für einen dritten
recht wohl den Anschein gewinnen, als seien sie in
vertraulichster Unterhaltung begriffen. Und einen
solchen Eindruck hatte vielleicht auch der Forstgehilfe
Hilgert, der ihnen vom Adlergehege her in einiger
Entfernung gefolgt war, zu weit, um den Sinn der
Worte zu verstehen, die sie miteinander wechselten,
und doch nahe genug, daß ihm keine ihrer Be-
wegungen entging.
Aber es sah nicht aus, als ob er Vergnügen an
Renatens Fröhlichkeit hätte, denn wie eine düstere
Wolke legte sich's jedesmal über sein Gesicht, wenn
ihr silberhelles Auflachen ihm an das Ohr klang,
und der Blick, mit dem seine Augen unverwandt auf
die elegante Gestalt des Grafen gerichtet waren,
deutete auf alles andere eher, als auf eine freund-
liche Gesinnung.

Neunte; Kapitel.
Als der Jagdwagen Meinburgs wieder am Schloß
Girnitz vorfuhr, hatte die Sonne ihre Mittagshöhe
bereits um ein Beträchtliches überschritten. Aber die
Stunde des Diners war noch nicht gekommen, und
der Graf erfuhr auf seine Frage, daß das fürstliche
Ehepaar auf einer Spazierfahrt begriffen sei. Er
begab sich in seine Gemächer, um Toilette zu machen,
und in dem kleinen Vorzimmer stieß er auf die
Kammerjungfer seiner Gemahlin.
Es wäre gewiß auffallend gewesen, wenn er sich
nicht bei ihr nach der Gräfin erkundigt hätte, die er
ja heute noch gar nicht gesehen, und so fragte er sie
in möglichst unbefangenem Tone, ob ihre Gebieterin
sich etwa den fürstlichen Herrschaften angeschloffen
hätte. Er hatte kaum erwartet, eine bejahende Ant-
wort zu erhalten, und es überraschte ihn nicht, als die
Dienerin ihm mitteilte, die Frau Gräfin litte an
heftiger Migräne und wäre nicht einmal im stände
gewesen, Ihre Durchlaucht die Frau Fürstin zu em-
pfangen, die sich persönlich nach ihrem Befinden hätte
erkundigen wollen. Die Auskunft gewährte ihm sogar
eine gewisse Erleichterung, denn er durfte ja daraus
schließen, daß seine Frau nicht die Absicht habe',
einen Skandal herbeizuführen, und daß nach einigen
Tagen des Schmollens alles wieder in den gewohnten
Geleisen weitergehen würde. Er beauftragte das
Mädchen, ihrer Herrin seine Wünsche für ihre bal-
dige Herstellung zu übermitteln, und ging in sein
Toilettezimmer. Als er nach einer halben Stunde
fertig augekleidet und ersichtlich in ausgezeichneter
Laune den Salon wieder betrat, fand er an der
Thür desselben einen fürstlichen Lakaien, der dort
schon eine Weile auf ihn gewartet zu haben schien
und ihm auf silberner Platte eine Visitenkarte über-
reichte.
„Der Herr fragte heute bereits zum drittenmal
nach dem Herrn Grafen," fügte der Diener ehr-
erbietig hinzu, „und er läßt dringend um eine, wenn
auch nur kurze Unterredung bitten."
Meinburg preßte die Lippen zusammen und seine
Stirn furchte sich tief, als er den Namen auf der
Karte gelesen. Aber er beherrschte sich und fragte
kurz: „Wohin haben Sie den Herrn geführt?"
„Er befindet sich unten im Vorzimmer des
kleinen Empfangsalons, Herr Graf!"
„Gut! Sagen Sie ihm, ich würde sogleich er-
scheinen."
„Zu Befehl, Herr Graf!"
Der Lakai entfernte sich, und Meinburg ging,
nachdem er die eben angezündete Zigarette mit
heftiger Handbewegung in eine Aschenschale geworfen,
ein paarmal ungestüm auf uud nieder, wie wenn
er seine durch die unerwartete Meldung hervor-
gerufene Erregung erst beschwichtigen müsse, ehe er
sich entschloß, seinem ehemaligen Freunde gegenüber
zu treten.
Wie er dann aber fünf Minuten später die
Schwelle des Gemaches überschritt, in welchem Hoß-
feld auf ihu wartete, war sein Gesicht eiskalt und
seine Haltung die eines Mannes, der von keiner
anderen Empfindung so weit entfernt ist, als von
der der bleichen Furcht.
Niemand vernahm, was die beiden eine halbe
Stunde lang mit gedämpfter Stimme und in fran-
zösischer Sprache miteinander redeten. Aber es
mußten wohl wichtige und bedeutsame Dinge ge-
wesen sein; denn die Stimme des Grafen klang zu-
letzt heiser vor Erregung, und sein scharf geschnittenes
Gesicht hatte jene fahle Färbung angenommen, die
bei ihm immer ein sicheres Anzeichen hochgradiger
Aufregung war.
Auch die Wangen des Herrn v. Hoßfeld hatten sich
merklich höher gerötet; aber die Ursachen, die sein
Blut in lebhaftere Wallung versetzt hatten, mußten
wohl andere gewesen sein als bei dem Grafen. Denn
er sah recht zufrieden aus. Und als er jetzt ein

kleines, längliches Blatt, das er aus den Händen
Meinburgs empfangen, mit großer Sorgfalt in feiner
Brieftasche unterbrachte, spielte sogar ein behagliches
Lächeln um seine Lippen.
„Ich wußte es ja, daß Sie mich nach allem,
was ich für Sie gethan, nicht im Stiche lassen
würden, Herr Graf," sagte er — ebenso wie in der
ganzen bisherigen Unterhaltung auf die frühere ver-
traulichere Form der Anrede verzichtend — in einem
Tone, der gewiß sehr ehrerbietig sein sollte, in dem
ein feines Ohr aber sehr wohl den leisen Anklang
von Sarkasmus hätte vernehmen können, „aber ich
brauche Ihnen hoffentlich nicht erst zu versichern,
wie schwer es mir geworden ist, mich zu diesem
peinlichen Appell an Ihre Großmut zu entschließen.
Und ich gebe Ihnen mein Ehrenwort —"
„Lassen wir das," fiel Meinburg ungeduldig
und mit einem kaum verhehlten Ausdruck der Ver-
achtung ein. „Ich brauche Ihr Ehrenwort so wenig,
als irgend welche anderen Versicherungen; denn ick)
glaube Ihnen klar genug gesagt zu haben, woran wir
miteinander sind. Wenn Sie mich etwa als ein geeig-
netes Objekt für fortgesetzte Erpressungen ansehen, so
befinden Sie sich in einem sehr gründlichen Irrtum.
Was ich heute für Sie thue, thue ich wirklich nur
aus Mitleid und in Anbetracht gewisser Gefälligkeiten,
die Sie mir früher einmal erwiesen haben — nicht
aber aus Furcht. Der kleinste Versuch, mir durch
mehr oder weniger phantastische Indiskretionen zu
schaden, brächte Sie unfehlbar vor den Richter."
Herr v. Hoßfeld lächelte noch immer; aber sein
Lächeln hatte jetzt einen recht bösartigen Charakter.
„Da wir uns ja zu meiner Freude in bestem Ein-
vernehmen trennen werden, ist es wohl eigentlich
überflüssig, zu erörtern, welche Nachteile einer von
»ns dem anderen durch etwaige Indiskretionen zu-
zufügen vermöchte. Ich für meine Person, verehrter
Herr Graf, müßte es wenigstens ablehnen. Ihnen
auf dieses unerquickliche Gebiet zu folgern"
„Es ist mir auch durchaus nicht darum zu thun,
Ihre Meinung zu erfahren — genug, daß Sie die
meinige kennen, lind nun —"
Er trat einen Schritt zurück, indem er zugleich
eine Handbewegung machte, die mehr deutlich als
höflich den Sinn der fehlenden Worte ergänzte.
Hoßfeld aber schien noch keineswegs gewillt, das
Gespräch zu enden. „Noch einen Augenblick, Herr
Graf! Ohne daß ich mich zu irgend welcher Ein-
mischung in Ihre privaten und häuslichen An-
gelegenheiten berechtigt glaube, würde ich mich doch
für den undankbarsten aller Menschen halten müssen,
wenn ich es unterließe. Sie vor einer Gefahr zu
warnen, von der ich Sie bedroht weiß."
„Vor einer Gefahr - mich?" fragte Meinbnrg
geringschätzig. „Sie sollten in der Lage sein, mich zu
warnen?"
„So ist es. Und Sie sollten mir ein klein wenig
erkenntlich sein, wenn ich mich ans aufrichtigem
Interesse für Sie dazu herbeilasse, gewissermaßen den
Angeber zu machen — ein Geschäft, das mir sonst
kcineswegs sympathisch und geläufig ist."
„So sollten Sie auch diesmal darauf verzichten,
es zu betreiben," fiel der Graf ihm kalt in die Rede.
„Auf eine weitergehende Erkenntlichkeit, als ich sie
Ihnen vorhin gezeigt habe, dürften Sie sich unter
keinen Umständen Rechnung machen."
„Sie mißverstehen mich. Nicht um eine Beloh-
nung ist mir's zu thun, sondern nur um die Genug-
thuung des Bewußtseins, Ihnen auch meinerseits
einen Dienst erwiesen zu haben. Denn es kann
Ihnen, wie ich meine, unmöglich ganz gleichgültig
sein, wenn unser gemeinschaftlicher Freund von ehe-
dem, Herr Forstmeister v. Alvörden, nächtlicherweile
den Besuch einer Person empfängt, die Ihnen näher
steht als irgend eine andere auf Erden."
Gras Meinburg fuhr auf, als wäre ihm ein
Peitschenhieb versetzt worden, und für einen Augen-
blick vergaß er über dem Zorn, den der Klang des
verhaßten Namens und die unerhörte Bezichtigung
in ihm entflammt hatte, sogar die mit Rücksicht
auf den Ort ihrer Unterredung gebotene Vorsicht.
„Das ist eine nichtswürdige, infame Lüge!" rief er
mit lauter Stimme. „Und wenn ich nicht zu Ihrem
Glück bedächte, wer Sie sind, sollten Sie sie mir,
bei Gott, teuer bezahlen."
Vielleicht war der Denunziant auf eineu der-
artigen Ausbruch vorbereitet gewesen, denn derselbe
brachte ihn nicht einen Augenblick aus der Fassung.
„Ihr Zweifel an der Wahrscheinlichkeit meiner
Worte darf mich nicht beleidigen; denn er ist nur-
natürlich," sagte er sehr artig, und mit einem An-,
flug von Bedauern, der nicht danach augethau war,
die Laune des Grafen zu verbessern. „Auch ich
würde ja vermutlich jeden für einen Narren oder
für einen Verleumder erklärt haben, der mir etivas
derartiges von der Frau Gräfin erzählt hätte. Aber
was ich mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen
Ohren gehört habe, muß ich doch wohl glauben."
 
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