Ljrst 24.
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Das Bn ch f Li r All e.
Die Straßen, sowie die Fenster und Bodenluken der
Dächer waren mit jubelnden und mit Tüchern winken-
den Menschen besetzt. Von den Flaggenmasten wehten
Banner mit den Wappen des Reiches und Nürnbergs
Und Fahnen in den deutschen, bayerischen, württem-
bergischen, sächsischen, badischen und österreichischen
Farbett. Am Färberthor machte der Zug Halt, und
der Kaiser nahm hier in Gegenwart der Kaiserin, für die
ein prächtiges Zelt errichtet worden war, und der übrigen
Fürstlichkeiten den Vorbeimarsch der Truppen ab.
Dann ging der Zug hinauf in die Burg. Um 2 Uhr
Nachmittags begabett sich die Fürstlichkeiten in die Waffen-
halle des Museums, wo die Abordnungen, sämtliche
Würdenträger und die Herren und Damen des Gefolges
bereits versammelt waren. Der Kaiser verlas selbst die
Stistungsurkunde, durch welche er dem Germanischen
Museum eine Sammlung deutscher Kaisersiegel, die von
den Karolingern bis ans die Gegenwart reicht und in
einen kostbaren, altdeutschen
Schrein eingeschlossen ist, als
Geschenk darbot. Die kaiser-
liche Urkunde schließt mit den
wärmsten Wünschen für das
Gedeihen des Museums als
Hüter großerUeberliefernngen,
Mehrer deutscher Kunst und
Wissenschaft und Bewahrer
kostbarer Denkmäler, die den
Werdegang des deutschen Vol-
kes vor Augen führen. Nach
einem Rundgang durch das
Museum begann die Auffüh-
„ rung zweier Reimspiele von
liuguits dctunnlt s-, Hans Sachs durch den Nürn-
berger Turnverein, die mit ur-
wüchsiger Derbheit wiedergegeben wurden, und die groß-
artige Feier schloß mit einem Festmahle im Rathause,
das die Stadt Nürnberg den erlauchten Gästen gab. —
In Leipzig starb Auguste Schmidt, in welcher die
deutsche Frauenbewegung eine ihrer thatkräftigsten Vor-
kämpferinnen verloren hat. Geboren am 3. August 1838
in Breslau als Tochter eines Offiziers, wandte sie sich
dem Lehrerinnenberufe zu und wurde, nachdem sie eine
Reihe von Jahren an der Breslauer höheren Töchter-
schule gewirkt hatte, im Jahre 1862 Leiterin des Steyber-
schen Institutes in Leipzig, das mit einem Lehrerinnen-
seminar verbunden war und 1870 in ihren Besitz überging.
Hand in Hand mit ihrer Lehrthätigkeit gingen ihre Bestre-
bungen zur Hebung der Frauenarbeit und Frauenbildung.
1866 gründete sie mit Luise Otto-Peters den Leipziger
Frauenbildungsverein, aus dem der Allgemeine Deutsche
Frauenverein hervorging, in dem sie lange Jahre zweite,
seit 1895 erste Vorsitzende war. 1892 gab sie die Leitung
ihrer Lehrinstitute auf, um sich ganz der Frauenbewegung
widmen zu können. Auch war sie Herausgeberin der
pädagogischen Monatsschrift „Neue Bahnen".
Eine nicht geringe Leistung der deutschen Ingenieur-
kunst war die Verschiebung der Reichenbachbrücke in
München, die im Zügö der Frauenhosersträße die Isar
Überspannt. Die alte, auf hölzernen Jochen ruhendeÄrücke
soll durch einen Neubau ersetzt werden. Es handelte
sich also einerseits darum, die Stelle für die neue Brücke
frei zu bekommen, und andererseits zur Aufrechthaltung
des Verkehrs die alte Brücke bis zur Fertigstellung der
Neuen noch zu benutzen. Diese Aufgabe ist gelöst wordeN,
indem man seitwärts im Flußbett in 26 Meter Ent-
fernung provisorische Holzjoche aufstellte, diese durch
Balkengerüste mit den alten Jochen verband und dann
die Brückenbahn um die angegebene Entfernung ver-
schob, bis sie auf den provisorischen Jochen ruhte. Die
schwierige Arbeit ging unter Leitung des Ingenieurs
Grüb vortrefflich von statten. Nachdem 36 starke Hebe-
winden unter den 12 alten Brückenjochen, und 11 Zug-
winden auf der Brückenbahn angebracht worden waren,
hoben erstere, auf ein Pfeifensignal die. Brückenbahn von
den Jochen ab, und auf ein Huppensignal zogen die
11 Winden, welche die Fortbewegung herbeiführen sollten,
an. Langsam und kaum merklich kam die Brücke in Be-
wegung. Die nach kurzer Zeit vorgenömmene Prüfung
ergab, daß die Brücke, ohne den geringsten Schaden zu
erleiden, 6 Eentinieter vorgerückt war. Es folgten dann
in regelmäßigen Pausen Fortschritte von 11,18,28,45 Centi-
meter u.s. w. Nach 3 Tagen war das Werk vollendet. Die
Brücke ruhte Unbeschädigt auf den neuert Jochen. —
Das 50j äh rige Jubiläum d es G crmanisch en
Aationalmufeums in Nürnberg gestaltete sich zü
einer großartigen Festlichkeit, an der nicht rtur die Be-
wohner der altert Reichsstadt, sondern auch der Kaiser,
die Kaiserin, Prinzregent
Luitpold von Bayern,
König Wilhelm II. von
Württemberg, Großher-
zog Friedrich von Baden
und die höchsten. Wür-
denträger des Reiches,
der Bundesstaaten, sowie
die Vertreter gelehrter
Anstalten Deutschlands,
Oesterreichs und der
Schweiz teilnahmen. Die
Einleitung zur Jubelfeier
bildete ein Festakt in der
Neuen gotischen Waffen-
halle des Museums, ein
Festkonzert d er königlichen
Vokalkapelle aus Mün-
chen in der Lorenzkirche
und ein Festmahl. Am
folgenden, dem Hauptfest-
tage, trafen kurz nachein-
ander die oben genann-
ten Fürstlichkeiten auf dem
Nürnberger Bahnhofe ein
und begaben sich nach
stattgefundener Begrü-
ßung durch den Bürger-
meister v. Schuh unter
dem Jubel der versam-
melten Menge, dem Läu-
ten der Glocken und dem
Donnern der Kanonen
in glänzendem Zuge durch
die mit Fahnen, Blumengewinden und Triumphbogen ge-
schmückten Straßen nach der Altstadt. Vorauf fuhr der
Regierungspräsident und der Bürgermeister. Den Zug
eröffnete eine Schwadron Bamberger Ulanen. Von
Ordonnanzoffizieren zu Pferde geleitet und mit Spitzen-
reitern folgte der vierspännige offene Wagen mit dem
Kaiser und dem Prinzregenlen, welche nach allen Seiten
freundlichst dankten, im zweiten gleichen Wagen die
Kaiserin mit der Prinzessin Leopold. Hierauf kam eine
Schwadron Chevaulegers, dann im offenen Vierspänner
der König von Württemberg mit dem Prinzen Ludwig,
der Großherzog von Baden mit dem Prinzen Leopold.
Dis lleickenbackbrücke in Wncken am 3. Lage äer Vsricbiedung.
Nach einer Photographie von Eeorg peNsnüorker in München.
Da; 5Ojäbrige Jubiläum <ie; Sermaniicken Nationalmuseum; in Nürnberg: Vorbeimarkck äsr Lruppen vor äen kürltlickkeiten.
Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt. Uedsrsetzungsrecht Vorbehalten.
Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Theodor Freund in Stuttgart, Druck und Verlag der Union Deutsche Berlagsgesellschaft in Stuttgart.
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Das Bn ch f Li r All e.
Die Straßen, sowie die Fenster und Bodenluken der
Dächer waren mit jubelnden und mit Tüchern winken-
den Menschen besetzt. Von den Flaggenmasten wehten
Banner mit den Wappen des Reiches und Nürnbergs
Und Fahnen in den deutschen, bayerischen, württem-
bergischen, sächsischen, badischen und österreichischen
Farbett. Am Färberthor machte der Zug Halt, und
der Kaiser nahm hier in Gegenwart der Kaiserin, für die
ein prächtiges Zelt errichtet worden war, und der übrigen
Fürstlichkeiten den Vorbeimarsch der Truppen ab.
Dann ging der Zug hinauf in die Burg. Um 2 Uhr
Nachmittags begabett sich die Fürstlichkeiten in die Waffen-
halle des Museums, wo die Abordnungen, sämtliche
Würdenträger und die Herren und Damen des Gefolges
bereits versammelt waren. Der Kaiser verlas selbst die
Stistungsurkunde, durch welche er dem Germanischen
Museum eine Sammlung deutscher Kaisersiegel, die von
den Karolingern bis ans die Gegenwart reicht und in
einen kostbaren, altdeutschen
Schrein eingeschlossen ist, als
Geschenk darbot. Die kaiser-
liche Urkunde schließt mit den
wärmsten Wünschen für das
Gedeihen des Museums als
Hüter großerUeberliefernngen,
Mehrer deutscher Kunst und
Wissenschaft und Bewahrer
kostbarer Denkmäler, die den
Werdegang des deutschen Vol-
kes vor Augen führen. Nach
einem Rundgang durch das
Museum begann die Auffüh-
„ rung zweier Reimspiele von
liuguits dctunnlt s-, Hans Sachs durch den Nürn-
berger Turnverein, die mit ur-
wüchsiger Derbheit wiedergegeben wurden, und die groß-
artige Feier schloß mit einem Festmahle im Rathause,
das die Stadt Nürnberg den erlauchten Gästen gab. —
In Leipzig starb Auguste Schmidt, in welcher die
deutsche Frauenbewegung eine ihrer thatkräftigsten Vor-
kämpferinnen verloren hat. Geboren am 3. August 1838
in Breslau als Tochter eines Offiziers, wandte sie sich
dem Lehrerinnenberufe zu und wurde, nachdem sie eine
Reihe von Jahren an der Breslauer höheren Töchter-
schule gewirkt hatte, im Jahre 1862 Leiterin des Steyber-
schen Institutes in Leipzig, das mit einem Lehrerinnen-
seminar verbunden war und 1870 in ihren Besitz überging.
Hand in Hand mit ihrer Lehrthätigkeit gingen ihre Bestre-
bungen zur Hebung der Frauenarbeit und Frauenbildung.
1866 gründete sie mit Luise Otto-Peters den Leipziger
Frauenbildungsverein, aus dem der Allgemeine Deutsche
Frauenverein hervorging, in dem sie lange Jahre zweite,
seit 1895 erste Vorsitzende war. 1892 gab sie die Leitung
ihrer Lehrinstitute auf, um sich ganz der Frauenbewegung
widmen zu können. Auch war sie Herausgeberin der
pädagogischen Monatsschrift „Neue Bahnen".
Eine nicht geringe Leistung der deutschen Ingenieur-
kunst war die Verschiebung der Reichenbachbrücke in
München, die im Zügö der Frauenhosersträße die Isar
Überspannt. Die alte, auf hölzernen Jochen ruhendeÄrücke
soll durch einen Neubau ersetzt werden. Es handelte
sich also einerseits darum, die Stelle für die neue Brücke
frei zu bekommen, und andererseits zur Aufrechthaltung
des Verkehrs die alte Brücke bis zur Fertigstellung der
Neuen noch zu benutzen. Diese Aufgabe ist gelöst wordeN,
indem man seitwärts im Flußbett in 26 Meter Ent-
fernung provisorische Holzjoche aufstellte, diese durch
Balkengerüste mit den alten Jochen verband und dann
die Brückenbahn um die angegebene Entfernung ver-
schob, bis sie auf den provisorischen Jochen ruhte. Die
schwierige Arbeit ging unter Leitung des Ingenieurs
Grüb vortrefflich von statten. Nachdem 36 starke Hebe-
winden unter den 12 alten Brückenjochen, und 11 Zug-
winden auf der Brückenbahn angebracht worden waren,
hoben erstere, auf ein Pfeifensignal die. Brückenbahn von
den Jochen ab, und auf ein Huppensignal zogen die
11 Winden, welche die Fortbewegung herbeiführen sollten,
an. Langsam und kaum merklich kam die Brücke in Be-
wegung. Die nach kurzer Zeit vorgenömmene Prüfung
ergab, daß die Brücke, ohne den geringsten Schaden zu
erleiden, 6 Eentinieter vorgerückt war. Es folgten dann
in regelmäßigen Pausen Fortschritte von 11,18,28,45 Centi-
meter u.s. w. Nach 3 Tagen war das Werk vollendet. Die
Brücke ruhte Unbeschädigt auf den neuert Jochen. —
Das 50j äh rige Jubiläum d es G crmanisch en
Aationalmufeums in Nürnberg gestaltete sich zü
einer großartigen Festlichkeit, an der nicht rtur die Be-
wohner der altert Reichsstadt, sondern auch der Kaiser,
die Kaiserin, Prinzregent
Luitpold von Bayern,
König Wilhelm II. von
Württemberg, Großher-
zog Friedrich von Baden
und die höchsten. Wür-
denträger des Reiches,
der Bundesstaaten, sowie
die Vertreter gelehrter
Anstalten Deutschlands,
Oesterreichs und der
Schweiz teilnahmen. Die
Einleitung zur Jubelfeier
bildete ein Festakt in der
Neuen gotischen Waffen-
halle des Museums, ein
Festkonzert d er königlichen
Vokalkapelle aus Mün-
chen in der Lorenzkirche
und ein Festmahl. Am
folgenden, dem Hauptfest-
tage, trafen kurz nachein-
ander die oben genann-
ten Fürstlichkeiten auf dem
Nürnberger Bahnhofe ein
und begaben sich nach
stattgefundener Begrü-
ßung durch den Bürger-
meister v. Schuh unter
dem Jubel der versam-
melten Menge, dem Läu-
ten der Glocken und dem
Donnern der Kanonen
in glänzendem Zuge durch
die mit Fahnen, Blumengewinden und Triumphbogen ge-
schmückten Straßen nach der Altstadt. Vorauf fuhr der
Regierungspräsident und der Bürgermeister. Den Zug
eröffnete eine Schwadron Bamberger Ulanen. Von
Ordonnanzoffizieren zu Pferde geleitet und mit Spitzen-
reitern folgte der vierspännige offene Wagen mit dem
Kaiser und dem Prinzregenlen, welche nach allen Seiten
freundlichst dankten, im zweiten gleichen Wagen die
Kaiserin mit der Prinzessin Leopold. Hierauf kam eine
Schwadron Chevaulegers, dann im offenen Vierspänner
der König von Württemberg mit dem Prinzen Ludwig,
der Großherzog von Baden mit dem Prinzen Leopold.
Dis lleickenbackbrücke in Wncken am 3. Lage äer Vsricbiedung.
Nach einer Photographie von Eeorg peNsnüorker in München.
Da; 5Ojäbrige Jubiläum <ie; Sermaniicken Nationalmuseum; in Nürnberg: Vorbeimarkck äsr Lruppen vor äen kürltlickkeiten.
Unberechtigter Nachdruck aus dem Inhalt dieser Zeitschrift untersagt. Uedsrsetzungsrecht Vorbehalten.
Herausgegeben unter verantwortlicher Redaktion von Theodor Freund in Stuttgart, Druck und Verlag der Union Deutsche Berlagsgesellschaft in Stuttgart.