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Das Buch für Alle.
Heft 25.
der immer voll zärtlichster Be-
sorgnis um das Wohl seines
Lieblings war. „Unter solchen
Umständen werden Sie uns
allerdings sür diesmal entschul-
digen müssen, mein lieber Herr
v. Alvörden! Vor unserer Ab-
reise, denke ich, kommen wir
noch einmal herüber."
Der Forstmeister mußte
aus Höflichkeit um die Er-
laubnis bitten, die Herrschaf-
ten bis in das Schloß zu ge-
leiten. Aber er hatte keine
Freude an der Verlängerung
ihres Beisammenseins; denn
Renate, die an der anderen
Seite ihres Großvaters ging,
gönnte ihm weder ein Wort
noch einen Blick. Und als er
sich dann in der Halle des
Schlosses von ihnen verab-
schiedete, neigte sie nur in
stummer Erwiderung seines
Grußes den Kopf.
Raschen Schrittes ging er
davon. Professor Meinardus
aber konnte sich, während sie
dem Lakaien folgten, nicht
enthalten, zu fragen: „War es
keine Täuschung, Kind, oder
hast du den Forstmeister wirk-
lich anders behandelt als
sonst? Er hat dir doch nicht
etwa während meiner Abwe-
senheit eine Veranlassung dazu
gegeben?"
„Nein, nein!" versicherte
sie hastig. „Aber nicht wahr,
dn wirst es nicht annehmen,
wenn man uns etwa einladen
sollte, zu bleiben? Ich fühle
mich wirklich zu angegriffen,
um mich längere Zeit unter
diesen vornehmen Leuten zu
bewegen."
Meinardus sagte ohne wei-
teres zu, und trotz der Lie-
benswürdigkeit des Fürsten er-
füllte er sein Versprechen.
Schon eine halbe Stunde
später befanden sie sich wieder
auf der Rückfahrt nach Ristow.
llnkunkt in Spitzbergen, llactz einer pbotograplne von ldilb. vreelen, löokptzotogrnpb in klensburg. (S. (>08)
Und der ahnungslose Pro-
fessor schrieb es allein der
abscheulichen Migräne seiner
Enkelin zn, daß sie während
der ganzen Fahrt schweigend
in den Polstern des Wagens
lehnte, und daß er einmal so-
gar eine funkelnde Thräne an
ihren Wimpern zittern sah.
llrslreluüe; Kapitel.
Als Graf Meinburg zwei
Tage später vor dem Schlosse
seines fürstlichen Gastfrenndes
den Jagdwagen bestieg, der
ihn auf seinen Wunsch wieder
in das Ristower Birschrevier
bringen sollte, gewahrte er in
einiger Entfernung eine hoch-
gewachsene, weibliche Gestalt,
die regungslos und anschei-
nend unverwandt zu ihm her-
über sah.
Es war nichts besonders
Auffallendes in ihrer Erschei-
nung, und Meinburg hätte
sich selber schwerlich Rechen-
schaft darüber geben können,
was ihn an dieser Unbekann-
ten, deren Gesichtszüge er trotz
seiner scharfen Angen bei sol-
chem Abstand nicht unterschei-
den konnte, eigentlich inter-
essiere. Denn der Park war
für jedermann aus dem Flecken
zugänglich, und die Anwesen-
heit einer Spaziergängerin er-
klärte sich somit ans die na-
türlichste Weise von der Welt.
Auch hatte er gar keinen Grund
zu vermuten, daß es etiva eine
außergewöhnliche Teilnahme
für seine Person sei, die jene
Fremde so unbeweglich auf
ihrem Beobachtungsposten fest-
hielt.
Und doch war in ihrer
Persönlichkeit etwas, das ihn
anmutete wie eine dunkle Er-
innerung an irgend welche
weit zurückliegenden Ereignisse.
Ein unwiderstehliches Ver¬
ein llelllunö (Spitzbergen), llack einer ptzotograpbis von ldilli. llreelen, köokpkotograpb in klensburg. (S. H08)
Das Buch für Alle.
Heft 25.
der immer voll zärtlichster Be-
sorgnis um das Wohl seines
Lieblings war. „Unter solchen
Umständen werden Sie uns
allerdings sür diesmal entschul-
digen müssen, mein lieber Herr
v. Alvörden! Vor unserer Ab-
reise, denke ich, kommen wir
noch einmal herüber."
Der Forstmeister mußte
aus Höflichkeit um die Er-
laubnis bitten, die Herrschaf-
ten bis in das Schloß zu ge-
leiten. Aber er hatte keine
Freude an der Verlängerung
ihres Beisammenseins; denn
Renate, die an der anderen
Seite ihres Großvaters ging,
gönnte ihm weder ein Wort
noch einen Blick. Und als er
sich dann in der Halle des
Schlosses von ihnen verab-
schiedete, neigte sie nur in
stummer Erwiderung seines
Grußes den Kopf.
Raschen Schrittes ging er
davon. Professor Meinardus
aber konnte sich, während sie
dem Lakaien folgten, nicht
enthalten, zu fragen: „War es
keine Täuschung, Kind, oder
hast du den Forstmeister wirk-
lich anders behandelt als
sonst? Er hat dir doch nicht
etwa während meiner Abwe-
senheit eine Veranlassung dazu
gegeben?"
„Nein, nein!" versicherte
sie hastig. „Aber nicht wahr,
dn wirst es nicht annehmen,
wenn man uns etwa einladen
sollte, zu bleiben? Ich fühle
mich wirklich zu angegriffen,
um mich längere Zeit unter
diesen vornehmen Leuten zu
bewegen."
Meinardus sagte ohne wei-
teres zu, und trotz der Lie-
benswürdigkeit des Fürsten er-
füllte er sein Versprechen.
Schon eine halbe Stunde
später befanden sie sich wieder
auf der Rückfahrt nach Ristow.
llnkunkt in Spitzbergen, llactz einer pbotograplne von ldilb. vreelen, löokptzotogrnpb in klensburg. (S. (>08)
Und der ahnungslose Pro-
fessor schrieb es allein der
abscheulichen Migräne seiner
Enkelin zn, daß sie während
der ganzen Fahrt schweigend
in den Polstern des Wagens
lehnte, und daß er einmal so-
gar eine funkelnde Thräne an
ihren Wimpern zittern sah.
llrslreluüe; Kapitel.
Als Graf Meinburg zwei
Tage später vor dem Schlosse
seines fürstlichen Gastfrenndes
den Jagdwagen bestieg, der
ihn auf seinen Wunsch wieder
in das Ristower Birschrevier
bringen sollte, gewahrte er in
einiger Entfernung eine hoch-
gewachsene, weibliche Gestalt,
die regungslos und anschei-
nend unverwandt zu ihm her-
über sah.
Es war nichts besonders
Auffallendes in ihrer Erschei-
nung, und Meinburg hätte
sich selber schwerlich Rechen-
schaft darüber geben können,
was ihn an dieser Unbekann-
ten, deren Gesichtszüge er trotz
seiner scharfen Angen bei sol-
chem Abstand nicht unterschei-
den konnte, eigentlich inter-
essiere. Denn der Park war
für jedermann aus dem Flecken
zugänglich, und die Anwesen-
heit einer Spaziergängerin er-
klärte sich somit ans die na-
türlichste Weise von der Welt.
Auch hatte er gar keinen Grund
zu vermuten, daß es etiva eine
außergewöhnliche Teilnahme
für seine Person sei, die jene
Fremde so unbeweglich auf
ihrem Beobachtungsposten fest-
hielt.
Und doch war in ihrer
Persönlichkeit etwas, das ihn
anmutete wie eine dunkle Er-
innerung an irgend welche
weit zurückliegenden Ereignisse.
Ein unwiderstehliches Ver¬
ein llelllunö (Spitzbergen), llack einer ptzotograpbis von ldilli. llreelen, köokpkotograpb in klensburg. (S. H08)