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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 26
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Das Buch für Alle.

Heft 26.

gleichfalls weißen Tieren in den Armen, auf der
Bühne erschienen, sie vor zierliche vergoldete Wägelchen
spannten, auf straff gespannten Seilen tanzen ließen
und sonst noch allerhand Kurzweil mit ihnen trieben.
Man hatte dabei nicht den Eindruck, als ob es sich
um emgelernte Schaustellungen handelte, sondern als
ob wirklich fröhliche Kinder mit ihren Lieblingen
spielten.
„Ja, wo sollen wir denn aber nur gleich einen
Löwen herbekommen, der in unser Ensemble paßt?"
warf Alfhild, die Aelteste der Dalströms ein. „Wir
verstehen ihn doch nicht abzurichten."
„Black Tom will uns einen besorgen. Er sei noch
jung, achtzehn Monate alt, ganz zahm und sehr ge-
lehrig. Die Bändigerin, der er gehört, hat seine
Dressur zum guten Teil vollendet."
„Warum will sie ihn denn verkaufen?" erkundigte
sich Alfhild mißtrauisch.
„Sie hat genug erworben, um sich ins Privat-
leben zurückzuziehen," erklärte Erik eifrig. Er war
ganz begeistert von seinem Plan und wurde nicht
müde, den Mädchen die Vorteile desselben ausein-
anderzusetzen. Am Ende gelang es ihm auch wirklich,
sie dafür zu gewinnen.
Nur Karen wollte nichts davon hören. „Wir
brauchen keinen Löwen. Hat man je erlebt, daß
Kinder mit Löwen spielen?" meinte sie. „Die Idee
ist geradezu widersinnig."
„Ob widersinnig oder nicht!" erwiderte Erik.
„Wenn es nur wirkt! Im übrigen aber ist das auch
nicht dein wahrer Grund, Kleine. Da steckt etwas
anderes dahinter. Fürchtest du dich vor dem
Löwen?"
„Vor dem Löwen nicht, aber —"
„Vor Black Tom!" fiel Elina, Eriks jüngstes,
erst fünfzehnjähriges Schwesterchen ein. „Er macht
ihr die Cour, gestern hat er ihr gar ein brillantenes
Herz schenken wollen, aber sie nahm es nicht, weil
sie ihn nicht leiden mag. Und nun denkt sie, er
könnte sich für die Zurückweisung an ihr rächen.
Jst's nicht so, Karen? Habe ich nicht recht?"
Karen wollte es nicht zugeben, aber sie war doch
sichtlich betreten. Im übrigen wußte es jeder in
dem Kreise, daß Black Tom, der häßliche Clown, der
seit Anfang des Winters auf dem nämlichen Spe-
zialitätentheater auftrat, für das auch die „spielenden
Kinder" verpflichtet waren, der holden goldhaarigen
Karen nachstellte, indessen nahm niemand die Leiden-

schaft des verwachsenen, allgemein mißachteten Men-
schen für das schöne Mädchen ernst.
„Ich weiß gar nicht, was ihr gegen Black Tom
habt," meinte Erik gutmütig. „Es kann nicht jeder
schön sein. Und daß er die Karen anschmachtet, thut
niemand weh. Er ist —"
„Eifersüchtig auf dich!" unterbrach ihn abermals
Elina, die zuweilen das Schreckenskind zu spielen
liebte, triumphierend. „Er weiß, daß Karen und
du —"
„Willst du wohl still sein!" schrie Karen zornig.
Die Thräuen standen ihr in den Augen, und in den:
süßen Gesicht zuckte es vor verhaltener Erregung.
Wie abscheulich von Elina, etwas ans Licht zu zerren,
das sie als teures und heiliges Geheimnis hütete,
das sie die Kleine so inständig gebeten, niemand zu
verraten! Es war ein böser Zufall gewesen, der
Elina zur Zeugin der zärtlichen Küsse und Schwüre
ewiger Treue gemacht, die Erik und Karen an einem
dämmerigen Winternachmittag unter den blühenden
Fliederbüschen, mit denen man bei den Produktionen
der „spielenden Kinder" die Bühne zu schmücken
pflegte, ausgetauscht hatten, aber Elina war doch
willens gewesen, zu jedermann, wer es auch sein
mochte, darüber zu schweigen. Und nun hatte sie
doch ihr Versprechen gebrochen! Was würden die
Schwestern dazu sagen, wenn sie erfuhren, daß
sie, Karen, sich dem Erik verlobt? Sie waren ja
beide noch viel zu jung zum Heiraten — eine aus-
sichtslose Liebelei aber hätte Alfhild niemals geduldet.
Elina mußte einen heftigen Sturm von Vor-
würfen über sich ergehen lassen, als sie später mit
Karen allein war. Die Kleine aber wollte es nicht
einsehen, daß die ältere Gefährtin Ursache besaß,
ihr zu zürnen. Was hatte sie denn gesagt? Nichts,
so gut wie nichts! Man würde doch wohl noch
einen harmlosen Scherz machen dürfen! Wenn Karen
so empfindlich in diesem Punkt war, dann sollte sie
ihre Augen besser hüten und dem Erik nicht beständig
verliebte Blicke zuwerfen. Sie redeten ja schon alle
darüber!
„Wer redet d'rüber?" schrie Karen aufgeregt.
„Gleich sagst du mir, wer d'rüber redet — hörst du?"
„Nun — Black Tom zum Beispiel," murrte das
Backfischchen trotzig.
Karen wechselte jäh die Farbe. „Black Tom?
Was hat er gesagt?"
Elina wollte anfänglich nicht mit der Sprache

heraus, da Karen aber nicht aufhörte, in sie zu
dringen, gestand sie endlich, daß der Clown ihr
Schmuck und Süßigkeiten versprochen, falls sie sich
dazu hergäbe, ihm Karen und Erik gegenüber Spionen-
dienste zu leisten. „Ich hab' ihm aber gesagt, daß
er ein ebenso schlechter wie häßlicher Mensch sei,
und daß ich seine Geschenke nicht wollte," schloß sie.
Die Mädchen hatten übrigens Elinas Worten
keine Beachtung geschenkt. Sie waren in jenem
Augenblick viel zu sehr von Eriks Plan erfüllt ge-
wesen, um für etwas anderes Gedanken zu habeu.
Der Löwe wurde denn auch wirklich trotz Karens
Abmahnen gekauft, und bereits vierzehn Tage später
sollte er dem Publikum vorgeführt werden.
Während dieser Zeit übte man täglich stundenlang
mit dem Tier, das sich als sehr gelehrig und gutartig
erwies. Nur bezüglich seiner Fütterung mußte man
vorsichtig sein, denn sowie es Fleisch gefressen, schien
es seinen Charakter völlig gewechselt zu haben, aus
der zahmen schmeichelnden Katze, als die es sich für
gewöhnlich zeigte, wurde es eine wilde Bestie, deren
funkelnde Augen und grimmiges Knurren ihre tückische
Natur verrieten.
„Ihr dürft den „Prinz" immer nur füttern, nach-
dem ihr mit ihm gearbeitet habt, aber nie vorher,"
warnte Black Tom die nunmehrigen Besitzer des
Tieres. „Das alte Sprichwort, daß man dem Löwen
nicht zn nahe kommen darf, wenn er Blut geleckt
hat, wird in diesem Falle zur Wahrheit."
Au dem Abend, an dem die „spielenden Kinder"
zum erstenmal mit dem Löwen austreten sollten,
war das Theater ausverkanft. Die Reklametrommel,
die man während der letzten beiden Wochen fleißig
gerührt, hatte ihre Wirkung nicht verfehlt.
Die ersten Nummern des Programms gingen ziem-
lich eindrnckslos vorüber, als dann aber die Musik
jene eigentümlich naive volksliedartige Weise an-
stimmte, die dem Erscheinen der „spielenden Kinder"
stets voranzugehen pflegte, wurden die bis dahin
teilnahmlosen Mienen der Anwesenden mit einem
Schlage belebt. Das Lachen und Plaudern ver-
stummte, und unzählige Operngläser richteten sich
auf die Bühne.
Und nun hob sich der Vorhang. Ein allgemeiner
Ausruf der Bewunderung ging durch die Reihen des
Publikums, denn was man dort hinter den Rampen
sah, das war so seltsam und neu und zugleich so
märchenhaft schöu, daß es jedermanns Erwartungen


kruckt-Luer aus risn vlerlanäen bei der köolrbrücke am köopkenmarkt in Hamburg, llack einer pbotograpliie von 5trumper L Lo. in kamdurg. (5. 637)
 
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