Heft 26.
Das Buch für Alle.
641
Semüle- und iüucktincnkt auk dem kopkeninarkt in Hamburg. llack einer pliotograpliie von 5truinper L Lo. in köamburg. (8. S37)
überstieg. Eiir Zaubergarten aus weißem Flieder,
dunkelroten Rosen und mächtigen feinblätterigen
Farnen, zwischen denen, bunten Glühwürmchen gleich,
Hunderte von roten, gelben und grünen Lämpchen
hervorlenchteten, bot sich den Blicken. Vor den
blühenden Bäumen und Büschen aber war ein gol-
denes, den Zuschauerraum von der Bühne trennendes
stich gezogen, das, so dünn es auch erschien, doch stark
genug war, das Ausbrechen des Löwen unter das
Publikum zu hindern. Durch die schimmernden Draht-
schlingen sah man die weißen Kakadus in goldenen,
an den Zweigen hängenden Ringen sich schaukeln
und die seidenhaarigen Hündchen auf Blnmenkisscn
liegen. Im Vordergründe des Bühnenraumes sandte
ein von vielfarbigem Licht überglänzter Spring-
brunnen seinen Sprühregen hoch empor.
In diese ganze schillernde bunte Märchenscenerie
hinein aber stürmte eine wilde, ausgelassene Schar
— die „spielenden Kinder".
Sie trugen wie sonst ihre weißen Hängerkleidchen
und Kate Greenawayhüte, nur flimmerte heute alles,
was sie an sich hatten, bis auf die flachsblonden,
ihnen tief in die Stirn hängenden Locken, wie flüssiges
Feuer. Sie hatten mit Brillantstaub und Glüh-
lämpchen lange experimentiert, ehe es ihnen gelungen
war, diesen Effekt zu erzielen.
Nachdem sie ein paarmal unter Lachen und Jubeln
um die Fontäne gelaufen waren, begannen die Spiele.
Goldene und silberne Aepfel, die an den Bänmen
hingen, wurden von dort herunter geholt und als
Bälle benutzt, die man sich durch die Wasserstrahlen
hindurch gegenseitig zuwarf. Bald wurden die Tiere
unruhig, die Kakadus kamen herbeigeflattert, die
Hündchen sprangen von ihrem Lager auf und mischten
sich in das fröhliche Treiben, als plötzlich hinter
einem Boskett ein mächtiges Tier mit goldhaariger
Mähne hervorkam — Prinz, der Löwe. Nun wurde
es erst recht lustig! Die spielenden Kinder umringten
ben König der Tiere, eines umhalste ihn, das zweite
setzte sich auf seinen Rücken, und das dritte führte
ihn, indes die übrigen mitsamt den Hunden und
Vögeln nebenherliefen, im Triumph vor.
Auch dies Bild machte einem anderen Platz. Zn
beiden Seiten wurden hohe Spiegel auf die Bühne
geschoben und zwischen den Blumenbüschen derart
verteilt, daß durch Wiederspiegelung einzelner Partien
der Sceneri'e und Staffage die nämliche Gruppe bald
von vorn, bald von rückwärts sichtbar wurde. Der
Märchcngarten erschien ins Unendliche vergrößert,
statt eines Löwen sah man zehn, nein zwanzig,
dreißig Löwen, in den verschiedensten Stellungen,
umringt von Scharen von Kakadus und Hündchen.
Und die spielenden Kinder — zu Hunderten rannten
und tollten sie umher. Es war ein unglaublicher
Wirrwarr von flatternden, jagenden und springenden
Gestalten. Und dazu die schillernden Wasserstrahlen,
die hie nnd da aussprühten, die Legionen von Glüh-
lämpchen in rot, blau, grün, lila, gelb nnd weiß —
den Zuschauern thaten die Augen weh von dem
kaleidoskopischen Durcheinander.
Jetzt ein tolles vielstimmiges Auflachen — blitz-
schnell nach allen Richtungen stürmten die weiß-
gekleideten Gestalten, gefolgt von den Hündchen und
Vögeln, davon. In wenigen Sekunden war die
Bühne leer, nur der Löwe stand in der Mitte zwischen
blühenden Büschen, die ihn von den Spiegeln trennten.
„Such, Prinz, such!" rief's hier und dort, indes
hinter diesem und jenem Gebüsch ein blondlockiges
Köpfchen zum Vorschein kam, um aber sofort wieder
zu verschwinden.
Prinz stand da, den mächtigen Kopf nach vorn,
nach hinten, nach beiden Seiten wendend, offenbar
unentschlossen, wo er suchen sollte. Aber nicht lange
dauerte sein Ueberlegen, dann fing er an, umher-
zuirren. In jede Blumengruppe, hinter jeden Busch
schaute er, doch vermochte er die menschlichen Ge-
spielen nicht zu finden. Immer mehr erwärmte er
sich bei dem Versteckspiel, immer eifriger suchte
er, jedem Lock- und Spottruf, der aus einem ver-
borgenen Winkel zu ihm drang, folgend, um stets
wieder von neuem seine Schritte anderwärts hin-
zulenken.
„Eine vorzügliche Dressur!" meinten die Leute im
Zuschauerraum. „Das Tier weiß ja doch ganz genau,
wo jedes der spielenden Kinder steckt, und es kann
keine Kleinigkeit sein, es dahin zu bringen, dies ewige
erfolglose Suchen zu markieren."
„Sagen Sie mal," fragte ein Herr seinen Nach-
bar, „Sie haben doch anfänglich auch neun spielende
Kinder gezählt?"
Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Nicht
doch, es waren ihrer acht, wie immer. Wenn die
Truppe sich vergrößert hätte, würde man davon ge-
hört haben."
„Nein, es waren heute thatsächlich ueun," mischte
sich ein Dritter ins Gespräch. „Mir ist es ebenfalls
ausgefallen."
Doch der vorige wollte sich nicht für besiegt er-
klären. Er verteidigte seine Meinung, die anderen
blieben aber bei der ihrigen. So wogte der Streit
noch eine Weile hin nnd her, und jeder behauptete,
daß er ganz sicher wisse, wie viele spielende Kinder
es wären, da er sie gezählt hätte. „Nun, wir werden
ja sehen," hieß es, „wenn sie wieder aus ihren« Ver-
steck herauskommen."
„Wie wollen Sie das sehen?" versetzte der eine
der Herren, „bei dieser Masse von Spiegeln, welche
die Figuren vervielfachen und ihre Zahl fortwährend
ändern? Unmöglich, ganz unmöglich!"
Dem mußten die anderen beipflichten. Sofern
die Spiegel nicht wieder fortgenommen wurden, sand
I man heute keiue Möglichkeit mehr, die Zahl der
' spieleudeu Kinder festzustellen. Vielleicht, daß man
morgen etwas darüber hörte.
Inzwischen hatte der Löwe sich hinter ein dichtes
Gebüsch gedrückt und blieb dort einige Zeit vor den
Blicken des Publikums verborgen. Es mußte das
aber wohl nicht im Programm liegen, denn un-
! geduldig und leise tönte es aus einem dunklen Winkel:
„Hierher, Prinz!"
Sofort gehorchte das Tier dem Ruf. Mit
mächtigem Satz schoß es uach der betreffenden Stelle
unv kam im nächsten Augenblick mit einem der
spielenden Kinder hervor. Triumphierend zerrte es
die Helle Gestalt, ihren Arm im Rachen haltend, nach
dem Vordergrund der Bühne, dazu fauchend und
schnaubend. Doch jetzt ließ es sie fallen — oder entwand
sie sich ihm? Die Arme in den bauschigen weißen
Spitzenärmeln griffen in die goldgelbe Mähne und
versuchten sich daran emporzuziehen, indes die Füße
sich an den Weichen des Wüstenkönigs festklemmten.
Wollte das Kind sich auf seinen Rücken schwingen?
Die Dressur mußte doch nicht so vollkommen fein,
als man geglaubt, denn das Tier wehrte sich offenbar
gegen den höheren menschlichen Willen. Aber viel-
leicht sollte das alles so sein.
Atemlos, aber ohne zu ahnen, was da vorging,
schaute das Publikum dem aufregenden Schauspiel
Das Buch für Alle.
641
Semüle- und iüucktincnkt auk dem kopkeninarkt in Hamburg. llack einer pliotograpliie von 5truinper L Lo. in köamburg. (8. S37)
überstieg. Eiir Zaubergarten aus weißem Flieder,
dunkelroten Rosen und mächtigen feinblätterigen
Farnen, zwischen denen, bunten Glühwürmchen gleich,
Hunderte von roten, gelben und grünen Lämpchen
hervorlenchteten, bot sich den Blicken. Vor den
blühenden Bäumen und Büschen aber war ein gol-
denes, den Zuschauerraum von der Bühne trennendes
stich gezogen, das, so dünn es auch erschien, doch stark
genug war, das Ausbrechen des Löwen unter das
Publikum zu hindern. Durch die schimmernden Draht-
schlingen sah man die weißen Kakadus in goldenen,
an den Zweigen hängenden Ringen sich schaukeln
und die seidenhaarigen Hündchen auf Blnmenkisscn
liegen. Im Vordergründe des Bühnenraumes sandte
ein von vielfarbigem Licht überglänzter Spring-
brunnen seinen Sprühregen hoch empor.
In diese ganze schillernde bunte Märchenscenerie
hinein aber stürmte eine wilde, ausgelassene Schar
— die „spielenden Kinder".
Sie trugen wie sonst ihre weißen Hängerkleidchen
und Kate Greenawayhüte, nur flimmerte heute alles,
was sie an sich hatten, bis auf die flachsblonden,
ihnen tief in die Stirn hängenden Locken, wie flüssiges
Feuer. Sie hatten mit Brillantstaub und Glüh-
lämpchen lange experimentiert, ehe es ihnen gelungen
war, diesen Effekt zu erzielen.
Nachdem sie ein paarmal unter Lachen und Jubeln
um die Fontäne gelaufen waren, begannen die Spiele.
Goldene und silberne Aepfel, die an den Bänmen
hingen, wurden von dort herunter geholt und als
Bälle benutzt, die man sich durch die Wasserstrahlen
hindurch gegenseitig zuwarf. Bald wurden die Tiere
unruhig, die Kakadus kamen herbeigeflattert, die
Hündchen sprangen von ihrem Lager auf und mischten
sich in das fröhliche Treiben, als plötzlich hinter
einem Boskett ein mächtiges Tier mit goldhaariger
Mähne hervorkam — Prinz, der Löwe. Nun wurde
es erst recht lustig! Die spielenden Kinder umringten
ben König der Tiere, eines umhalste ihn, das zweite
setzte sich auf seinen Rücken, und das dritte führte
ihn, indes die übrigen mitsamt den Hunden und
Vögeln nebenherliefen, im Triumph vor.
Auch dies Bild machte einem anderen Platz. Zn
beiden Seiten wurden hohe Spiegel auf die Bühne
geschoben und zwischen den Blumenbüschen derart
verteilt, daß durch Wiederspiegelung einzelner Partien
der Sceneri'e und Staffage die nämliche Gruppe bald
von vorn, bald von rückwärts sichtbar wurde. Der
Märchcngarten erschien ins Unendliche vergrößert,
statt eines Löwen sah man zehn, nein zwanzig,
dreißig Löwen, in den verschiedensten Stellungen,
umringt von Scharen von Kakadus und Hündchen.
Und die spielenden Kinder — zu Hunderten rannten
und tollten sie umher. Es war ein unglaublicher
Wirrwarr von flatternden, jagenden und springenden
Gestalten. Und dazu die schillernden Wasserstrahlen,
die hie nnd da aussprühten, die Legionen von Glüh-
lämpchen in rot, blau, grün, lila, gelb nnd weiß —
den Zuschauern thaten die Augen weh von dem
kaleidoskopischen Durcheinander.
Jetzt ein tolles vielstimmiges Auflachen — blitz-
schnell nach allen Richtungen stürmten die weiß-
gekleideten Gestalten, gefolgt von den Hündchen und
Vögeln, davon. In wenigen Sekunden war die
Bühne leer, nur der Löwe stand in der Mitte zwischen
blühenden Büschen, die ihn von den Spiegeln trennten.
„Such, Prinz, such!" rief's hier und dort, indes
hinter diesem und jenem Gebüsch ein blondlockiges
Köpfchen zum Vorschein kam, um aber sofort wieder
zu verschwinden.
Prinz stand da, den mächtigen Kopf nach vorn,
nach hinten, nach beiden Seiten wendend, offenbar
unentschlossen, wo er suchen sollte. Aber nicht lange
dauerte sein Ueberlegen, dann fing er an, umher-
zuirren. In jede Blumengruppe, hinter jeden Busch
schaute er, doch vermochte er die menschlichen Ge-
spielen nicht zu finden. Immer mehr erwärmte er
sich bei dem Versteckspiel, immer eifriger suchte
er, jedem Lock- und Spottruf, der aus einem ver-
borgenen Winkel zu ihm drang, folgend, um stets
wieder von neuem seine Schritte anderwärts hin-
zulenken.
„Eine vorzügliche Dressur!" meinten die Leute im
Zuschauerraum. „Das Tier weiß ja doch ganz genau,
wo jedes der spielenden Kinder steckt, und es kann
keine Kleinigkeit sein, es dahin zu bringen, dies ewige
erfolglose Suchen zu markieren."
„Sagen Sie mal," fragte ein Herr seinen Nach-
bar, „Sie haben doch anfänglich auch neun spielende
Kinder gezählt?"
Der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Nicht
doch, es waren ihrer acht, wie immer. Wenn die
Truppe sich vergrößert hätte, würde man davon ge-
hört haben."
„Nein, es waren heute thatsächlich ueun," mischte
sich ein Dritter ins Gespräch. „Mir ist es ebenfalls
ausgefallen."
Doch der vorige wollte sich nicht für besiegt er-
klären. Er verteidigte seine Meinung, die anderen
blieben aber bei der ihrigen. So wogte der Streit
noch eine Weile hin nnd her, und jeder behauptete,
daß er ganz sicher wisse, wie viele spielende Kinder
es wären, da er sie gezählt hätte. „Nun, wir werden
ja sehen," hieß es, „wenn sie wieder aus ihren« Ver-
steck herauskommen."
„Wie wollen Sie das sehen?" versetzte der eine
der Herren, „bei dieser Masse von Spiegeln, welche
die Figuren vervielfachen und ihre Zahl fortwährend
ändern? Unmöglich, ganz unmöglich!"
Dem mußten die anderen beipflichten. Sofern
die Spiegel nicht wieder fortgenommen wurden, sand
I man heute keiue Möglichkeit mehr, die Zahl der
' spieleudeu Kinder festzustellen. Vielleicht, daß man
morgen etwas darüber hörte.
Inzwischen hatte der Löwe sich hinter ein dichtes
Gebüsch gedrückt und blieb dort einige Zeit vor den
Blicken des Publikums verborgen. Es mußte das
aber wohl nicht im Programm liegen, denn un-
! geduldig und leise tönte es aus einem dunklen Winkel:
„Hierher, Prinz!"
Sofort gehorchte das Tier dem Ruf. Mit
mächtigem Satz schoß es uach der betreffenden Stelle
unv kam im nächsten Augenblick mit einem der
spielenden Kinder hervor. Triumphierend zerrte es
die Helle Gestalt, ihren Arm im Rachen haltend, nach
dem Vordergrund der Bühne, dazu fauchend und
schnaubend. Doch jetzt ließ es sie fallen — oder entwand
sie sich ihm? Die Arme in den bauschigen weißen
Spitzenärmeln griffen in die goldgelbe Mähne und
versuchten sich daran emporzuziehen, indes die Füße
sich an den Weichen des Wüstenkönigs festklemmten.
Wollte das Kind sich auf seinen Rücken schwingen?
Die Dressur mußte doch nicht so vollkommen fein,
als man geglaubt, denn das Tier wehrte sich offenbar
gegen den höheren menschlichen Willen. Aber viel-
leicht sollte das alles so sein.
Atemlos, aber ohne zu ahnen, was da vorging,
schaute das Publikum dem aufregenden Schauspiel