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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 26
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https://doi.org/10.11588/diglit.44085#0640
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6L4

Das Buch für Alle.

Hcst 26.

Es war ein klägliches Machwerk; das sah jedermann
ein; nur in seiner Autoreitelkeit der hohe Dichter selbst
nicht, der von seiner poetischen Leistung ganz entzückt war.
Eisige Stille herrschte im Publikum während der Vor-
stellung.
„Warum klatscht man nicht Beifall, wie bei den
Werken Calderons und Lopes?" fragte verwundert der
König im letzten Zwischenakt.
Ehrerbietigst wurde ihm geantwortet: „Sire, die Leute
wagen es nicht; der schuldige Respekt verbietet es, daß
einem spanischen Könige solcher Beifall gezollt werde,
wie de» Dramatikern von Beruf."
Diese sehr gewandte Antwort des betreffenden Höf-
lings befriedigte den König. „Wo ist Lope?" fragte er
dann.
„Der alte Herr ist leider krank, Sire, und befindet
sich also nicht im Theater."
„Und Calderon? Den sehe ich auch nicht."
„Er ist verreist, Sire."
„Das ist ärgerlich. Ich hätte gerne die beiden Poeten
um ihre Meinung über meine Tragödie befragt."
Der letzte Akt sollte nun beginnen. Plötzlich neigte
der König sich weit über die Logenbrüstung. Unten im
Parterre saß ein Mann mit einem weißen Taschentuch
vor dem Gesicht.
„Ich glaube wahrhaftig, der Mensch schläft!" rief
Philipp entrüstet. „Man wecke ihn, damit er die Schluß-
katastrophe nicht versäume!"
Ein Page lief sogleich ins Parterre, stieß den ver-

meintlich Schlafenden an und sagte: „Tenor, der König
will nicht, daß Ihr hier schnarcht."
„Ich schnarche nicht," versetzte der Nngeredete.
„Wer seid Ihr?" fragte der Page.
„Ich bin der Handschuhmacher Ramon Pinto."
„Ihr schliefet also nicht?"
„Nein, ich weinte."
„Aber weshalb weint Ihr denn? Worüber?"
„lieber die so wunderbar ergreifenden und das Herz
erschütternden Scenen des vierten Aktes."
„Das will ich Seiner Majestät sogleich berichten."
„Er wird's mir doch hoffentlich nicht übel nehmen?"
„'Nein; ganz im Gegenteil; ich denke, es wird ihn
sehr erfreuen."
Der Page lief hinauf in die Hofloge und erstattete
seinem hohen Gebieter Bericht über den Sachverhalt.
Entzückt rief Philipp: „Welch ein verständiger Mensch!
Der scheint mehr Sinn zu haben für echte tragische Kunst
und Poesie als alle anderen Leute in Madrid. Er soll
morgen ein Anstellungspatent als Hofhandschuhmacher
erhalten."
lind so geschah es wirklich. Ramon Pinto wurde
wohlbestallter Hofhandschuhmacher, ums ihm natürlich
zu großem Vorteile gereichte. Und dies Glück er-
blühte ihm nur aus dem Grunde, weil er mit ge-
rührter L-eele zur rechten Zeit Thränen geweint hatte
im Theater. I. O. Hansen.
Der ZZergvnn im Altertum. — Aus noch vorhandenen
Spuren von einst intensiv betriebenen, nun aber längst

erschöpften Bergwerken können wir uns ein ziemlich
richtiges Bild über die Art und Weise machen, wie dieser
hochwichtige Zweig gewerblicher Thätigkeit im Altertum
betrieben wurde. Von den mächtigen maschinellen An-
lagen, wie solche im modernen Bergbau Verwendung
finden, hatte man damals selbstverständlich keine Ahnung,
trotzdem aber leisteten unsere Vorfahren im Bergbau ein
ganz gewaltiges Stück Arbeit, das selbst dem modernen
Techniker imponieren könnte, zöge er nicht in Betracht,
daß die Alten ihre Bergwerke durch Sklaven, welche
nicht geschont wurden, bearbeiten ließen. Im allgemeinen
verfolgten die Alten die Erzgänge, gerade so uns heute,
durch Schächte, und suchten, wenn sie an eine Schichten-
verwerfung gelangten, den verschwnndenen Erzgang durch
Anlegung von Versuchsstollen wieder zu finden. Die
Mittel, welche die Alten benutzten, um harte Felsen zu
zersprengen, waren sehr einfache. Plinius erzählt von
mächtigen Eisenblöcken, die gleich Widderköpfen durch
die vereinigten Kräfte zahlreicher Sklaven so lange gegen
die harten Felsmassen geschlagen wurden, bis letztere in
Stücke sprangen. Ein gewöhnliches Mittel zur Mürbe-
machung des Felsens war auch das Feuer, dessen die
Steinoberfläche zerreißende Wirkung durch Begießen der
letzteren mit Essig erhöht wurde. Es ist bekannt, daß
Hannibal seiner Armee mit Hilfe von Feuer und Essig
einen Weg über die Alpen bahnte. Schließlich sei noch
eines Abbaumittels gedacht, welches sich aus der Zeit
des Altertums bis auf heute unverändert erhalten hat.
Es ist dies die Sprengung der Felsmasse mittels des
























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auellenden Holzes. Es werden nämlich trockene Holzkeile
in die Felsenspalten getrieben und dann mit Wässer be-
gossen. Das aufquellende Holz vergrößert die Spalten
und zerklüftet endlich den Felsen. C. T.
Der eigensinnige Millionär. — Der amerikanische
Millionär Morgan besuchte vor nicht langer Zeit eine
Spitzenausstellung, die zum Besten eines Waisenhauses
in Brüssel von reichen Damen veranstaltet worden war.
Die ausgestellten Spitzen waren Privateigentum und es
befanden sich herrliche alte Gewebe von unschätzbarem
Werte darunter.
Bor einem Kasten mit den schönsten Spitzen blieb der
Millionär stehen und fragte den Aufseher: „Was kosten
diese Spitzen? Ich möchte sie kaufen."
„Die Spitzen sind unverkäuflich, mein Herr," erwiderte
der Aufseher.
„Ich möchte sie jedoch haben, nennen Sie einen
Preis."
„Die Spitzen sind Privateigentum, mein Herr, und
nur zur Ausstellung hergeliehen, sie sind also unverkäuf-
lich," wiederholte der Aufseher.
Nach cin?r erneuten Aufforderung, ihm, wenn nicht
diese, so doch andere Spitzen zu verkaufen, drohte der
Millionär, das Haus nicht eher verlassen zu wollen, bis
sein Wunsch erfüllt worden sei.
Ratlos wandte sich nun der Aufseher an den Direktor
der Ausstellung. 'Aber auch diesem gelang es nicht, dem
eigensinnigen Millionär verständlich zu machen, daß die
Spitzen nur Ausstellungsobjekte und daher unverkäuflich
seien und daß er Spitzen der feinsten Sorten in allen
Geschäften bekommen könnte.
„Ich will mir Spitzen von Ihnen kaufen, dabei
bleibt's," erwiderte der Amerikaner.
Plötzlich fiel dem Direktor ein Ausweg ein. Er wandte
sich an den Diener und gab ihm flüsternd den Auftrag,

in einem Geschäft, das sich ganz in der Nähe befand,
ein halbes Dutzend Spitzentücher zum Preise von etwa
fünf Franken das Stück zu kaufen. Der Diener rannte
fort und kehrte nach kurzer Zeit wieder zurück.
„Auf Ihren Wunsch ist es mir gelungen, die Er-
laubnis zu erhalten. Ihnen diese Tücher zu verkaufen,"
wandte sich der Direktor an den Millionär.
„Was kosten sie?" fragte dieser, ohne sie anzuschauen.
„500 Franken das Stück."
„Hier ist das Geld," antwortete der Amerikaner, warf
einige Banknoten auf den Tisch und verließ freudestrah-
lend den Ausstellungssaal. Das Geld wanderte in die
Kasse des Waisenhauses. W. St.
Sektlame IZegräkms Hätten. — Zu Hampstead, einer
Vorstadt von London, starb im vergangenen Jahre der
berühmte Hochtourist Wilson Everitt. Ueber hundert
Gipfel mit einer Gesamthöhe von 915,000 Metern rühmte
er sich erstiegen zu haben, und ein oft ausgesprochener
Wunsch war, auf einem seiner geliebten Berggipfel zu
sterben und dort begraben zu werden. Der erste Teil
seines Wunsches ging nicht in Erfüllung, für die Aus-
führung des zweiten sorgte er indes selbst. Als sein
Testament eröffnet wurde, fand sich darin die letztwillige
Verfügung, daß sein Körper in einem Krematorium ver-
brannt, die Asche aber auf dem Pico de Orizaba im
Staate Veracruz in Mexiko oberhalb der Schneegrenze
begraben werden sollte. 'Der Pico de Orizaba ist einer
der imposantesten Berge der Erde und der höchste in
Zentralamerika. Seine Höhe beträgt 5582 Meter und
seine Schneegrenze liegt 4292 Meter hoch. Dicht unter
dem Gipfel sprengte man eine Gruft in den Felsen,
legte die Aschenurne hinein und wälzte einen mächtigen
Steinblock darüber. Everitts Grab ist somit wohl das
höchstgelegene der Erde.
Der Wunsch, dort begraben zu werden, wo man sich

im Leben am wohlsten gefühlt hat, wird übrigens häufig
ausgesprochen. So verfügte ein Herr Fallon, ein leiden-
schaftlicher Angler, daß seine Leiche im Krematorium
zu London verbrannt und die Asche dem Präsidenten
des Angelklubs, dem er lange Jahre angehört hatte,
übergeben werde. Bei dem nächsten Ausflug des Klubs
sollte man seine Asche, in einen Fischkorb gepackt, mit-
nehmen und sie, ehe eine Angel geworfen würde, in
den Fluß streuen. Zur Bestreitung der Kosten für diesen
Ausflug und für Erfrischungen für die Mitglieder des
Klubs, von denen keiner Trauerkleider anlegen durfte,
ließ er dem Klub 500 Mark anweisen. W. St.
Eine merkwürdige Kerichtsflhnng. — 'Als der be-
kannte englische Richter s. Raffles sein fünfundzwanzig-
jähriges Dienstjubiläum in Liverpool feierte, war der
Gerichtssaal überfüllt, weil man wußte, daß der Jubilar
der Gegenstand zahlreicher Ovationen sein würde. Als
Richter Raffles erschien, wurde ein des Raubmordes
angeklagter Verbrecher vorgeführt. Doch bevor die Ver-
handlung begann, erhob sich einer der Beisitzer und
hielt an den Jubilar eine kurze Ansprache, in der er
Raffles seine Glückwünsche ausdrückte. Dem Beisitzer
folgte der Verteidiger des Angeklagten, diesem der Ge-
richtsschreiber, ja selbst die Berichterstatter der Liver-
pooler Zeitungen ließen es sich nicht nehmen, ihren Ge-
fühlen Ausdruck zu verleihen. Schließlich erhob sich
auch der Angeklagte, der sich bis dahin ganz still ver-
halten hatte und sprach: „Gestatten Euer Ehren, daß
auch ich Ihnen meine herzlichsten Glückwünsche dar-
bringe."
Raffles verneigte sich höflichst dankend und erwiderte
dann: „Gestatten Sie nunmehr, daß wir in die Verhand-
lung gegen Sie wegen Raubmords eintreten." L-n.
 
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