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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 27
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https://doi.org/10.11588/diglit.44085#0648
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652

Das Buch für Alle.

Hrst 27.

ivie verhängnisvolle Tragweite ihre Aeußerungen
möglicherweise haben konnten, sagte sie: „Nein, ich
muß mich ungeschickt ausgcdrückt haben, wenn Sie
es so verstehen konnten. Ich weiß nichts, und ich
habe keinen Verdacht."
Schon die eigentümliche Hast nnd Unsicherheit,
mit der sie diese Worte gesprochen, mußten in Al-
vörden einen Zweifel an ihrer Ausrichtigkeit wecken.
Und der rasche Wechsel der Farbe auf ihren Wangen,
wie das stürmische Atmen ihrer Brust konnten diesen
Verdacht nur bestärken.
Aber er hatte ja kein Recht, Erklärungen von
ihr zu verlangen, die sie ihm nicht aus freien
Stücken gab. Und nach jenem Vorfall in seiner
Wohnung hätte es ihm schlecht genug augestaudcu,
weun er etwa versucht hätte, an ihr freundschaftliches
Vertrauen zu appellieren.
Darum begnügte er sich ohne jede weitere Be-
merkung mit ihrer Antwort, die äußerlich an Klar-
heit und Bestimmtheit ja auch nichts zn wünschen
übrig ließ. „Ich werde unter diesen Umständen
also doch vielleicht noch Gelegenheit finden, dem
Herrn Professor persönlich lebewohl zu sagen. Und
ich hoffe, mich alsdann davon zn überzeugen, daß
die Aufregung über den traurigen Vorfall seiner
Gesundheit nichts geschadet."
Seine letzten Worte waren nur noch wie ans
weiter Ferne an Renatens Ohr geschlagen, denn es
war mit einemmal ein Brausen und Rauschen um
sie her wie von hundert mächtigen Wasserfällen, und
sie wußte sich später nicht zu erinnern, wie sie die
Treppe hinauf und in ihr Zimmer gekommen war.
Als sie nach geraumer Zeit auf ihrem Bette aus
einer Ohnmacht oder ans ohnmachtähnlichem
Schlummer erwachte, erinnerte sie sich überhaupt nur
au das eine, daß sie sich durch ihre verhängnisvolle
Lüge nunmehr für alle Zukunft zu sträflichem
Schweigen verurteilt habe, und daß sie bis au das
Ende ihres Lebens nicht mehr aufhören dürfe, sich
als Mitschuldige eines gemeinen Meuchelmörders
zu verachten.

Zecbrelmte; liopitel.
Noch im Laufe des Vormittags war die Gerichts-
kommission aus der Kreisstadt cingetroffcn, und da-
mit hatte die eigentliche Untersuchung ihren Anfang
genommen.
Wie cs der sensationellen Bedeutung des Falles
entsprach, wurde sogleich ein überaus umfangreicher
Apparat in Bewegung gesetzt, und neben dem
Staatsanwalt und dem Untersuchungsrichter waren
auch einige höhere Polizeibeamte erschienen, um jene
richterlichen Personen bei den überaus wichtige»
ersten Recherchen in umfassendster Weise zn unter-
stützen.
In einem vom Fürsten zur Verfügung gestellten
Räume des Schlosses fanden in ununterbrochener
Folge die Vernehmungen aller jener Personen statt,
von denen man irgend welche zur Aufklärung des
Verbrechens geeignete Angaben erwarten konnte,
während die Polizeibeamten draußen ihre Nach-
forschungen »»stellten. Aber bis in den späten Nach-
mittag hinein hatte sich noch keine Spur gefunden,
deren Verfolgung Aussicht ans eine Entdeckung des
Mörders geboten hätte.
Besonders eingehend war natürlich das Verhör
der beiden Männer gewesen, die den erschossenen
Grafen im Walde gefunden hatten. Klar und be-
stimmt machte der Ristower Förster seine Angaben;
er berichtete über die beiden Schüsse, die seine Auf-
merksamkeit erregt hatten, über sein Zusammentreffen
mit dem Forstgehilfen Hilgert über die Um,
stände, unter denen sie dann die Leiche Mein-
burgs entdeckt. Er erklärte, daß einer der beiden
Schüsse von seinem Untergebenen abgefeuert worden
sei und dem gefangenen Seeadler gegolten habe, den
man in der That tot in seinem Gehege gefunden.
Der zweite aber müsse dann eben der Todesschuß
für den unglückliche» Grafen gewesen sein.
Die Frage, ob er irgend welchen Verdacht gegen
eine bestimmte Persönlichkeit äußern könne, mußte
der Förster verneinen. Wohl stand dieser oder jener
Inselbewohner in dem Gerüche, gelegentlich ein
wenig zu wildern, aber unter diesen zweifelhaften
Persönlichkeiten war keine, der man ohne weiteres
eine so furchtbare That hätte zutrauen können —
um so weniger, als der Mörder des Grafen sich
allem Anschein nach keineswegs im Zustand der
Notwehr oder der Verteidigung befunden, sondern
ans dem Hinterhalt auf sein ahnungsloses Opfer
gefeuert hatte.
Genau in demselben Sinne äußerte sich auf die
an ihn gerichtete Frage auch der Forstgehilfe Hilgert.
Ja, er ging sogar noch einen Schritt weiter, indem
er mit großer Bestimmtheit erklärte, nach seiner
Ueberzeugung sei der Graf überhaupt nicht von
einem Wilderer oder sonst einem Einheimischen er¬

mordet worden. Irgend welche besonderen Gründe
für diese seine Ueberzeugung vermochte er dann aller-
dings nicht anznführen. Auf die Frage, weshalb
er den Seeadler abgeschossen, hatte er dieselbe Er-
klärung, die er schon gestern seinem Vorgesetzten ab-
gegeben, und man hielt diesen Umstand nicht für
wichtig genug, um ihn zum Anlaß für weitere Er-
örterungen und Untersuchungen zn machen. Irgend
ein Verdacht gegen den Forstgehilfen lag ja nicht
vor, und sein etwas sonderbares, scheues und un-
sicheres Benehmen während des Verhörs schien durch
die Befangenheit, die den einfachen Mann im Verkehr
mit dem Gericht so leicht befällt, hinlänglich erklärt.
Selbstverständlich beschränkte man sich nicht dar-
auf, der Vermutung nachzugehen, die einen gewöhn-
lichen Wilddieb ans den Kreisen der einheimischen
Bevölkerung für den Urheber des Verbrechens hielt,
sondern man faßte auch die verschiedenartigsten an-
deren Möglichkeiten ins Auge. Graf Meiuburg
konnte einem Racheakt zum Opfer gefallen sein, oder
irgend ein wegelagcrnder Strolch konnte ihn aus
dem Hinterhalt niedergeschossen haben, um dann
den Toten zu berauben. Für die erstere Annahme
aber bot sich vorläufig nicht der geringste greifbare
Anhalt, nnd gegen die letztere sprach der Umstand,
daß man sowohl Börse und Brieftasche, die eine
sehr große Geldsumme enthielt, wie die kostbare Uhr
und die wertvollen Ringe bei der Leiche gefunden
hatte.
Keiner von denen, die während seines hiesigen
Aufenthaltes mit dem Grafen in Berührung ge-
kommen waren, hatte irgend eine Wahrnehmung
gemacht, aus Grund deren sich ein Verdacht gegen
eine Person aus seiner Umgebung hätte konstruieren
lassen. Und so war es vollkommen begreiflich, daß
man trotz der von Hilgert geäußerten Zweifel und
trotz der vorläufigen Ergebnislosigkeit aller Nach-
forschungen an der zuerst aufgetanchten Vermutung
als an derjenigen festhielt, für welche bei weitem die
meisten Wahrscheinlichkeitsgründe sprachen.
Noch am Abend traf die Gräfin Meiuburg auf
Schloß Giruitz wieder ein. Der lange schwarze
Witwenschleier, der ihre Gestalt umhüllte, verbarg
auch ihr Gesicht so vollständig, daß die Personen,
die sie bei ihrer Ankunft gesehen hatten, nichts an-
deres berichten konnten, als daß ihre Haltung die
einer vom Schmerz völlig gebrochenen Frau und
ihre Stimme ein beinahe tonloses Flüstern ge-
wesen sei.
Sic hatte eine lange Unterredung mit dem Fürsten,
und dann eine weitere mit dem Untersuchungsrichter,
der sich ihr trotz seiner Erschöpfung nach den An-
strengungen des Tages sofort zur Verfügung ge-
stellt hatte. Die zehnte Stunde war bereits vorüber,
als der Beamte das Gemach der bedauernswerten
Witwe verließ, nm in das improvisierte Amtszimmer
znrückzukehren, wo der Protokollführer nnd ein
höherer Polizeibcamter ihn erwarteten.
Es gab eine knrze Konferenz; dann entfernte sich
der Kriminalinspektor, um die abseits vom Schlosse
gelegene Wohnung des Forstmeisters anfzusuchen.
Er ließ sich durch den Burschen melden und wurde
sofort angenommen. Alvörden, der schreibend am
Tisch gesessen hatte, stand auf nnd ging dem späten
Besucher nm einige Schritte entgegen.
„Bringen Sie mir eine Neuigkeit, Herr Inspektor?
Hat sich endlich eine Fährte gefunden?"
Der Beamte sah ihm fest ins Gesicht. Er fand,
daß der Forstmeister sehr müde und angegriffen ans-
sah; aber er konnte nichts von dem Ausdruck einer
ungewöhnlichen Aufregung nnd Spannung in seinen
Zügen entdecken.
„Vielleicht!" erwiderte er mit gemessener Höflich-
keit. „Doch bin ich leider nicht in der Lage, Ihnen
nähere Mitteilungen zu machen."
„Darf ich fragen, womit ich Ihnen zu Diensten
sein kann?"
„Ich komme im Auftrage des Untersuchungs-
richters. Er hat den dringenden Wunsch, Sie zn
sprechen."
„Noch an diesem Abend?"
„Gleich jetzt, wenn ich bitten darf. Es handelt
sich nm Auskünfte von großer Wichtigkeit."
„Ich bin selbstverständlich zu Ihrer Verfügung.
Wenn es Ihnen genehm ist, gehen wir zusammen."
„Ich bitte darum."
Die eigentümliche Zurückhaltung in: Benehmen
des Mannes, der ihn bei ihrer ersten Begegnung
mit ausgesuchter Liebenswürdigkeit behandelt hatte,
fiel Alvörden wohl auf; doch er legte ihr keine
besondere Bedeutung bei. Und er hielt es auch nicht
für nötig, während des kurzen Weges, den sie zurück-
legten, eine weitere Frage an seinen Begleiter zu
richten.
Erwartungsvoll überschritt er die Schwelle des
Verhörszimmers, wo der Untersuchungsrichter und
der Referendar, der die Funktionen eines Protokoll- !
führers versah, seiner harrten. Höflich, doch auch

hier mit einer gewissen amtlichen Kühle, wurde sein
Gruß erwidert, und der Richter lud ihn durch eine
Handbewegung zum Nicdersitzeu ein.
„Ich habe Sie bitten taffen, Herr Forstmeister,
weit ich noch einige nachträgliche Fragen an Sie zu
stellen habe. Ich darf wohl erwarten, daß Sie die-
selben ohne Rückhalt und der Wahrheit gemäß be-
antworten werden, auch wenn ich gezwungen bin,
Privatverhältuiffe zu berühren, deren Erörterung
Ihnen vielleicht nicht angenehm ist."
Alvördeus erstaunte Miene bewies zur Genüge,
wie überraschend und zugleich verletzend diese Ein-
leitung auf ihn wirkte. „Jede Antwort, die zu
geben ich überhaupt in der Lage bin, wird selbst-
verständlich der Wahrheit entsprechen," sagte er kurz.
„Als ich Sie hente mittag ersuchte, mir alles
mitzuteilen, was nach Ihrer Ansicht für die schwebende
Untersuchung von Belang sein könnte, thaten Sie
der persönliche» Beziehungen, die zwischen Ihnen
und dem Grasen Meinburg bestanden hatten, keine
Erwähnung. Hatten Sie eine besondere Ver-
anlassung, sie zu verschweigen?"
„Allerdings. Und ich halte mich sür unbedingt
berechtigt, anch jetzt jede Auskunft darüber zu ver-
weigern, da sie mit dem Verbrechen, dem Graf Mein-
burg zum Opfer gefallen ist, jedenfalls nicht das
mindeste zu schaffen haben."
„Das zu beurteilen, Herr Forstmeister, werden
Sie den Untersuchungsbehörden überlassen müssen.
Ich mache Sie darauf aufmerksam, daß das Gesetz
Ihnen nur in einem einzigen Fall gestattet, Ihr
Zeugnis zu verweigern, in dem Falle nämlich, daß
Sie durch die Abgabe desselben sich selbst einer
strafbaren Handlung bezichtigen würden. Und ich
nehme an, daß es nicht diese Bestimmnng ist, aus
welche Sie sich berufen wollen."
„Nein! - - Wenn es Ihnen vielleicht nur darauf
ankommt, von mir bestätigt zn hören, daß meine
persönlichen Beziehungen zn dem Grafen Meinburg
nicht von freundschaftlicher Art waren, so gebe ich
das ohne weiteres zu."
„Das heißt: es bestand eine alte und tief ein-
gewurzelte Feindschaft zwischen Ihnen?"
„Nicht auf meiner Seite. Denn die Persönlich-
keit des Grafen hatte längst aufgehört, irgend welches
Interesse für mich zn haben. Aber ich halte es
allerdings sür möglich, daß er in Bezug ans mich
ein Gefühl tief eingewurzelten Haffes hegte."
„Natürlich waren Sie auch über die Ursachen
dieses Hasses nicht im Ungewissen. Wollen Sie mir
dieselben mitteilen?"
„Nein."
„Und weshalb nicht?"
„Weil ich dabei Dinge berühren müßte, die nicht
nnr den Ermordeten und mich, sondern auch dritte
Personen angehen."
„Sie werden selbst einsehen, Herr Forstmeister,
daß ich mich mit einer solchen Erklärung unmöglich
zufrieden geben kann. Wenn es sich um die Auf-
klärung eines schweren Verbrechens handelt, darf
von einer Beobachtung derartiger Rücksichten nicht
mehr die Rede sein. Ich frage Sie nicht aus per-
sönlicher Neugier, sondern im Namen der Justiz,
als deren Beamter ich hier vor Ihnen sitze. Und
ich mnß Sie in Ihrem eigenen Interesse dringend
ersuchen, dessen eingedenk zn bleiben."
„In meinem eigenen Interesse? Was soll das
heißen?"
„Es soll heißen, daß vielleicht niemand angelegent-
licher wünschen sollte, als Sie selbst, volle Aufklärung
über die hier in Betracht kommenden Verhältnisse
zu geben."
Etwas wie ein Lächeln zuckte um Alvördeus
Lippen. „Verzeihen Sie, Herr Untersuchungsrichter
— aber wenn es nicht geradezu unsinnig wäre,
Ihren Worten solche Deutung zu geben, könnte ich
nach dieser feierlichen Aufforderung fast versucht
sein, zu glauben, daß mau keinen anderen als mich
für den Mörder des Grafen Meiuburg hält."
„Es ist nicht meines Amtes, mich in derartige
Erörterungen einzulassen. Noch einmal frage ich
Sie also kurz nnd klar: Wollen Sie mir über die
Gründe Ihrer Feindschaft Auskunft geben oder
wollen Sie es nicht?"
„Ich kann nur wiederholen, daß ich sie ver-
weigere."
„Nun wohl, Herr v. Alvörden, so will ich sie
Ihnen nennen. Sie haßten den Grafen Meinbnrg
seit der Zeit, wo er Ihnen als ein vom Glück be-
günstigter Nebenbuhler in den Weg getreten war.
Geben Sie das zn?"
„Nicht ganz. Es mag sein, daß ich den Grafen
damals haßte. Aber ich hatte mich längst gewöhnt,
jene um Jahre zurückliegenden Vorgänge mit wesent-
lich kühleren Empfindungen zu betrachten. Sie
waren für mich im eigentlichen Sinne des Wortes
tot und begraben."
„Wenn es sich so verhielt, wie wollen Sie dann
 
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