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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 37.1902

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Heft 27
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https://doi.org/10.11588/diglit.44085#0653
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658

Das Buch für Alle.


Der vorcierclom mit der 8t. 8everikircke in erkürt.
Nack einer Pkoiograpkis von K. keiige (Znti. iöugo Loniag, iöokptiotogreplr) in Lrkuri.

Ton heraus und reichte
ihr den Brief. „Was
kann dieser Mensch von
mir wollen?"
„Du erwartest doch
wohl nicht, daß ich dir
das sage?" antwortete
Frau Lemerle achsel-
zuckend, während sie den
Brief zurückgab.
„So sage ich es dir!
Es handelt sich um
meine Tochter!" Kampf-
bereit stand er da, nrit
aufgeregten Blicken um
sich schauend.
„Es kann fein. Viel-
leicht auch nicht. Warte
es ab, mein Lieber!"
„Natürlich! Dich
bringt nichts aus deiner
Ruhe! Du findest das
nicht empörend. Die
Treppe werf' ich ihn
hinab, wenn er kommt!"
Er lief heftig im
Zimmer auf und ab.

kam dabei an dem perlengeftickten alten, Glockenzug
vorbei und riß daran, daß er ihm beinahe in der
Hand blieb.
Die alte Margot kam erschrocken hereingeeilt.
„Wo ist Fräulein Blanche?" herrschte er sie an.
„Sie soll sofort herunter kommen! Sofort!"
Margot verschwand mit allen Zeichen des Ent-
setzens, denn obgleich sie seit Jahrzehnten wußte,
daß Herrn Lemerles Zornausbrüche stets nur auf
leeres Poltern hinausliefen, wirkte der Lärm doch
auf ihre Nerven.
Alle ihre Lieblingsheiligen anrnfend, erklomm sie
die alte Holztreppe zu dem im zweiten Stock gelegenen
Zimmer Blanches, um diese zu rufen. Das junge
Mädchen ließ sich durch die Mitteilung, Monsieur
befinde sich in nie gesehener Wut, nicht erschrecken.
Das Niegesehene war schon oft dagewesen. Doch
eilte sie rasch in das untere Stockwerk hinab, trat in
das Boudoir ihrer Mutter und fragte, was es gäbe.
„Das da giebt es!" fuhr Herr Lemerle auf, seiner
Tochter den bereits stark zerknitterten Brief in die
Hand drückend. „Hast du diesen sauberen Herrn
ermutigt?"
„Ich? — O Papa!" rief Blanche, in deren
Wangen beim Ueberfliegen der wenigen Zeilen doch
ein flüchtiges Rot stieg. „Warum denn ich? Weißt
du denn, was dieser Herr von dir will?"


SelamianUcbt von Trkuck. Nack einer Piioiograpkie von X. keilge <5nk. kugo Soniag, iöoipiioiograpii) in Sriuri.

5.
Einige Tage später saß Herr Lemerle in seinem
Arbeitszimmer, das seiner Bestimmung nur sehr
wenig entsprach, denn eigentlich war es ein Boudoir,
weil er hier mit dem Schicksal und aller Welt zu
schmollen pflegte. Es war ein recht gemütliches
Zimmer mit dünnbeinigen Mahagonimöbeln, die noch
keine Ahnung davon halten, daß sie bald wieder in
die Mode kommen sollten, und vielen kleinen Familien-
Porträts in Medaillenform an der Wand. Indessen
beeinflußte das Milieu Herrn Lemerle wenig. Das
Zimmer mochte gemütlich sein, er war es nie.
Auch heute saß er mit gefurchten Brauen da,
gereizt und mißtrauisch auf ein langes elfenbein-
farbiges Couvert in seiner Hand blickend, das ein
Wappen mit einem adeligen Monogramm aufwies.
Poststempel Metz. Vornehme Handschrift. Aber
der Bries roch auf zehn Schritte nach Deutschtum.
Endlich, nachdem er ihn lange genug kopfschüttelnd
betrachtet hatte, that er, was er, um seine Neugierde
zu befriedigen, sogleich hätte thun können: er erbrach
den Brief und fand darin ein paar Zeilen, durch
die er um eine Unterredung ersucht wurde. Die
Unterschrift lautete klar und deutlich: Georg
v. Kaaden-Horst.
Wütend lies er durch den Salon und den Speise-
saal in das kleine Zimmer, das seiner Frau ge-
wöhnlich zum Aufenthalt diente. Hier saß sie in
einem Fauteuil von geblümtem Stoff am Kamin,
die Füße gegen das Gitter gestemmt.
„Lies das!" stieß Lemerle in seinem empörtesten

lla; llatbau; in ^rluck. Nack einer pkolograMs von X. ksiige t^nli. kugo Loning, iöokpiioiograpii) in krkuri. (5, t57)
 
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