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K «MW

irr»!

ich
von

wenn
künste
konnte."

lahmen Bein, als ob es auf der ganzen Welt nichts
Interessanteres gäbe. Sagen Sie mir jetzt lieber,
Fräulein Martha, wie es Ihrem Bruder geht. Bei
meinem letzten Besuch hat mich sein Aussehen be-
unruhigt. Hat er sich denn immer noch nicht mal
ordentlich untersuchen lassen?"
„Gerade als ich heute früh fortging, war Doktor
Weiß gekommen, um es zu tun. Auch ich sorge
mich sehr um Gerhard. Aber Sie fürchten doch
nicht, daß es etwas Ernstliches fein könnte?"
„Das verhüte der Himmel! Und wir brauchen
uns auch wohl nicht zu ängstigen. Er kann ja kaum
fünfunddreißig Jahre alt sein, und er war doch
bisher immer gesund. Jedenfalls hat er sich über-
arbeitet. Diese rücksichtslose Hingabe seiner ganzen
Kraft an das, was er für seine Pflicht halten mußte,
war ihm ja schon in den Knabenjahren eigen. Sie
können das bei dem großen Altersunterschiede, der
zwischen Ihnen und ihm besteht, nicht so wissen. Ich
aber er-
innere /
mich noch . I./ a
recht gut,
wie sehr es

kein Verdienst. Diese herzigen Kleinen sind so dank-
bar für jeden Beweis ehrlicher Anteilnahme an ihren
vielen Freuden und Leiden, daß cs ein wahres Ver-
gnügen ist, mit ihnen nmzugehen. Uni nichts in der
Welt möchte ich meinen Beruf mit einem anderen
vertauschen. Ich habe immer die Empfindung, daß
man bei diesem stündigen Verkehr mit der Jugend
selbst niemals altern könnte."
„Für Ihre Person wenigstens würde das sicher-
lich zutreffen," bestätigte er im Tone vollster Über-
zeugung, nur dann, da sie nicht antwortete, nach
einer kleinen Weile mit verändertem Ausdruck hinzu-
zufügen: „Aber ich kann Ihnen wohl nicht zu^üten,
aus Rücksicht auf mich dieses Schneckentempo inne-
zuhalten. Es war ja auch nur meine Absicht, Ihnen
einen guten Tag zu wünschen und mich nach dem
Befinden Ihres Bruders zn erkundigen."
Er war stehen geblieben. Doch sie erhob mit
einem freundlichen, fast bittenden Blick die Augen
zu seinem Gesicht. „Glauben Sie etwa, daß ich in
dieser drückenden Mittagshitze schneller gehen würde,
wenn ich allein wäre?" fragte sie. „Wenn ich Ihnen
von meinem Bruder erzählen soll, müssen Sie sich
schon entschließen, mich noch ein Stück zu begleiten."

„Aber Sie bringen mir ein Opfer," beharrte er.
„Ist es Ihnen denn nicht peinlich, neben so einem
hinkenden Krüppel, nach dein alle Leute sich mitleidig
umsehen, über die Promenade zu schleichen?"
Martha errötete wieder, und diesmal noch tiefer
als zuvor. „Wie Sie nur so garstig sprechen mögen!
Eigentlich sollte ich Ihnen gar nicht darauf ant-
worten. Denn Sie müssen wahrhaftig eine sehr
wenig günstige Meinung von mir haben, nm eine
so kränkende Frage zn stellen."
Sie schien wirklich verletzt, und er bemühte sich
nach Kräften, feine Ungeschicklichkeit wieder gut zu
machen.
„Seien Sie mir nicht böse, Fräulein Martha!
Daß ich mir lieber die Zunge abbeißen, als Sie mit
Vorbedacht kränken würde, sollten Sie doch wissen.
Und welche Meinung ich von Ihnen habe, müßten
Sie eigentlich auch schon gemerkt haben. Aber ich
kann nun mal nicht über die Empfindung Hinweg-
kommen, daß mein Gebrechen mich den Menschen
lästig macht. Hätte ich's gleich mit auf die Welt
gebracht, würde ich vielleicht weniger unter dieser
fatalen Besorgnis leiden, die mich mit einem be-
ständigen Mißtrauen erfüllt gegen die Aufrichtigkeit
meiner Nebenmenschen."
„Ein Mißtrauen, das Sie wahrlich nicht in sich
auskommen lassen sollten," verwies sie mit eindring-
lichem Ernst. „Denn Sie tun damit Ihren Freunden
ein ebenso bitteres Unrecht wie sich selbst. In dem,
was Sie Ihr Gebrechen nennen, ist nichts Be-
lästigendes. Und es sichert Ihnen außerdem die
Hochachtung aller, die seine Ursache kennen."
„Weil ich im Kriege znm Krüppel geschossen
worden bin, meinen Sie? Na, es ist doch ein ver-
zweifeltbescheidenes Verdienst, seins selbstverständliche
Schuldigkeit zn tun. Und auf besondere Hochachtung
kann es einem wohl kaum Anspruch geben. — Aber
ich rede hier mit Ihnen von mir und von meinem

teres Unrecht getan haben," erwiderte der Rechts-
anwalt.
„Würde ich sonst davon sprechen? Auch wenn
nur Gerhard die Ursache seiner damaligen Bitterkeit
nicht später selbst eingestanden hätte, wäre es mir
wohl nicht schwer gefallen, sie zn erraten."
„Und darf auch ich diese Ursache vielleicht erfahren,
Fräulein Martha? Möglicherweise bedarf es ja doch
noch irgend einer Erklärung, um mich in Ihren
Augen völlig zu rechtfertigen."
„O nein. Sie waren ganz unschuldig. Davon,
daß Ihr ehemaliger Schulfreund schrecklich eifersüchtig
auf Sie war, weil er eine stille Liebs für die Tochter
seines Chefs im Herzen trug, hatten Sie ja sicherlich
keine Ahnung. Hermine hat meinem Bruder fpäter
versichert, daß Sie gar nicht daran dachten, ihr den
Hof zu machen, wie er in seiner glühenden Verehrung
es wohl für ganz selbstverständlich gehalten hatte."
Der Rechtsanwalt, der bis dahin den Blick kaum
von dem Gesicht seiner Begleiterin verwandt hatte,
vermied es jetzt plötzlich sehr geflissentlich, ihren
lachenden Augen zu begegnen. „Er liebte Fräulein
Müller also schon zn jener Zeit? Nein, davon hatte
ich allerdings keine Ahnung."
„Wie sollten Sie auch — da Gerhard sein Ge-
heimnis natürlich sorgfältig hüten mußte, um nicht
wegen einer so unerhörten Dreistigkeit sofort ent-
lasten zn werden. Denn darauf, daß seine sehnsüchtigen
Wünsche jemals in Erfüllung gehen könnten, machte
er sich ja nicht die geringste Hoffnung. Er war ein
armer Kommis mit den bescheidensten Zukunfts-
aussichten, und der Vater seiner Angebeteten galt
für einen sehr reichen Mann. Auf eine so traurige
Veränderung, wie sie nach dem Kriege in den häus-
lichen Verhältnissen meiner Schwägerin eintrat, war
in jenen Tagen wohl niemand gefaßt."
„Nein — gewiß nicht! Und es müssen schwere
Zeiten für die verwöhnte junge Dame gewesen sein,

mich manchmal verdrossen hat,
ihn durch keine Verführungs-
feinen Schularbeiten fortbringcn
„Ei, was für Geständnisse sind das, Herr Rechts-
anwalt!" sagte Martha, die sichtlich froh war, die.
Unterhaltung auf einen leichteren Ton zn bringen,
scherzend. „Ich hatte nach Gerhards Erzählungen
immer geglaubt, Sie wären ein rechter Musterschüler
gewesen."
„O nein. Es siel mir nur im ganzen ein bißchen
leichter als ihm, der sich jeden Fortschritt in harter
Arbeit abringen mußte und trotz seines rastlosen
Fleißes nur mühsam mit uns anderen Schritt hielt. —
Sie haben gar keine Erinnerung an diese Zeit be-
halten?"
Sie schüttelte den Kopf. „Ich war wohl kaum
zehn oder elf Jahre alt, als Sie nach dem Abiturienten-
examen fortgingen, nm Offizier zn werden. Und ich
vermute, Sie haben sich trotz Ihrer Freundschaft für
Gerhard um seine unbedeutende kleine Schwester nicht
eben viel gekümmert."
„Das mag schon richtig sein," gab er, nun eben-
falls heiterer werdend, zurück. „Ihre äußere Er-
fcheinung von damals aber ist mir doch recht gut
im Gedächtnis geblieben. Und ich weiß noch, daß
Sie mir mit Ihrem langen, offenen Haar und Ihrem
Hellen Lachen, das beständig das ganze Haus zu
durchtönen schien, wie eine kleine Waldelfe vorkamen.
Als ich dann drei Jahre später znrückkam, war
freilich alles ganz anders geworden. Ihre Mutter
war gestorben; fremde Menschen wohnten in dem
Hause, in dem ich so viele fröhliche Stunden verlebt
hatte, und Sie hatten die Stadt verlassen."
„Ja — ich befand mich bei Verwandten, die meine
Erziehung vollenden sollten. Aber, weil wir nun
einmal von diesen alten Geschichten plaudern —
wissen Sie auch, Herr Rechtsanwalt, daß ich damals
gar keine gute Meinung von Ihnen hatte?"

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ovginolrsiciinung von M Malin.

„Wirklich? Und was hatte ich getan, nm mir
Ihr Mißfallen zuzuziehen?"
„Mein Bruder hatte mir in seinen Briefen aller-
lei über Sic mitgeteilt, was mich veranlaßte. Sie
für recht hochmütig zn halten. Er war zn jener Zeit
als Buchhalter bei dem Vater feiner jetzigen Fran,
dem Großkaufmann Müller angestellt, und er schrieb
mir, daß sein einstiger Schulkamerad, der Herr
Leutnant Schröder, ein sehr häufiger Gast im Müller-
schen Hause fei."
„Damit schrieb er allerdings die Wahrheit. Aber
ich weiß nicht, wie Sie darin einen Beweis für
meinen Hochmut sehen konnten —"
„Nicht darin natürlich. Was mich gegen Sie
einnahm, waren gewisse bittere Bemerkungen Ger-
hards über den Unterschied zwischen Ihrer glänzenden
gesellschaftlichen Position und seiner eigenen be-
scheidenen Stellung. Ich hatte dafür keine andere
Erklärung als die, daß Sie ihn bei einer von ihm
versuchten Auliäherung diesen Unterschied hätten
fühlen lassen. Und ich verhehle gar nicht, daß
ich Ihnen deshalb recht böse war."
„Inzwischen aber sind Sie hoffentlich zu der
ML. Erkenntnis gekommen, daß Sie mir damit Lit-
 
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