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Die krau (le; kenülantsn.
Kriminalroman von 0. lilauhmann.
(korttehung.)
(llcictiäruck verboten.)
artel verzichtete sogar ans den einzigen Luxus,
den er sich zuweilen, wenn auch in großen
Zwischenräumen, vergönnt hatte: ans den
Besuch des von ihm leidenschaftlich geliebten
Theaters. Aber der Verzicht wurde ihm nicht schwer;
denn seitdem dieses Nene in sein Leben eingedrungen
war, sah und träumte er allabendlich in seinem
einsamen, armseligen Stübchen tausendmal schönere
Dinge, als des größten Dichters Phantasie sie ihm
hätte vor die Seele zaubern können. —
Gegen Mitternacht erst war er mit seinem Roman-
band zu Ende gekommen, und unter den glückseligsten
Vorstellungen, die diese Lektüre in ihm geweckt hatte,
schlief er ein. Am nächsten Morgen aber verließ er
seine Wohnung schon eine Viertelstunde früher als
gewöhnlich, denn er wußte, daß dies der Tag war,
an dem Martha Winter bereits vor acht Uhr in der
Schule sei« mußte.
Er rechnete darauf, ihr zu begegnen, und seine
Erwartung hatte ihn nicht betrogen. Mit einer
affektierten Grazie, die er seinem Licblingsschauspiclcr
abgelanscht und daheim vor seinem Spiegel unzähligc-
mal eingeübt hatte, zog er seinen Hut schon, als
er noch um ein Dutzend Schritte von ihr entfernt
war. Die freundliche Erwiderung seines Grußes
ließ ihn die Verlegenheit, die ihm im entscheidenden
Augenblick die Kehle zusammcnzuschnürcn drohte,
glücklich überwinden. Er blieb stehen und nötigte
durch seine Anrede die sichtlich überraschte junge
Lehrerin, ein gleiches zu tun.
„Ich bitte gehorsamst nm Verzeihung, Fräulein
Winter, wenn ich Sie belästige," sagte er. „Aber
vielleicht waren Sie die Verliererin dieses Buches,
das ich gestern abend beim Verlassen des Geschäfts-
hauses vor der Türe gefunden."
Sie warf einen Blick auf den Band, den er ihr
entgcgenhielt, und lächelte erfreut. „Allerdings!
Der Verlust, dcu ich bis jetzt noch gar nicht bemerkt
habe, wäre mir sehr unangenehm gewesen. Denn
das Buch ist nicht mein Eigentum, sondern ich hatte
es für meine Schwägerin aus der Leihbibliothek
geholt. Ich bin Ihnen für Ihre freundliche Be-
mühung aufrichtig verbunden, Herr —"
„Bartel!" ergänzte er mit einer lächerlich tiefen
Verbeugung, da er sah, daß sie sich vergebens auf
seinen Namen besann. „Für Ihre Frau Schwägerin
also? — Sie selbst verschmähen es wahrscheinlich,
Romane zu lesen?"
Seine unverkennbare Absicht, ein Gespräch an-
knüpfen zu wollen, mochte Martha befremden;
aber sie stand ihm nichtsdestoweniger in ihrer rnhig
liebenswürdigen Weise Rede.
„O nein, wenn mir auch neuerdings meine Berufs-
tätigkeit nur wenig Zeit dazu läßt. Gerade diesen
Roman habe ich auf Grund eigener Kenntnis meiner
Schwägerin empfohlen."

ster Mtsbibliotliek ru 5t. Stillen. (5. 5st)
Nack einem Semüiile von Max Sckolr.
 
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