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370

war wie von Sinnen vor Aufregung und Verwir-
rung, aber ich will alles, wie es sich zugetragen hat,
erzählen, treu und wahrhaftig, wie ich's erlebt. Es
uwr etwa gegen zwei Uhr in der Nacht, als ich
plötzlich geweckt wurde nnt der Nachricht, daß mein
Gemahl sehr schwer erkrankt sei. Ich eilte sofort an
fein Lager und fand ihn nur noch leise röchelnd und von
Zeit zu Zeit stöhnend vor. Er war sehr bleich, sonst
aber ziemlich ruhig. Jedenfalls hatte er keine
Schmerzen. Ich fiel an seinem Bette nieder und
betete — mein Sohn war gerade in jener Nacht
nicht zu Hause. Gegen drei Uhr sagte mir der Arzt,
den Green in aller Eile geholt, daß für den Moment
keine Gefahr mehr sei, und ich mich wieder zurück-
ziehen könne, da ich den Aufregungen am Kranken-
bett doch nicht gewachsen wäre. Ich ging also wieder
in mein Schlafzimmer, fand aber nirgends Ruhe.
Nach etwa einer Stunde kam Green und meldete
mir — ich muß es sagen, schonend und rücksichtsvoll
— den Tod meines Gatten. Gleichwohl war ich
davon so erschüttert, daß ich kaum wußte, was ich
tat, und mich auch jetzt nur dunkel auf die Vorgänge
besinne. Ich lief wieder in das Zimmer meines
Gatten zurück und sah ihn starr ausgestrcckt, das
Gesicht nach der Wand gekehrt im Bette liegen."
„Tot?" unterbrach sie Perkins.
„Mein Gott, wer hat in einem solchen Moment
wohl alle seine Sinne zusammen, um auf alle ein-
zelnen Erscheinungen zu achten? Man sagte nur, er
sei tot. Hatte ich denn auch nur die geringste Ahnung,
daß es anders sein könne? Oder den kleinsten Grund
zum Zweifel?"
„War es dunkel im Zimmer?"
„Es war Halbdunkel. Es brannte ein Nachtlicht."
„Nichts sonst? Sie konnten dann doch unmöglich
klar und deutlich sehen."
„Wozu brauchte ich denn das auch? Wer denkt
denn in solchen Augenblicken an so etwas?"
„Nun weiter. Was geschah nun? Es kamen
doch wohl noch andere Leute?"
„Gewiß, aber ich war so abgespannt und nervös,
daß ich mich um nichts mehr kümmern konnte und
gern von Greens Anerbieten, alles übrige zu be-
sorgen, Gebrauch machte. Man sagte mir, es ginge
nicht an, den toten Körper in der Wohnung zu lassen,
und so wurde er denn hinunter in einen kleinen, ab-
gesonderten Raum im Souterrain getragen. Hier
blieb er auch bis zur Beisetzung."
„Und Sie sahen ihn dann nicht wieder?"
„Nein. Ich war's nicht im stände. Denken Sie
die Aufregungen, die Geschäfte, die alle zu besorgen
waren — und zudem war ich selbst damals unwohl."
„Aber jetzt, Frau Marquise, nachdem Sie die
Äußerungen Greens und Brockers gehört haben,
werden Sie doch wohl zugeben müssen, daß eine
Täuschung nicht ausgeschlossen war."
„Jetzt ja. Aber damals hatte ich ja gar keinen
Gedanken daran."
In diesem Augenblick trat ein Kellner ein. „Dieser
Herr wünscht die Fran Marquise in einer wichtigen
Angelegenheit zu sprechen," sagte er und gab dabei
der Marquise eine Karte.
„Moris Linning, Rechtsanwalt," las die Frau
Marquise.
Perkins stand rasch und erregt auf.
„Ah!" machte er überrascht, „der Vertreter Elver-
daals."
„Es ist Ihnen wohl unangenehm, hier mit ihm
zusammenzntreffen?" fragte die Marquise.
„Aber ganz und gar nicht. Im Gegenteil."
„In einer wichtigen Angelegenheit will er mich
sprechen. Was mag er wollen?"
„Lassen Sie den Herrn eintreten, dann werden
wir es ja erfahren."
„So führen Sie den Herrn her," sagte dann die
Marquise zu dem Kellner, und gleich darauf trat
Mister Linning ein.
„Gnädige Frau Marquise," begann Linning mit
einer Verbeugung, dann schoß er aber plötzlich auf
Perkins los, streckte ihm die Hand entgegen und
fuhr enthusiastisch fort" „O, meist hochverehrter Herr
Kollege, mein wertester Mister Perkins, welche hohe
Ehre für mich und welches Vergnügen, Ihnen die
Hand schütteln zu dürfen und mit Ihnen zusammen-
zutreffeu."
„Ganz auf meiner Seite," erwiderte Perkins mit
biederer Aufrichtigkeit und einem gewissen herzlichen
Schwung, „ganz aus meiner Seite, mein wertgeschätzter
Herr Kollege. Der Name Linning hat in der ganzen
englischen Juristenwelt einen viel zu geachteten Klang,
als daß ich es nicht für einen persönlichen Vorteil
halten sollte, wenn mir das Glück einer Begegnung
zu teil wird."
Dabei schüttelten sich die beiden Herren anhaltend
und heftig die Hände, lächelten freundlich, verbeugten
sich und stossen, wie man zu sagen pflegt, vor gegen-
seitiger Hochachtung über.
In Wirklichkeit war Linning durchaus nicht er-

baut, Perkins gerade jetzt bei der Marquise anzu-
treffen, und hätte er gewußt, daß er hier war, so
wäre er wohl lieber draußen geblieben. Es lag ihm
daran, die Marquise unter vier Augen zu sprechen;
das ging nun nicht, und seine etwas schwierige
Mission war unter solchen Umstünden noch schwieriger.
Sein Programm war vorläufig nur, zu hören, aber
nichts zu sagen. Er wollte wissen, was man von
der Marquise zu erwarten habe, nm daraufhin erst
seine Entschlüsse zu fassen. Ob die Marquise sich im
Beisein Perkins' so leicht anshorchen lassen würde,
als ohne diesen, war recht zweifelhaft.
„Was verschafft mir das seltene Vergnügen Ihres
Besuchs, Mister Linning?" fragte die Marquise, als
sich die beiden hochverehrten Kollegen sattsam an-
einander entzückt hatten.
„Ich komme ini Auftrag des Herrn van Elvcr-
daal, meine Gnädigste."
„Und was wünscht Seine Herrlichkeit von mir?"
„Zunächst bedauert er ungemein, daß Ihr Ge-
sundheitszustand es Ihnen noch immer nicht gestattet,
ihm einen Besuch zu machen, und er würde es sich nicht
versagt haben. Ihnen persönlich seine Aufwartung
zu machen, wenn er gewußt hätte, daß Sie ihn emp-
fangen können."
„Es wird mir stets sehr angenehm sein, ihn in
meinen allerdings mehr als bescheidenen Räumlich-
keiten zu empfangen."
„Ich werde nicht ermangeln, Seine Herrlichkeit
daraus aufmerksam zu machen, und ich hoffe, daß sich
bei einer persönlichen Aussprache etwa gegensätzliche
Ansichten am leichtesten ausgleichen werden. Herr
van Elverdaal hat nämlich von Ihrem Antrag ge-
hört — um die Wahrheit zu sagen, muß ich erwähnen, !
daß er mir auch bereits offiziell von der französischen
Behörde mitgeteilt worden ist — der darauf ansgeht,
das Grab Ihres verstorbenen Gatten zu öffnen. Ehe
wir nun zu dieser offiziellen Mitteilung Stellung
nehmen, möchte Seine Herrlichkeit wissen, was Sie
eigentlich wünschen und beabsichtigen, Frau Mar-
quise?"
Die Marquise sah Perkins an, und dieser nahm
sofort das Wort.
„Mein verehrungswürdiger Herr Kollege, erlauben
Sie mir daraus zu erwidern, daß ich gewiß nicht er-
mangeln werde. Seine Herrlichkeit in ausführlichster
Weise von den Wünschen und Absichten der Frau
Marquise d'Aigre zu unterrichten, sobald dem von
uns gestellten Antrag entsprochen worden ist, und
ich von dem Befund des Grabes, unterrichtet bin."
„Wir möchten das aber vorher wissen, um zu
dem Anträge Stellung nehmen zu können, überhaupt
— ich spreche hier nicht als Rechtsanwalt, sondern
als Mensch und Freund der Parteien -- hält Seine
Herrlichkeit eine direkte Aussprache zwischen den beiden
so nahestehenden und vermutlich binnen kurzem noch
näher verbundenen Familien für ersprießlicher, als
einen — sagen wir juristischen Verkehr miteinander.
Seine Herrlichkeit wünschen gerade hier keine Miß-
verständnisse, keine Mißhclligkeiten, und ist zu den
liberalsten Arrangements bereit, wenn sie in fami-
liärer Art vorgeschlagen und nachgesucht werden."
(Fortsetzung folgt.)

störendsten zeigte, welche seit langen Jahren das Insel-
reich betroffen hat. Nicht nur, daß an den Küstenbauten
und Hafenanlagen durch den Anprall der Wogen großer
Schaden angerichtet wurde, Schiffe scheiterten und Men-
schenleben der empörten See zum Opfer fielen, auch im
Innern des Landes hat der rasende Sturm Schrecken
und Verwüstung angerichtet und Eigentum im Betrage
von Millionen vernichtet. Die Windstärke erreichte die
Ziffer II, was einer Geschwindigkeit von 120 Kilometer
in der Stunde gleichkommt. Von der Gewalt des Un-
wetters gibt unser Bild auf S. 372 dem Leser eine An-
schauung, das eine Anzahl Skizzen aus der Umgebung
des schottischen Hafens Greenock am Clyde zeigt, die
während der Sturmtage von einem dort anwesenden
Zeichner gemacht wurden. Es ist dabei zu berücksichtigen,
daß Greenock weit von der See in geschützter Lage an
dem dort 7 Kilometer breiten Flusse liegt, daher keines-
wegs die volle Gewalt des Sturmes auszuhalten hatte.
Trotzdem erreichte die Flut eine Höhe, wie sie von der
jüngeren Generation noch nicht beobachtet worden war.
Die steinerne MoleDead Slow (Skizze I und 2), die gewöhn-
lich etwa 4 Meter über den Wasserspiegel hervorragt,
war während des Sturmes völlig unter dem Wasser-
schwall begraben, und die wilden Brandungswellen schlu-
gen sogar über die an ihrem Ende aufgestellte, ebenfalls
etwa 4 Meter hohe Landmarke hinweg. Der Kai in
Greenock war ebenfalls gänzlich überflutet (Skizze 3), die
See brandete bis an dieHafengobäude heran, und auf dem
Strom wurden die dort verankerten Schiffe wie Bälle von
den empörten Wogen hin und her geschleudert. Ein
Dampfer, der bei der kleinen Miltoninsel (Skizze 4 und 5)
mit dem Sturme kämpfte, wurde zeitweise von haushohen
Sturzseen, die bis zur Höhe des Schlotes reichten, fast
zum Kentern gebracht. Ein Glück übrigens, daß die
Miltoninsel keine anderen Bewohner hatte, als Ratten,
denn obgleich sie bei gutem Wetter hoch aus dem Wasser
emporragt, ging diesmal die Flut nicht nur über ihren
kahlen, sandigen Strand hinweg, sondern auch über die
höchste, mit Büschen und Bäumen bedeckte Kuppe, und etwa
darauf befindliche Menschen wären unfehlbar verloren
gewesen, da kein Rettungsboot sie hätte erreichen können.
Den armen Ratten erging es schlecht genug. Die meisten
ertranken, nur den stärksten und kühnsten gelang es, sich
auf die Äste der über das Wasser emporragenden Bäume
zu flüchten, wo sie zitternd und zagend das Ende der Über-
flutung abwarteten (Skizze 7). Überall an der Westküste
bis Dover hinunter war die Lage kaum weniger schlimm.
Unter den gescheiterten Schiffen ist leider auch die deutsche
Bark „Luna", die mit der ganzen Besatzung zu Grunde
ging. Im Lande hat der Sturm besonders große Ver-
heerungen an den Telegraphenlinien angerichtet. Sämt-
liche Hauptleitungen im Norden Englands wurden unter-
brochen, und es war unmöglich, sie wiederherzustellen,
solange der Sturm in voller Wut tobte. Die mit der
Ausbesserung der Drähte beschäftigten Leute wurden ge-
radezu von den Leitern weggeblasen (Skizze 6). Unzählige
Schornsteine wurden auf die Straßen herabgestürzt, Hun-
derte von Dächern abgedeckt und selbst Häuser, darunter
zwei kleine Kirchen, zum Einsturz gebracht. Selbst Eisen-
bahnunfälle wurden durch den Orkan herbeigeführt, in
Lower Garnal das Pavillontheater ganz zerstört, in Darl-
ington der Turm der Presbyterianerkirche umgestürzt,
in Hatton das Dach des Predigerhauses eingedrückt,
wobei der Pfarrer und seine Frau schwere Verletzungen
erlitten. Die Hängebrücke über die Menaistraße in Nord-
wales ist so schwer beschädigt, daß der Verkehr einge-
stellt werden mußte. Wir würden den uns hier zur Ver-
fügung stehenden Raum weit überschreiten, wenn wir
auch nur die schwersten Unglücksfälle, welche die Sturm-
flut herbeigeführt hat, anfzählen wollten.

vsr prilirrsgLiitCiibruliliCN in Augsburg.
(81'etie 6ci8 Ailcl ciuk Zeits 3b5.)
Qm 12. März, dem 82. Geburtstage des Prinzregenten
Luitpold von Bayern, wurde in Augsburg der Prinz-
regentenbrunnen feierlich enthüllt. Er liegt im schönsten
Teil der mit Anlagen reich versehenen Neustadt und ist
ein Werk des Münchener Bildhauers Bernauer. In-
mitten des Vrunnenbeckens ragt ein 6 Meter hoher stei-
nerner Pfeiler empor, an dessen unterem achteckigen Teil
die Wasserspeier und die Reliesbüsten des Vaters des
Prinzregenten, des Königs Ludwig l., sowie des Königs
Max I., Max II. und Ludwig II. angebracht sind. Oben
auf dem Pfeiler steht die Bronzestatue des Prinzregenten.
Der Künstler hat den verehrten Fürsten im spanischen
Kostüm des Hubertusritters dargestellt, in aufrechter
Haltung, den Kopf ein wenig geneigt, in der rechten
Hand die Handschuhe, die Linke am Degengriff, über die
Schulter fällt lose der spanische Mantel. Die Auffassung
verbindet vornehme Ruhe mit außerordentlicher Lebens-
wahrheit, das Charakteristische in Gestalt und Gesicht
ist zu sprechendem Ausdruck gebracht worden. Die
Statue des Prinzregenten ist dunkelgrün patiniert, die
Reliefbüsten treten aus Goldgrund hervor. Zu der Brun-
nenschale führen Stufen empor. Das Antlitz des vor-
trefflichen Standbildes ist nach der Viktoriastraße ge-
richtet, so daß der von der Bahn Kommende, der in die
Stadt eintritt, gleich den bedeutendsten Eindruck von
dem Denkmal empfängt.
vis große Zturmklut in Lnglcmd.
(Lieke Ü-I5 8ii<I auk Leits 37S.)
^7n den letzten Tagen des Februar ist die Westküste
Englands von einer furchtbaren Sturmflut heim-
gesucht worden, die sich als ein« der heftigsten und zer-

Lilis liekumg 6sr Armelilottsris im Viener
kcitkiciuskLllsr.
(Lieke 6cis Lilli aut Leite 373.)
I>er prächtige Wiener Rathauskeller wird wegen stiner
künstlerischen Ausgestaltung, wie wegen seiner guten
Getränke von Einheimischen und Fremden fleißig besucht.
Der vornehmste Raum, das sogenannte Rosenzimmer, ist
mit vier reizenden Landschaften von Darmant geschmückt,
welche die niederösterreichischen Weinorte Gumpolds-
kirchen, Retz, Falkenstein und Klosterneuburg darstellen,
während in der „Schwemme" Wandgemälde angebracht
sind, die dem Wiener Sagenkreise entnommen wurden.
Hier findet alljährlich am Fastnachtsdienstag die Ziehung
einer Lotterie zum Besten der Armen statt, wie es auch
diesmal geschah. Sie begann am Abend des Fastnachts-
dienstags um 10 Uhr und hatte zahlreiche Losinhaber
und Zuschauer herbeigelockt, die in fideler Fastnachts-
stimmung und mit nicht geringer Spannung der Ziehung
folgten. Im Hintergründe des großen Raumes war aus
einer Erhöhung das Glücksrad aufgestellt, aus dem ein
Waisenmädchen die Nummern zog. Diese wurden durch
große Transparente sofort dem ganzen Publikum mit-
geteilt. Viele der anwesenden Losinhaber saßen oder
standen, um besser sehen zu können, auf Tischen und
Stühlen, folgten mit größtem Eifer dem Fortgang der
Ziehung und harrten klopfenden Herzens dem Moment
entgegen, wo auch ihnen das Glück vielleicht einen grö-
ßeren Gewinn in den Schoß werfen würde. Im Ganzen
gab es SOO höhere Treffer. Der Hauptgewinn betrug
20,000 Kronen in Gold, der zweite Gewinn bestand aus
einem silbernen Tafelgeschirr für 12Personen, die übrigen
Treffer teils aus Geldgewinnen von 1000 bis 2000 Kro-
nen, teils aus Schmuckgegenständen von größerem oder
geringerem Werte.
 
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