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„So, glauben Sie? Sehen Sie sich mal die
Sache in der Nähe an. Für einige Mark, die kaum
zum Leben reichen, den ganzen Tag rackern. Na,
ich habe es dnrchgcmacht elf Jahre lang!"
„Nun — da brauchen Sie wohl nicht erst von
vorne anznfangen," wandte Krüger ein. „Leute, die
in der Provinz so lange gearbeitet haben, werden
bei uns sehr geschätzt. Sie haben eben Ihren Beruf
ausgeübt."
„Meinen Beruf?" Heydemann lachte bitter auf.
„Lieber Herr, was denken Sie sich für einen ge-
wesenen Studenten der Philologie und der Philo-
sophie für einen Berns?"
„Hm ... ja, ich weiß nicht," sagte Krüger ver-
legen über diese Vertraulichkeit. „Lehrer . . . oder
auch in das praktische Leben eintreten — Kaufmann,
Buchhalter —"
Heydemann sah den anderen etwas erstaunt an.
„Es ist doch merkwürdig," sagte er, „daß manche

gute Ratschläge so spät kommen, daß sie nicht mehr
befolgt werden können."
„Na — eine dieser Berufsarten müssen Sie doch
gehabt haben," meinte Krüger lachend. „In einer
kleinen Stadt —"
„Ja, gerade in einer kleinen Stadt!" warf Heyde-
mann ein, „Versuchen Sie mal da umzusatteln!
Da heißt es: Schuster, bleib bei deinem Leisten.
Dn warst Student? Wie kannst du denn etwas
anderes sein wollen? Du verstehst doch von unseren
vernünftigen Sachen nichts. Und lernen willst du?
Etwas Neuss lernen? Aber, mein Lieber, da bist
du ja zu alt dazu!"
„Man kann doch unmöglich immer Student
bleiben."
„Freilich nicht! Ja, was wird man da? O, ich
mußte sehr eindringlich diese Frage an mich stellen.
Denken Sie sich, — zwei Jahre Universität — da
starb mir der Vater plötzlich, ohne einen Pfennig

zu hinterlassen. Er war Lehrer gewesen. Ich mußte
zurück ins kleine Nest. Meine Mutter war da, eine
kranke, gelähmte Frau, die nichts schaffen konnte,
die Pflege brauchte. . . . Die Pension — na, die
wurde bei ihrer Krankheit in wenigen Monaten ver-
braucht. ... Und kein Mensch kümmerte sich um die
Witwe und um den Sohn des toten Schulmeisters.
Na ja ... er war ja eben tot. Und dann hatte
diese Witwe eine Schwester, die war reich, sehr reich
hieß es. Jawohl — von dieser Schwester nicht
einen Groschen, nicht einen Pfennig! Nichts, nichts!
Und da trat die Frage an mich heran: „Was tust
du nun jetzt?" Antwort: Elf lange Jahre nichts
als Elend und Hunger."
„Nun, Sie haben doch nicht immer gehungert,"
bemerkte Krüger lächelnd.
„Fast - lieber Herr," sagte Heydemann achsel-
zuckend. „In einem Städtchen von kaum dreitausend
Einwohnern Man versucht erst etwas zu schreiben —

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man kommt ja aus dem literarischen Fach — aber
in dem kleinen Nest ist kein Boden dafür. Ich
träumte davon. Dichter, Schriftsteller zu werden,
machte allerlei Versuche — na, die Leute wollten
nichts davon wissen. Die Manuskripte wurden gar
nicht gelesen. Und was bleibt einem nun übrig,
wenn man Geld braucht, die Mutter leiden sieht
und gar nicht von der Stelle gehen kann? Sie
sagten ganz richtig: Lehrer. Leider aber nur Haus-
lehrer, das heißt Privatlehrer für die Anfänge des
Klavierspiels, Nachhilfestunden für begriffsschwere
Schüler der Volksschule — etwas anderes gibt es
nicht in Mittcndorf — die Stunde fünfundzwanzig
Pfennig! -Da essen Sie sich einmal satt, und zn
zweien — wenn Sic können."
„Ja — dann . . ."
„Nicht wahr? Na, Gott sei Dank, es ist über-
wunden. . . . Prosit!"
Er trank fein Glas ans, schenkte es wieder voll
und trank auch dieses sofort leer. Dann atmete er
tief auf.
Krüger betrachtete jetzt den Mann mit lebhafterem
Interesse. Dieser Kleinstädter, der für ihn anfäng-
lich etwas Komisches hatte, hatte doch etwas, was
gar nicht so komisch war.
„Sie trinken ja nicht," bemerkte Heydemann er-
munternd. „Trinken Sie ans. — So, prosit! Wir
wollen daun noch eine kommen lassen."
Sic stießen an. Heydemann füllte das leere

Glas Krügers und hob dann die Flasche, sie gegen
das Licht haltend.
„Wirklich nichts mehr drin," bemerkte er. Dann
klopfte er an das Glas. Der Wirt erschien.
„Bitte, noch eine," verlangte Heydemann.
Der Wirt zog ein eigentümliches Gesicht, ent-
fernte sich aber schweigend, kam bald zurück und
stellte mit einer gewissen Bedächtigkeit die Flasche
auf den Tisch.
Heydemann beobachtete mit einem belustigten
Lächeln den Alten. Er sah das mißtrauische Zögern
des Wirtes und rief lachend: „Na, da wollen wir
also die Zeche berichtigen." Und aus der Seiten-
tasche des Rockes eine große, dicke Brieftasche her-
vorholcnd, zog er einen Hundertmarkschein heraus
und hielt ihn dem Wirt hin.
Beim Anblick des Geldes änderte sich die Miene
des Herrn Weigel ganz plötzlich. „O bitte, Herr
Heydemann," sagte er höflich, „das hat ja morgen
Zeit. Durchaus keine Eile." Und mit einer Ver-
beugung verließ er den Tisch und verlor sich wieder
in das Dunkel hinter dem Büfett.
Auch Krüger wurde stutzig. Mit einer gewissen
Verwunderung betrachtete er die dicke Brieftasche,
aus der die Ränder zahlreicher Banknoten hervor-
sahen.
Heydemann war mit sich sehr zufrieden. Es
war nicht zn verkennen. Er hatte einen guten Effekt
ansgespielt.

„Also, prosit!" sagte er, wieder anstoßend „Und
diesmal auf Ihre Zukunft! Sie wollen wohl bald
heiraten? Wie?"
„O, damit hat es noch gute Wege," meinte
Krüger halblaut. „Der Alte will noch nicht."
„Er will nicht? Warum denn?"
„Das Gehalt, das ich bekomme, ist ihm zn klein.
Wir sollen warten."
„So machen Sie sich doch selbständig, wenn es
zu lange dauert"
„Ja, wenn das nur so ginge! Mein Schwieger-
vater will nicht herausrücken. Er braucht das Geld
für das Haus, das er umbauen möchte. Und ich
selbst besitze nichts. Da müßte ich erst einen Kom-
pagnon finden —"
„Der wäre doch zu finden, wenn man an dem
Geschäft was verdienen kann?"
„O und ob! Die Elektrotechnik —ich bitte Sie!
Das Einzige, wobei man jetzt noch Vermögen macht.
Es kommen täglich immer neue Unternehmungen, und
so viele ihrer sind, können sie die Aufträge nicht be-
wältigen. Freilich, man muß scharf hinterher sein."
„So, ja . . . ja," meinte Heydemann nachdenklich.
„Ich habe in der Zeitung öfter derartiges gelesen.
Mau kriegt wirklich förmlich Lust. Der Mensch
muß doch etwas tun, müßig gehen soll mau doch
nicht. Hm wir müssen nächstens bei Tag darüber
sprechen. Die Sache interessiert mich wirklich."
Krüger sah den Sprecher fragend an Er musterte
 
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