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wandlung. Die Schweigsamkeit der Tächter hielten
sie für Ruhebedürfnis. Sie fanden cs begreiflich,
das? Lieschen den Sonntag lieber im Kreise der Be-
kannten verbrachte, als bei ihnen. Herzlich wünsch-
ten sie ihr viel Vergnügen, und tröstend sagte eines
dann zu dem anderen: „Jugend will zur Jugend;
so haben wir's ja auch gehalten!" Doch begann
ein banger Schmerz das Herz der Eltern zu durch-
zittern, leise, leise nur und oft verstummend; aber
immer kehrte er wieder.
Eines Tages hatte Frau Gützow Einkäufe in
der Stadt besorgt. Vor den? Kontor erwartete sie
die Tochter. Von Herren und Damen begleitet, trat
diese heraus. Stolz schlug ihr das Mutterherz ent-
gegen, aber Lieschen bemerkte die Mutter nicht;
im eifrigen Gespräch mit den anderen wollte sie vor-
übergehen.
„Lieschen!" rief Fran Gülzow.
Die Tochter schreckte auf, verließ ihre Begleitung
und trat, ganz rot im Gesicht, heran. „Aber Mutter,
was für einen Hut hast du denn auf! Mit dem
darfst du dich nicht wieder auf der Straße sehen
lassen; dis Leute lachen dich ja aus! Bitte, gehe
nur ein Stückchen voraus; ich habe noch etwas Ge-
schäftliches zn besorgen und werde dich gleich wieder
einholen."
Still und gedrückt ging die Mutter. Erst vor
der Wohnung kam ihr die Tochter nach. Hmter
wurden sie vom Vater empfangen; aber die Mutter-
blieb still. Sie blieb es auch den ganzen Abend,
obwohl die Tochter so zärtlich und aufmerksam war
wie selten. —
Wieder waren Wochen vergangen. Da sagte
Lieschen eines Abends: „Vater, gib doch den Keller
auf und kaufe eiu Parterregeschäft! Hier ist's doch
viel zu feucht und ungesund für euch."
„Sorge dich nicht um uns, liebes Kind," ent-
gegnete der Vater. „Wir sind in diesem Keller alt
geworden in Freude und Leid, und ihm zu Ehren
muß ich sagen: die allermeisten Tage in dieser?
Mauern sind Tage der Freude für uns gewesen.
Der Keller hat uns so lange schlicht und recht er-
nährt, und ich werde ihn nicht eher verlasse??, als
bis mai? mich hinausträgt.— Nicht wahr, Marie?"
wandte er sich an die eintretende Gattin.
Libetanikcker buck;. (5. SLO)
„Ganz gewiß, Karl. Glaube mir's, Lieschen, ich
könnte mich an keinem anderen Orte wieder heimisch
fühlen."
Verstimmt wandte sich die Tochter ab und schweig-
sam verbrachte sie de?? Abend.
Immer kürzere Zeit weilte sie von nun ab zn
Hanse; sie hatte fast nur noch Schlafstelle bei den
Eltern.
Sehr, sehr schwer konnten sich Vater und Mutter
an das lange Fernbleiben ihres Lieblings gewöhnen.
„Sei ihr nicht böse, Karl!" bat die Mutter.
„Ich kann ihr nicht zürnen," entgegnete der alte
Mann, „aber daß sie so wenig nach dir verlangt,
das schmerzt mich tief."
„Es tut ihr sicher selber leid, daß sie sich so ge-
niere?? muß," erwiderte die Fra??, und damit tröste-
te?? sie sich. _
Am entgegengesetzten Ende der Stadt, nicht gar-
weit von Lieschens Kontor, wohnte Fra?? Ließmann,
Karl Gützows Schwester. Sie hatte sich sehr gut
verheiratet, war aber schon seit einigen Jahren
Witwe und Besitzeri?? eines feine?? Pensionats. Sie
wäre?? nie gute Freunde gewesen, die vermögende,
vornehme Pensionatsbesitzer??? und der arme Grün-
kramhändler in? Keller.
Umsomehr wunderte sich dieser, als eines Tages
die Schwester seiderauschend zi? ihn? herabgestiegen
kam.
„Ich komme Lieschens wegen," sagte sie. „Ich
habe nämlich das arme Ding getroffen Dei? gan-
ze?? Tag quält sie sich ab und hat dann noch den
ewig weiten Weg. Jetzt geht's ja noch, doch will
sie bald noch Englisch und Französisch lernen, die
Tanzstunde will sie auch besuchen, dann ist es ii?
der Nacht bis hier heraus- zn weck. Also kurz ge-
sagt: Gebt sie zu mir; ich mag das Lieschei? gern,
und sie bekommt es gut bei mir, das könnt ihr
glauben."
Das Herz der Elter?? krampfte sich zusammen.
Endlich sägte der Vater: „Unser Lieschen wird's
sicherlich nicht wolle??. Du meinst's ja gut mit ihr.
Schwester, und ich danke dir dafür? dock) kannst du
glauben, sie fühlt sich nirgend so wohl als zn Hause."
„Ja, ja." ließ sich, wieder Mut fassend, Frau
Gützow vernehme??, „was sagt unsere Tochter den??
dazu?"
„Was Lieschs?? dazu sagt?" entgegnete die
Schwägerin lächelnd. „Lieschen ist ein kluges Mäd-
chen; sie zieht gern? zi? mir. Das kluge Lieschen
sagt sich selbst, daß ich ihr viel mehr biete?? kann
als ihr. Sie denkt wohl auch, daß in meine Villa
im Park sicher eher ein reicher Freier kommt, als
in eure?? Grünkramkeller in? duftende?? Katharinen-
gäßchen. Das Kind ist nur noch etwas sentimental
und wagt nicht, es euch selbst zu sagen. Nun, was
ist eure Meinung?"
„Wir wolle?? erst unsere Tochter fragen," ent-
gegnete Karl Gützow.
„Tut das; verderbt ihr aber nicht ihr Glück.
Ich habe wahrhaftig nur Lieschens Wohl i?n^ Auge
und möchte nicht, daß ihre Schönheit in einem solchen
muffigen Keller vermodere. Überlegt's euch also.'"
wandlung. Die Schweigsamkeit der Tächter hielten
sie für Ruhebedürfnis. Sie fanden cs begreiflich,
das? Lieschen den Sonntag lieber im Kreise der Be-
kannten verbrachte, als bei ihnen. Herzlich wünsch-
ten sie ihr viel Vergnügen, und tröstend sagte eines
dann zu dem anderen: „Jugend will zur Jugend;
so haben wir's ja auch gehalten!" Doch begann
ein banger Schmerz das Herz der Eltern zu durch-
zittern, leise, leise nur und oft verstummend; aber
immer kehrte er wieder.
Eines Tages hatte Frau Gützow Einkäufe in
der Stadt besorgt. Vor den? Kontor erwartete sie
die Tochter. Von Herren und Damen begleitet, trat
diese heraus. Stolz schlug ihr das Mutterherz ent-
gegen, aber Lieschen bemerkte die Mutter nicht;
im eifrigen Gespräch mit den anderen wollte sie vor-
übergehen.
„Lieschen!" rief Fran Gülzow.
Die Tochter schreckte auf, verließ ihre Begleitung
und trat, ganz rot im Gesicht, heran. „Aber Mutter,
was für einen Hut hast du denn auf! Mit dem
darfst du dich nicht wieder auf der Straße sehen
lassen; dis Leute lachen dich ja aus! Bitte, gehe
nur ein Stückchen voraus; ich habe noch etwas Ge-
schäftliches zn besorgen und werde dich gleich wieder
einholen."
Still und gedrückt ging die Mutter. Erst vor
der Wohnung kam ihr die Tochter nach. Hmter
wurden sie vom Vater empfangen; aber die Mutter-
blieb still. Sie blieb es auch den ganzen Abend,
obwohl die Tochter so zärtlich und aufmerksam war
wie selten. —
Wieder waren Wochen vergangen. Da sagte
Lieschen eines Abends: „Vater, gib doch den Keller
auf und kaufe eiu Parterregeschäft! Hier ist's doch
viel zu feucht und ungesund für euch."
„Sorge dich nicht um uns, liebes Kind," ent-
gegnete der Vater. „Wir sind in diesem Keller alt
geworden in Freude und Leid, und ihm zu Ehren
muß ich sagen: die allermeisten Tage in dieser?
Mauern sind Tage der Freude für uns gewesen.
Der Keller hat uns so lange schlicht und recht er-
nährt, und ich werde ihn nicht eher verlasse??, als
bis mai? mich hinausträgt.— Nicht wahr, Marie?"
wandte er sich an die eintretende Gattin.
Libetanikcker buck;. (5. SLO)
„Ganz gewiß, Karl. Glaube mir's, Lieschen, ich
könnte mich an keinem anderen Orte wieder heimisch
fühlen."
Verstimmt wandte sich die Tochter ab und schweig-
sam verbrachte sie de?? Abend.
Immer kürzere Zeit weilte sie von nun ab zn
Hanse; sie hatte fast nur noch Schlafstelle bei den
Eltern.
Sehr, sehr schwer konnten sich Vater und Mutter
an das lange Fernbleiben ihres Lieblings gewöhnen.
„Sei ihr nicht böse, Karl!" bat die Mutter.
„Ich kann ihr nicht zürnen," entgegnete der alte
Mann, „aber daß sie so wenig nach dir verlangt,
das schmerzt mich tief."
„Es tut ihr sicher selber leid, daß sie sich so ge-
niere?? muß," erwiderte die Fra??, und damit tröste-
te?? sie sich. _
Am entgegengesetzten Ende der Stadt, nicht gar-
weit von Lieschens Kontor, wohnte Fra?? Ließmann,
Karl Gützows Schwester. Sie hatte sich sehr gut
verheiratet, war aber schon seit einigen Jahren
Witwe und Besitzeri?? eines feine?? Pensionats. Sie
wäre?? nie gute Freunde gewesen, die vermögende,
vornehme Pensionatsbesitzer??? und der arme Grün-
kramhändler in? Keller.
Umsomehr wunderte sich dieser, als eines Tages
die Schwester seiderauschend zi? ihn? herabgestiegen
kam.
„Ich komme Lieschens wegen," sagte sie. „Ich
habe nämlich das arme Ding getroffen Dei? gan-
ze?? Tag quält sie sich ab und hat dann noch den
ewig weiten Weg. Jetzt geht's ja noch, doch will
sie bald noch Englisch und Französisch lernen, die
Tanzstunde will sie auch besuchen, dann ist es ii?
der Nacht bis hier heraus- zn weck. Also kurz ge-
sagt: Gebt sie zu mir; ich mag das Lieschei? gern,
und sie bekommt es gut bei mir, das könnt ihr
glauben."
Das Herz der Elter?? krampfte sich zusammen.
Endlich sägte der Vater: „Unser Lieschen wird's
sicherlich nicht wolle??. Du meinst's ja gut mit ihr.
Schwester, und ich danke dir dafür? dock) kannst du
glauben, sie fühlt sich nirgend so wohl als zn Hause."
„Ja, ja." ließ sich, wieder Mut fassend, Frau
Gützow vernehme??, „was sagt unsere Tochter den??
dazu?"
„Was Lieschs?? dazu sagt?" entgegnete die
Schwägerin lächelnd. „Lieschen ist ein kluges Mäd-
chen; sie zieht gern? zi? mir. Das kluge Lieschen
sagt sich selbst, daß ich ihr viel mehr biete?? kann
als ihr. Sie denkt wohl auch, daß in meine Villa
im Park sicher eher ein reicher Freier kommt, als
in eure?? Grünkramkeller in? duftende?? Katharinen-
gäßchen. Das Kind ist nur noch etwas sentimental
und wagt nicht, es euch selbst zu sagen. Nun, was
ist eure Meinung?"
„Wir wolle?? erst unsere Tochter fragen," ent-
gegnete Karl Gützow.
„Tut das; verderbt ihr aber nicht ihr Glück.
Ich habe wahrhaftig nur Lieschens Wohl i?n^ Auge
und möchte nicht, daß ihre Schönheit in einem solchen
muffigen Keller vermodere. Überlegt's euch also.'"