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595

S-s? Oer Manager. r-L D

Crräklung von K. Mütenllein.

Vas X. Qeutscks turntest in Nürnberg.
(5i'eke 6ie 8il6er auf Zei'ta ü')'-).)
vsbcr 32.000 Turner sah das graste deutsche Turnfest
«-^dieses Jahres in Nürnberg vereinigt. Die althisto-
rische Schönheit der prächtig geschmückten Dürerstndt
gab dem großartigen Festzug, dessen Vorbeimarsch drei
Stunden dauerte, einen glänzenden Rahmen. Bis zum
Festplatz hinaus stand in den Straßen dicht gedrängt
die begeistert gestimmte lausendköpsige Zuschauermenge.
Herzliche Hochs ertönten besonders auch den Gästen, die
aus weiter Ferne herbeigekommen waren, den Deputa-
tionen aus der Schweiz, aus Italien, Rußland,
aus Holland, England, Serbien, Nordamerika, dem
deutschen Turnverein aus Deutsch-China (Tsingtau) und
dem aus Porto Alegre (Brasilien). Deutsch-Oster-
reich, das auch diesmal sehr zahlreich vertreten war,
bildet einen eigenen Bezirk in der Gliederung der „Deut-
schen Turnerschaft". Nürnbergs ruhmverklärte Vor-
zeit und die Geschichte der Turnkunst hatten die Mo-
tive für die symbolischen Darstellungen der Festwagen
mit ihrer historisch kostümierten Gefolgschaft geboten.
Der Wagen mit der sitzenden Kolossalstatue des Turn-
vaters Jahn, geleitet von der jugendlichen Helden-
gestalt Theodor Körners zu Pferd im Waffenschmuck der
Lützower, erinnerte symbolisch an den Zusammenhang
des deutschen Turnertums mit dem glorreichen nationalen
Aufschwung, der den Freiheitskriegen vorausging. Der
Festplatz auf dem Ludwigsfeld, dessen Haupteingang
wir abbilden, umfaßte auf seiner weiten Fläche neben
dem mächtigen Festzelt, den Fahnenhallen, den lang-
gestreckten Bierzelten der Tucherschen Brauerei, des Nürn-
berger Brauhauses und vielen anderen Erfrischungs-
hallen eine große halbrunde Tribüne für die Preisrichter
der Wettkämpfe, die Vertreter der Presse und die Bau-
ten für die Ausschüsse. Die Mitte des Platzes war für
die Vorführungen im Freien, die größeren Wettturnen
und Wettspiele freigelassen, während die Festhalle ein
riesiges Podium enthielt für die turnerischen Festvorfuh-
rungen; an beiden Stätten waren dis Leistungen im
höchsten Grade befriedigend, oft geradezu bewunderungs-
würdig, wie zum Beispiel beim Kugelstoßen. Der Nürn-
berger Archivar Ernst Mummenhoff hatte ein Festspiel ge-
dichtet, das während des Turnfestes wiederholt zur Auf-
führung gelangte. Die stimmungsvollen Bilder versetzten
die Zuschauer in die Zeit der Freiheitskriege und schilder-
ten die Beteiligung Ludwig Jahns und seiner Freunde
an der deutschen Volkserhebung wider Bonaparte. Etwa
150 Nürnberger Turner und Turnerinnen wirkten in der
Aufführung mit, die beifälligste Aufnahme fand.
vis Kartenkcklügerin.
(5ielie das Nild aui Seite bOI.)
ff>er Glaube, daß es einzelnen Menschen möglich ist,
L-» einen Blick in das Dunkel der Zukunft zu tun, das
Schicksal zu befragen und bestimmte Ereignisse vorher-
zusagen, findet sich seit undenklichen Zeiten bei allen
Völkern. So schrieben die alten Germanen allgemein
den Frauen die Gabe der Weissagung zu, und auch
heutzutage noch sind es ja immer Angehörige des
schwächeren Geschlechts, die als Wahrsagerinnen und
Kartenschlägcrinnen in den großen Städten ihr Wesen
treiben. Die Kartenschlägerinnen kamen, wie es scheint,
gleichzeitig mit den Spielkarten im Anfang des 15. Jahr-
hunderts aus dem Orient über Venedig nach Eu-
ropa. Jedenfalls finden wir in Venedig zuerst eine
ausführliche Abhandlung über die Kunst des Karten-
legens, die der Buchdrucker und Zeichner Francesco
Marcolini in seinen „Sorti" (Venedig 1540) lehrte, und
diese Kunst selbst ist von jeher eine Hauptermerbsquelle
der Zigeunerinnen gewesen. Aber auch Frauen anderer
Völker^ gewannen als Kartenschlägerinnen Gold und
Ehren, die berühmte Wahrsagerin Marie Anne Adelaide
Lenormand sogar die Gunst der Kaiserin Josephine und
des Pariser Hofes zur Zeit des ersten Kaiserreiches. Die
modernen Wahrsagerinnen beschränken sich meist darauf,
in allgemeinen Ausdrücken möglichst unbestimmte Ereig-
nisse aus den Karten zu weissagen. Anders die Zigeu-
nerin, die selbst auch an ihre Kunst glaubt und überzeugt
ist von dem, was ihr die jeweilige Lage der Glück oder
Unglück, Verlust oder Gewinn, Liebe oder Haß, Treue
oder Verrat bedeutenden Karten sagen. Wenn sie trotz
dieses Glaubens an die Zuverlässigkeit ihrer Karten schon
vor Ausübung ihres Berufes in den Dörfern über die
einzelnen Personen und deren wichtigste Beziehungen
etwas in Erfahrung zu bringen suchen, so geschieht das,
um möglichst bestimmte Angaben machen zu können. Wo
dies nicht geht, in den Häusern der Vornehmen, muß
eigene Beobachtung und Scharfsinn helfen. Die spani-
schen Zigeunerinnen tanzen daher gern vorher, um die
Gemütsveranlagung der Anwesenden während des Tanzes
zu erforschen, ihre Mienen und Bewegungen zu beobachten
und daraus ihre Schlüsse zu ziehen, bevor sie ihre Karten
in bestimmter Weise nach besonderen Vorschriften aus-
breiten und den Schleier, der fürsorglich über die Zu-
kunft gebreitet ist, etwas lüften. So hat auch die junge
Zigeunerin auf unserem Bilde erst lange getanzt, um
die Züge der Anwesenden zu studieren — das neben
ihr am Boden liegende Tamburin verrät es. Und nun
kündet sie dem Hausherrn feierlich, was ihm die Zu-
kunft bringen wird. Die Mienen der Kavaliere wie der
Frauen lassen vermuten, daß die Zigeunerin ihre Kunst
wohl versteht, denn die Gesellschaft, die eigentlich nur
einen lustigen Zeitvertreib wünschte, lauscht nun sehr-
aufmerksam und ist offenbar von dem Geheimnisvollen
der Prophezeiungen, den bedeutungsvollen Worten der
Kartenschlägerin nicht wenig beeinflußt.

1.
ZDeklamc braucht heutzutage jeder iu der Öffent-
lichkeit steheude Mensch, selbst die Monarchen
auf dem Throne. Was Wunder, wenn auch
der Schauspieler in ausgiebigstem Maße davon Ge-
brauch macht! Besonders in Amerika besteht für alle
Bühnengrößcn ein Zwang zur Reklame, der ins Un-
geheuerliche geht, und der Schauspieler, der dort die
öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenken will, be-
darf eines Apparats, von dem man sich in Europa
keine Vorstellung macht.
James Edding war der verwöhnte Sohn eines
sehr vermögenden Vaters, und aus „Liebe zur Kunst",
oder sagen wir es deutlicher, ans Eitelkeit Schau-
spieler geworden. Erst hatte er bei verschiedenen
Liebhaberbühnen gespielt, und seine Bekannten und
Verwandten, sowie die Leute, die Respekt vor seinem
Gelds hatten, klatschten natürlich Beifall und lobten
sein Talent über alle Maßen. Zuletzt glaubte er
selbst daran und wollte nun ein weltberühmter Künst-
ler werden.
Er hatte es sich viel Zeit, Mühe und Geld kosten
lassen, um die äußerliche Technik der Schauspielerei,
besonders der tragischen Kunst, zu erlernen, aber
zum wahren Künstler fehlte ihm eben leider die Be-
gabung. Hätte er nicht sein großes Vermögen ge-
habt, so hätte er als Verufsschauspieler zeitlebens
sehr untergeordnete Rollen gespielt, aber Geld ist
eben ein Schlüssel, der viele Türen öffnet, und
Theaterdirektorcn iu kleinen Städten brauchen immer
Geld. Wenn dann ein Mann zu ihnen kommt, der
ihnen noch etwas dafür bezahlt, um auf ihrer Bühne
große Rollen spielen zu dürfen, oder sich auch gleich
finanziell an ihrem Unternehmen beteiligt, dann stehen
keine Hindernisse in seinem Wege.
Sehr schlimm für James Edding war es aber,
daß er niemand hatte, der ihn darauf aufmerksam
machte, daß es mit feiner Kunst nicht weit her sei.
Seine Frau Margaret war in ihren Mann verliebt
und dabei ebenso eitel, daher blind für sein Nicht-
können. Sie wünschte heftig, daß er eine Welt-
berühmtheit werden solle, und deshalb glaubte sie
an sein Genie.
James Edding spielte bei kleineren Theatern des
Nordwestens, und durch die Macht seiner Geldmittel
sorgte er für die nötige Lobhudelei in den Zeitungen.
Solche Reklamen, gewissermaßen Zeugnisse mit
Druckerschwärze auf schlechtem Zeitungspapier her-
gestellt, welche behaupten, daß der Herr Soundso ein
genialer Künstler sei, gehören zum Rüstzeug des Schau-
spielers, dessen er nicht entbehren kann. Aber James
Edding und seine ehrgeizige Fran Margaret woll-
ten natürlich weiter kommen. Sie wollten nicht nur,
daß der Ruhm von James Edding sich unter Farmern
und Schweinezüchtern verbreite, sie wollten nach den
Städten des Ostens. Auf Grund seiner Reklamen
und guter Bezahlung erhielt Edding denn auch end-
lich ein Engagement an ein Theater in Philadelphia.
Er trat hier auf, und zwar in einem Shakespeare-
schen Stück. Die Kritik behandelte ihn nicht beson-
ders günstig. Mit Bestechung war bei den großen
Zeitungen nichts zu machen, die leitenden Blätter
konnten sich auch dem Publikum gegenüber nicht
mit einer unwahren, lobhudelnden Kritik blamieren.
Die kleinen Zeitungen aber hatten keinen Einfluß.
Frau Margaret wurde fast schwermütig und James
Edding war wütend wie ein Leu, weil man ihn,
das große Genie, nicht zu würdigen wußte.
In dieser Stimmung erhielt er eines Morgens
die Visitenkarte eines Besuchers, der ihn in wichtiger
Angelegenheit zu sprechen wünschte. Die Karte ent-
hielt nur den Namen Dean und den Titel Manager.
Das Wort „nwnaZsr" bezeichnet alles mögliche.
Es bedeutet Führer, Leiter, Aufseher, Verwalter,
Vorsteher, Bewirtschafter, Unternehmer, Geschäfts-
führer, Disponent, Direktor und wer weiß noch
was. Ein Manager ist ein Mann, der in irgend
einer Hinsicht „die Sache macht". Ein Schauspieler,
der in Amerika zu Ruhm und Geld kommen will,
braucht also auf alle Fälle einen Manager.
Deshalb erschien auch unserem Mr. Edding dieser
Dean wie ein Bote des Himmels. Er wurde in den
Salon geführt, und bald erschien dort auch in einem
Phantasiekostüm, mit genial unordentlichen Haaren,
der große Künstler Edding.
Bei seinem Anblick erhob sich Dean, streckte
pathetisch die Hände zur Stnbendecke empor und
sagte mit vor Rührung zitternder Stimme: „So ist
mir denn das Heil widerfahren, von Angesicht zu
Angesicht in seinem eigenen Heim den großen Künst-
ler zu sehen, dessen Ruhm einst über die ganze zivi-

(llackdruck verboten.)
lisicrte Erde fliegen wird. Heil meinen Augen, Heil
dem Tag und Heil der Stunde! Gewaltiger, großer
Künstler, ich grüße Sie in Ehrfurcht!"
Solche Anerkennung tut wohl, und Edding war
geneigt, sich rückhaltlos der Frende über die be-
geisterte Verehrung, die ihm da entgegengebracht
wurde, hinzugeben. Er murmelte etwas von Be-
scheidenheit, die dem Künstler zieme, und schüttelte
die Hand des Herrn Dean kräftig.
„Eine glückliche Stunde," fuhr Dean fort, „in der
cs mir vergönnt ist, die Hand des gewaltigen Künst-
lers zu schütteln! Meine Verehrung ist kein Stroh-
feuer, großer Mann. Ich komme, nm Ihnen meine
Hilfe anznbieten. Ich bin Manager, kknternehmer
für allerlei Reklame, und habe mit Erstaunen, mit
Schmerz, ja, mit tiefem Schmerz gelesen, daß die
Kritik Sic nicht mit dem Enthusiasmus begrüßt hat,
den Ihr geniales Spiel verdient, Mr. Edding."
Edding machte ein finsteres Gesicht und hüstelte.
„Ich glaube nicht zu viel zu behaupten," fuhr
Dean fort, „wenn ich sage, es wird ein Schandfleck
für Philadelphia bleiben, daß die Aufnahme, die
Sie hier gefunden haben, nicht würdiger, nicht be-
geisterter gewesen ist. Ich sehe in die Zukunft mit
den Augen des Propheten" — Dean starrte in die
Stubenecke — „und lese in den Annalen der Kunst,
daß auch dem großen, dem gewaltigen James Edding
die Dornen auf seinem Pfade zur Unsterblichkeit
nicht erspart blieben, und daß Philadelphia, die
sonst so berühmte Stadt in den Vereinigten Staaten
von Nordamerika, für Jahrtausende mit der Schmach
belastet ist, das Genie des gewaltigen Künstlers
nicht sofort erkannt zu haben."
Eddiug hüstelte wieder und murmelte etwas von
großer Freundlichkeit.
Dean fuhr fort: „Aber es gibt noch Bürger in
dieser guten Stadt Philadelphia, die wohl wissen,
was sie ihrem Gast schulden, und deshalb komme
ich, um Ihnen zu sagen, daß Sie Hilfe finden
sollen. Ich bringe Ihnen ein Mittel, ich mache
Ihnen einen Vorschlag, durch welchen Sie mit
einein Male allen Bewohnern der Stadt in Ihrer
ganzen Größe bekannt werden sollen. Nicht nur
in Philadelphia aber wird Ihr Ruf erklingen, son-
dern durch ganz Amerika, wahrscheinlich auch durch
Europa. Dabei ist die Sache billig, Mr. Edding,
spottbillig, denn wie gesagt, ich handle in erster Linie
aus Begeisterung zur Kunst. Aber natürlich muß
ich meiue Auslagen erstattet haben. Genießen Sie
erst eine Popularität wie unser großer Staatsmann
Washington, dann wird die Kritik nicht zögern, sich
vor Ihnen niederzuwerfcn und Sie anzuerkennen,
und der Kritik wird das Publikuni freudig folgen.
Die Kritik wird beschämt endlich zur Einsicht ge-
langen, und das Publikum wird freudig die ge-
waltigen Leistungen des großen, des unsterblichen
James Edding bewundern."
Edding schien sehr gerührt durch die plumpen
Schmeicheleien, aber er hatte zuviel ererbten Ge-
schäftssinn — sein Vater hatte sein Vermögen mit
dem denkbar trockensten Geschästsartikel, nämlich mit
Leder erworben —, um nicht zu wissen, worauf die
Sache hinauslief.
„Was würden Ihre Bemühungen kostcn?"fragte er.
„Wollen Sie die Summe von fünftausend Dollars
anlegen?" war die Gegenfrage. „Die Hälfte sofort,
die Hälfte „ach Ausführung des Auftrags."
„Man könnte über die Sache reden, aber erst
muß ich wissen, um was es sich handelt."
„Gut, Mr. Edding, Sie sollen alles erfahren,
aber Sie könnten vielleicht, was ich allerdings un-
begreiflich finden würde, meinen Vorschlag zurück-
weisen. Deshalb geben Sie mir Ihre Hand dar-
auf, die Hand eines Ehrenmannes, zu schweigen
über das, was ich Ihnen auvertrane, ob Sie meinen
Vorschlag nun annchmen oder nicht."
Edding reichte Dean die Hand. Dieser schüttelte
sie kräftig und fah sie dann mit einer Art Begeiste-
rung an. „Welch edelgeformte Hände!" rief er,
„die Hand des Genies! Dann drückte er Eddings
Hand an seine Brust, ließ sie mit einer pathetischen
Gebärde wieder fallen und fuhr fort: „In unserem
gesegneten Lande ist die Kunst geachtet, aber das
Kriminalistische, das Verbrechen, steht doch eigentlich
in noch höherem Ansehen, und ich bin tief beschämt,
es sagen zu müssen, daß wenn an unserem Theater
eine Aufführung angekündigt würde mit den be-
rühmtesten Schauspielern aller Welt, und gleich-
zeitig eine öffentliche Hinrichtung stattfände — ich
bin tief beschämt, sage ich, behaupten zu müssen,
daß dann selbst die erleuchtete Bevölkerung der
 
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