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von Geld die Rede war. Entschuldigen Sie einen
Moment!"
Der Postdirektor ging in das nebenan gelegene
Telegraphenzimmer und kehrte bald darauf mit einem
Blatt Papier in der Hand zurück. „Es stimmt,"
sagte er. „Ich bringe Ihnen gleich das Depeschen-
formular mit, auf dem der Absender seine Depesche
niedergeschrieben hat. Sie werden wissen, daß alle De
peschen in der Urschrift ein Jahr aufgehoben werden."
„Jawohl," bestätigte der Kommissär. Dann über-
flog er die ihm dargereichte, unbestellbare Depesche.
Sie lautete: „Ganter, Wien, Marienstraße 21. Geld
gehtmorgen ab. Michael."
„Michael," murmelte
der Kommissär sinnend
vor sich hin und faßte
den Namen scharf ins
Auge. „Wann ist denn
die Depesche aufgegeben?"
fuhr er nach einer Pause
fort und sah nach dem
Postvermerk des Tele-
graphenamts. „Am 1.12.,
2 Uhr 45 Minuten Nach-
mittags. — Hm! Die Zeit
stimmt auffällig." Er
musterte dann noch die
Schriftzüge und sagte:
„Die Handschrift ist ge-
wandt und kaufmännisch.
Warum war denn,"
kehrte er sich dem Post-
direktor zu, „die Depesche
in Wien mnbestellbar?"
„Das Wiener Tele-
graphenamt," antwortete
der Gefragte, „hat uns
gemeldet, daß es zwar in
Wien neun Ganter gäbe,
aber keiner wohne in
Marienstraße 21."
„Der Name Ganter,"
versetzte der Kommissär,
„kam doch wohl unter
den Adressaten vor, an
die am 1. bis 8. Dezem-
ber größere Geldbriefe ab-
gesandt worden sind."
Er schlug fein Notizbuch
auf. „Jawohl. Am 2.
sind an A. Ganter, Wien,
30,000 Gulden abge-
gangen. Es ist schade,
Herr Direktor, daß in
Ihrem Eintragebuch nicht
außer dem Bestimmungs-
ort auch die Straße des
Adressaten notiert wird."
„Nein, das ist nicht
üblich."
„Nun, ein Unterschei-
dungsmerkmal von den
übrigen Ganter in Wien
hätten wir immerhin. Der
Adressat des Geldbrieses
heißt A. Ganter, also
Adolf, Albert oder der-
gleichen mit Vornamen.
— Lassen sich vielleicht
die Beamten noch fest-
stellen, die am 1. Dezem-
ber die Depesche und am
2. den Geldbrief ange-
nommen haben?"
„Sehr leicht. Der An-
fangsbuchstabe vom Na-
men des Beamten, der
die Depesche ausgenom-
men hat, ist hier oben
auf dem Formular ver-
merkt. Den Schalterbe-
amten für Geldsendungen kann ich aus dem Dienst-
journal ausfindig machen. Ich werde Ihnen die
beiden Herren sogleich herbeiholen."
Der Postdirektor begab sich in die Nebenräume
und kehrte nach wenigen Minuten in Begleitung
der beiden Beamten zurück. Der Telegraphenbeamte
wußte über die Person des Depeschenaufgebersnichts
anzugeben. Dagegen erklärte der andere Beamte,
daß er sich sehr wohl noch des Herrn, der den Geld-
brief über 30,000 Gulden aufgegeben habe, erinnere.
„Wie kommt das?" fragte der Kommissär.
„Als der Herr am 2. Dezember zwischen acht
und neun Uhr Morgens den Geldbries ausgeben
wollte, war ich gerade nut der Erledigung einer
inneren Dienstarbeit beschäftigt. Der >)err schien
nun große Eile zu haben, denn er klopfte sehr hef-
tig an das Schalterfenfter und verlangte in barschem
30,000 Gulden empfangen habe. Den Befund solle
man sofort telegraphisch nach Hermannstadt melden.
Sodann bat er den Postdirektor, die unbestellbare
Originaldepesche behalten zu dürfen, steckte sie in
die Vrusttasche und verabschiedete sich. „Wir müssen
nun zunächst nachsehen," fagte er beim Weggehen,
„wer der Michael ist, der die unbestellbare Depesche
aufgegeben hat. Hab' die Ehre, Herr Direktor!"
Im Polizeigebäude ließ der Kommissär auf dem
Anmeldeamt nachfchlagen, ob es in Hermannstadt
einen Michael gäbe. Eine Person mit diesem Na-
men war aber dort nicht angemeldet.
„Demnach ist der
Name entweder erdichtet,
oder es kann auch ein
Vorname sein," murmelte
der Kommissär vor sich
hin. „Beides ist möglich."
Er ging in das Bureau
des Polizeioffizial Weg-
huber, um sich bei diesem
zu erkundigen, ob irgend
eine der bisher vernom-
menen Personen den Vor-
namen Michael führe.
Der Polizeioffizial war
in einer dienstlichen An-
gelegenheit abwesend,
wurde aber jeden Augen-
blickzurückerwartet Man
versprach dem Kommissär,
den Beamten sogleich nach
seiner Zurückkunft zu ihm
hinüberzuschicken.
Als der Kommissär
sein Bureau ausgesucht
hatte, durchflog er schnell
die Akten. Die nach den
Protokollen verhörten Per-
sonen, Simonis, Mayer,
die Angestellten der Firma
Simonis L Komp., die
Beamten der Bankfiliale,
der Portier und der Kell-
ner waren nur mit ihren
Familiennamen ange-
geben. Die Vornamen
waren nicht genannt.
Der Kommissär ging
daher, bis der Offizial zu-
rückgekehrt seiu würde,
nochmals mit sich zu Rate.
Nach seiner gewohnten
Weise neigte er dabei
den Kopf etwas vor. „Der
Absender der unbestell-
baren Depesche und des
Geldbriefes, die doch
wohl miteinander zusam-
menhängen müssen, da
sie beide an Ganter, Wien,
adressiert sind,der noch un-
bekannte Michael," über-
legte er, „braucht nicht
gerade mit der Vergiftung
des Kassierers in Ver-
bindung zu stehen. Aber
es muß doch eine ganz
besondere und dringende
Geldangelegenheit in Be-
tracht kommen, denn sonst
wäre nicht vor Absen-
dung des Geldes die De-
pesche anfgcgeben worden.
Dieser Umstand ist doch
immerhin bemerkens- und
beachtenswert. Auch die
Zeit, Nachmittags 2 Uhr
45 Minuten, in der die
Depesche abgesandt wurde,
paßt auffällig mit derje-
nigen, in welcher das Verbrechen begangen worden
ist. Ungefähr halb zwei Uhr war nach den Akten der
Kassierer auf der Bankfiliale, um zwei Uhr hat ihn
der Portier in Begleitung des Fremden in das Hotel
Spika kommen sehen, also ist er wahrscheinlich nicht
lange nach zwei Uhr vergiftet worden. Dann konnte
das unbestellbare Telegramm, da sich nun der Ver-
brecher im Besitze des Geldes wußte, sehr gut um
2 Uhr 45 Minuten aufgegeben werden."
Der Kommissär war gerade bis zu diesem Punkt
seiner Erwägungen gelangt, als der Polizeioffizial
eintrat. Der Kommissär fragte ihn, ob er vielleicht
wisse, ob eine der bei der Untersuchung in Betracht
kommenden Personen den Vornamen Michael führe.
Die Akten gäben darüber keinen Ausweis.
„Ihre Frage kann ich sehr rasch beantworten," er-
widerte der Polizeioffizial. „Eine der beteiligten Per-
Ton, abgefertigt zn werden. Nach dem Dienftregle-
ment bin ich berechtigt, zunächst die laufenden Ar-
beiten zn beenden und dann erst das Publikum nach
seinen Wünschen zu fragen. Ich bedeutete dieses
dem Herrn, der aber dagegen Widerspruch erhob.
Infolge dieses Wortwechsels ist mir die Person des
Geldabsenders in Erinnerung geblieben."
„Wie sah er aus?" fragte der Kommissär.
Der Beamte beschrieb ihn als einen elegant
gekleideten Herrn von ungefähr fünfundzwanzig
Jahren.
„Haben Sie eine Stirnwunde oder vielmehr
pciptt Pius X. (5.622)
-
einen langen, schwarzen Heftpflasterstreifen auf der
Stirn bemerkt?"
„Das war wegen des Hutes, den der Herr trug,
nicht möglich."
„Hatte er einen sehr starken schwarzen Kinnbart
oder nicht?"
„Nein, nur einen schwarzen Schnurrbart."
„Täuschen Sie sich auch nicht?"
Der Beamte beteuerte, ganz genau zu wissen, daß
der Herr keinen schwarzen Kinnbart gehabt habe.
Damit war die Vernehmung der beiden Beamten
beendet, die wieder in ihre Diensträume znrückkehrten.
Der Kommissär ließ jetzt eine Depesche an die
Wiener Polizeibehörde abgehen, in der er den Auf-
trag gab, die Person des A. Ganter festznstellen
und ihn zu befragen, von wem er einen am 2. De-
zember aus Hermannstadt abgesandten Geldbrief mit
von Geld die Rede war. Entschuldigen Sie einen
Moment!"
Der Postdirektor ging in das nebenan gelegene
Telegraphenzimmer und kehrte bald darauf mit einem
Blatt Papier in der Hand zurück. „Es stimmt,"
sagte er. „Ich bringe Ihnen gleich das Depeschen-
formular mit, auf dem der Absender seine Depesche
niedergeschrieben hat. Sie werden wissen, daß alle De
peschen in der Urschrift ein Jahr aufgehoben werden."
„Jawohl," bestätigte der Kommissär. Dann über-
flog er die ihm dargereichte, unbestellbare Depesche.
Sie lautete: „Ganter, Wien, Marienstraße 21. Geld
gehtmorgen ab. Michael."
„Michael," murmelte
der Kommissär sinnend
vor sich hin und faßte
den Namen scharf ins
Auge. „Wann ist denn
die Depesche aufgegeben?"
fuhr er nach einer Pause
fort und sah nach dem
Postvermerk des Tele-
graphenamts. „Am 1.12.,
2 Uhr 45 Minuten Nach-
mittags. — Hm! Die Zeit
stimmt auffällig." Er
musterte dann noch die
Schriftzüge und sagte:
„Die Handschrift ist ge-
wandt und kaufmännisch.
Warum war denn,"
kehrte er sich dem Post-
direktor zu, „die Depesche
in Wien mnbestellbar?"
„Das Wiener Tele-
graphenamt," antwortete
der Gefragte, „hat uns
gemeldet, daß es zwar in
Wien neun Ganter gäbe,
aber keiner wohne in
Marienstraße 21."
„Der Name Ganter,"
versetzte der Kommissär,
„kam doch wohl unter
den Adressaten vor, an
die am 1. bis 8. Dezem-
ber größere Geldbriefe ab-
gesandt worden sind."
Er schlug fein Notizbuch
auf. „Jawohl. Am 2.
sind an A. Ganter, Wien,
30,000 Gulden abge-
gangen. Es ist schade,
Herr Direktor, daß in
Ihrem Eintragebuch nicht
außer dem Bestimmungs-
ort auch die Straße des
Adressaten notiert wird."
„Nein, das ist nicht
üblich."
„Nun, ein Unterschei-
dungsmerkmal von den
übrigen Ganter in Wien
hätten wir immerhin. Der
Adressat des Geldbrieses
heißt A. Ganter, also
Adolf, Albert oder der-
gleichen mit Vornamen.
— Lassen sich vielleicht
die Beamten noch fest-
stellen, die am 1. Dezem-
ber die Depesche und am
2. den Geldbrief ange-
nommen haben?"
„Sehr leicht. Der An-
fangsbuchstabe vom Na-
men des Beamten, der
die Depesche ausgenom-
men hat, ist hier oben
auf dem Formular ver-
merkt. Den Schalterbe-
amten für Geldsendungen kann ich aus dem Dienst-
journal ausfindig machen. Ich werde Ihnen die
beiden Herren sogleich herbeiholen."
Der Postdirektor begab sich in die Nebenräume
und kehrte nach wenigen Minuten in Begleitung
der beiden Beamten zurück. Der Telegraphenbeamte
wußte über die Person des Depeschenaufgebersnichts
anzugeben. Dagegen erklärte der andere Beamte,
daß er sich sehr wohl noch des Herrn, der den Geld-
brief über 30,000 Gulden aufgegeben habe, erinnere.
„Wie kommt das?" fragte der Kommissär.
„Als der Herr am 2. Dezember zwischen acht
und neun Uhr Morgens den Geldbries ausgeben
wollte, war ich gerade nut der Erledigung einer
inneren Dienstarbeit beschäftigt. Der >)err schien
nun große Eile zu haben, denn er klopfte sehr hef-
tig an das Schalterfenfter und verlangte in barschem
30,000 Gulden empfangen habe. Den Befund solle
man sofort telegraphisch nach Hermannstadt melden.
Sodann bat er den Postdirektor, die unbestellbare
Originaldepesche behalten zu dürfen, steckte sie in
die Vrusttasche und verabschiedete sich. „Wir müssen
nun zunächst nachsehen," fagte er beim Weggehen,
„wer der Michael ist, der die unbestellbare Depesche
aufgegeben hat. Hab' die Ehre, Herr Direktor!"
Im Polizeigebäude ließ der Kommissär auf dem
Anmeldeamt nachfchlagen, ob es in Hermannstadt
einen Michael gäbe. Eine Person mit diesem Na-
men war aber dort nicht angemeldet.
„Demnach ist der
Name entweder erdichtet,
oder es kann auch ein
Vorname sein," murmelte
der Kommissär vor sich
hin. „Beides ist möglich."
Er ging in das Bureau
des Polizeioffizial Weg-
huber, um sich bei diesem
zu erkundigen, ob irgend
eine der bisher vernom-
menen Personen den Vor-
namen Michael führe.
Der Polizeioffizial war
in einer dienstlichen An-
gelegenheit abwesend,
wurde aber jeden Augen-
blickzurückerwartet Man
versprach dem Kommissär,
den Beamten sogleich nach
seiner Zurückkunft zu ihm
hinüberzuschicken.
Als der Kommissär
sein Bureau ausgesucht
hatte, durchflog er schnell
die Akten. Die nach den
Protokollen verhörten Per-
sonen, Simonis, Mayer,
die Angestellten der Firma
Simonis L Komp., die
Beamten der Bankfiliale,
der Portier und der Kell-
ner waren nur mit ihren
Familiennamen ange-
geben. Die Vornamen
waren nicht genannt.
Der Kommissär ging
daher, bis der Offizial zu-
rückgekehrt seiu würde,
nochmals mit sich zu Rate.
Nach seiner gewohnten
Weise neigte er dabei
den Kopf etwas vor. „Der
Absender der unbestell-
baren Depesche und des
Geldbriefes, die doch
wohl miteinander zusam-
menhängen müssen, da
sie beide an Ganter, Wien,
adressiert sind,der noch un-
bekannte Michael," über-
legte er, „braucht nicht
gerade mit der Vergiftung
des Kassierers in Ver-
bindung zu stehen. Aber
es muß doch eine ganz
besondere und dringende
Geldangelegenheit in Be-
tracht kommen, denn sonst
wäre nicht vor Absen-
dung des Geldes die De-
pesche anfgcgeben worden.
Dieser Umstand ist doch
immerhin bemerkens- und
beachtenswert. Auch die
Zeit, Nachmittags 2 Uhr
45 Minuten, in der die
Depesche abgesandt wurde,
paßt auffällig mit derje-
nigen, in welcher das Verbrechen begangen worden
ist. Ungefähr halb zwei Uhr war nach den Akten der
Kassierer auf der Bankfiliale, um zwei Uhr hat ihn
der Portier in Begleitung des Fremden in das Hotel
Spika kommen sehen, also ist er wahrscheinlich nicht
lange nach zwei Uhr vergiftet worden. Dann konnte
das unbestellbare Telegramm, da sich nun der Ver-
brecher im Besitze des Geldes wußte, sehr gut um
2 Uhr 45 Minuten aufgegeben werden."
Der Kommissär war gerade bis zu diesem Punkt
seiner Erwägungen gelangt, als der Polizeioffizial
eintrat. Der Kommissär fragte ihn, ob er vielleicht
wisse, ob eine der bei der Untersuchung in Betracht
kommenden Personen den Vornamen Michael führe.
Die Akten gäben darüber keinen Ausweis.
„Ihre Frage kann ich sehr rasch beantworten," er-
widerte der Polizeioffizial. „Eine der beteiligten Per-
Ton, abgefertigt zn werden. Nach dem Dienftregle-
ment bin ich berechtigt, zunächst die laufenden Ar-
beiten zn beenden und dann erst das Publikum nach
seinen Wünschen zu fragen. Ich bedeutete dieses
dem Herrn, der aber dagegen Widerspruch erhob.
Infolge dieses Wortwechsels ist mir die Person des
Geldabsenders in Erinnerung geblieben."
„Wie sah er aus?" fragte der Kommissär.
Der Beamte beschrieb ihn als einen elegant
gekleideten Herrn von ungefähr fünfundzwanzig
Jahren.
„Haben Sie eine Stirnwunde oder vielmehr
pciptt Pius X. (5.622)
-
einen langen, schwarzen Heftpflasterstreifen auf der
Stirn bemerkt?"
„Das war wegen des Hutes, den der Herr trug,
nicht möglich."
„Hatte er einen sehr starken schwarzen Kinnbart
oder nicht?"
„Nein, nur einen schwarzen Schnurrbart."
„Täuschen Sie sich auch nicht?"
Der Beamte beteuerte, ganz genau zu wissen, daß
der Herr keinen schwarzen Kinnbart gehabt habe.
Damit war die Vernehmung der beiden Beamten
beendet, die wieder in ihre Diensträume znrückkehrten.
Der Kommissär ließ jetzt eine Depesche an die
Wiener Polizeibehörde abgehen, in der er den Auf-
trag gab, die Person des A. Ganter festznstellen
und ihn zu befragen, von wem er einen am 2. De-
zember aus Hermannstadt abgesandten Geldbrief mit