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stationen. Der Wiener hat „a patzwaachs Gemüat",
und so zählt er bei „aner Hetz und Gaudi", wie einem
Ausflug in den Wiener Wald, die Kronen nicht, sondern
denkt: „Vcrkauft's mei G'wand, i sahr in Himmel."
Kap 5union an der ^üdspitze non Lttika.
(^lsdcüa; SUd auf 5sits do.)
7^ie Südspitze der griechischen Landschaft Attika, vom
Piräus, dem Hafen der Hauptstadt Athen, in etwa
dreistündiger Dampferfahrt zu erreichen, wird von einem
Vorgebirge gebildet, dessen 60 Meter hohe weiße Kalk-
wände sich steil hinabfcnken zu den blauen Fluten des
Mittelländischen Meeres. Es ist das Kap Sunion, von
den Schiffern heute meist Kap Kolonnais, das Säulenkap,
genannt, nach den auf seinem Scheitel sich erhebenden
elf Säulen, den Überresten jenes berühmten Tempels,
den im 5. Jahrhundert vor Christi Geburt das damals
auf dem Gipfel seiner Macht stehende stolze Athen als
Zeichen seiner Vorherrschaft zur See zu Ehren des Meer-
gottes Poseidon errichten ließ. Der Anblick dieser Tempel-
reste auf ihrem erhabenen Standpunkt ist, wie unser
schönes Bild auf Seite 60 erkennen läßt, überaus malerisch
und eindrucksvoll; aber nicht minder genußreich und
höchst eigenartig ist die Aussicht, die man oben auf der
Hohe des Kaps nach allen Himmelsrichtungen hat. Nach
Westen und Südwesten schweift der entzückte Blick über
den inselerfüllten, buchtenreichen Saronischen Meer-
busen bis zu der vielgestaltigen Bergwelt der Halbinsel
Morea, der alten Peloponnesos; im Norden erhebt sich
das Lauriongebirge, im Altertum berühmt durch seinen
Silberbergbau, den erst die neuzeitliche Technik nach jahr-
hundertelangem Stillliegen wieder zu neuem Leben er-
weckt hat; im Nordosten grüßt die große Insel Euböa
herüber, reich an historischen Erinnerungen wie an land-
schaftlichen Schönheiten und Bodenschätzen; gen Osten,
Südosten und Süden aber entsteigt den blauen Fluten
des Meeres in harmonisch schönen Linien die Inselgruppe
der Zykladen, deren einzelne Glieder sich wie Kulissen
hintereinander vorschieben. In der Nähe erkennt man
noch besser als vom vorüberfahrenden Schiff aus, welch
imposante Dimensionen der Poseidontempel besessen haben
muß, sowie die Art der ganzen Anlage. Dem Deutschen
Archäologischen Institut in Athen, in dessen Auftrag der
bekannte Archäologe Professor Dörpseld 1884 auf Kap
Sunion umfangreiche Ausgrabungen vornahm, ist es
in erster Linie zu danken, daß eine genauere Kenntnis
des Tempels ermöglicht wurde. Auf den Fundamenten
eines älteren, wahrscheinlich in den Perserkriegen zerstörten
Tempels errichtet, zeigt er die dorische Säulenordnung.
An den Längsseiten besaß er dreizehn, an den Schmal-
seiten sechs Säulen. Rings um die stehengebliebenen Säu-
len, die zum Teil noch Architravblöcke tragen, und deren
Material, laurischer Marmor, wenn auch stark verwittert,
seine blendendweißs Farbe bewahrt hat, liegen zahl-
reiche Trümmer umher, darunter Friesplatten mit Dar-
stellungen von Zentaurenkämpfen, von Taten des Theseus
und anderem mehr, die jedoch zerstörenden Einflüssen
nicht sonderlich widerstanden haben. Die Umsassungs-
und Stützmauern des Tempelbezirkes sind teilweise noch
erhalten, desgleichen Reste einer die Hochfläche des Kaps
umgebenden turmbewehrten Befestigungsmauer.
Vie Leute.
l5iet>e da; vild aut 5elte SI.)
^7eit Wochen schon hat der ungewöhnlich kräftig gebaute
Löwe die Schamba der Webi, eines Stammes der
Somal, die das Osthorn Afrikas bis zum Dschubb und
Tana bewohnen, beunruhigt. Er muß aus der Steppe
durch die Galeriewälder von Feigenbäumen und Dattel-
palmen, die den Lauf des Webi Schebeli umsäumen, bis
in die Nähe der Küste, wo in einem Hain von Affenbrot-
bäumen die Schamba liegt, herabgewandert sein. Zu-
erst schlug er ein Rind auf der Weide, dann fiel er über
einen Esel her, und nun hat er gar ein Weib, das auf
einem Durrafeld arbeitete, angegriffen und es trotz ihres
Wehgeschreies davongeschleppt. So geht es nicht weiter,
darüber sind sich die Männer der Schamba klar. Setzt
man sich nicht gegen ihn zur Wehr, dann muß man sich
gewärtigen, daß er eines Nachts trotz des schützenden
Dorngürtels in die Siedlung selbst einbricht. Verschie-
dentlich hat schon der eine oder andere dec Jäger ver-
sucht, ihm nachzuspüren, aber nach kurzem verlor sich
seine Fährte in dem undurchdringlichen Tamariskendickicht.
Der Dorfälteste beraumt ein Palaver an, und nach leb-
hafter Verhandlung beschließt die Versammlung, in der
nächsten Nacht eine Ziege als Lockköder auszusetzen.
Das Tier wird mit Einbruch des Abends an einem Pfahl
angebunden, während sich die mit Speeren bewaffneten
Jäger in einem Gebüsch von Schirmakazien auf die Lauer
legen. Erst gegen Morgen wird die Ziege unruhig, sie
will sich losreißen und stößt zitternd ihre meckernden
Angstrufe aus. Der Löwe schleicht heran. Endlich tritt
er hoch aufgerichtet aus dem rauschenden Maisfeld.
Er wittert, peitscht mit dem Schweif die Flanken, schreitet
zögernd vorwärts, knurrt argwöhnisch und duckt sich jetzt
zum Sprung nieder. In diesem Augenblick saust ein
Hagel von Speeren auf ihn herab. Schreiend und die
Reservespeere schwingend, stürmen die Männer aus ihn
zu. Fletschend sucht er die Speere abzuschütteln, die ihn
getroffen haben, dann aber wendet er sich zur Flucht
Johlend und immer von neuem Speere schleudernd, ver-
folgen ihn die aufgeregten Jäger. Eine breite Blutspur
bezeichnet seinen Weg. Schon hat er fast ein Mimosen
dickicht erreicht, da schwankt er und fällt zuckend auf die
Seite. Ein Speerstoß in das Herz gibt ihm den Rest.
Man bindet ihm die Pranken zusammen, schiebt einen
jungen Stamm hindurch und trägt ihn triumphierend
als stolze Beute nach der Schamba.
..i—.7" Vas Luch sül' Lite
vermessener 3piel.
vornan von veinhold Ortmann.
(vottsehung.) — (Nachdruck verboten.)
Sie schon den Namen Tessendorf ge-
W höiü' meine Herrschaften?" fragte Mielentz.
W //V Gagliardi verneinte kurz, und auch Vilma
N/l U schüttelte nach einigem Nachdenken den
ÜW-LM Kopf.
„Na, dann will ich Ihnen sagen, wer Bernhard
Tessendorf war. Ein großartiger Kerl war er, ein
Mann mit einer eisernen Stirne und ein genialer
Gauner. Ich weiß nicht, wieviele Millionen er im
Verlauf von zwanzig oder dreißig Jahren gemacht
hat, aber dafür, daß es eine hübsche Anzahl ge-
wesen ist, kann ich einstehen."
Vilma war offenbar mit Leib und Seele bei
der Sache. Sie hatte den Oberkörper weit über
den Tisch vorgeneigt, und ihre Augen hingen un-
verwandt an den schmalen Lippen des Sprechenden.
„Und dieser Tessendorf —"
„War der Herr Papa der zukünftigen Gräfin
Gagliardi. Als einziges Kind hat sie alles geerbt,
was er bei seinem plötzlichen Tode hinterließ. Sehen
Sie jetzt ein, daß man sich da für eine solche Ge-
fälligkeit nicht mit lumpigen zwanzigtausend Mark
abspeisen zu lassen braucht?"
Gagliardi verharrte in seiner verdrossenen Schweig-
samkeit. Seine Verlobte aber gab durch ein leb-
haftes Kopfnicken ihre Zustimmung zu erkennen.
Nach einigen Sekunden jedoch schienen neue
Zweifel in ihr aufzusteigen. „Wenn sie so schrecklich
reich ist, wie soll man es dann erklären, daß sie auf
solchem Wege einen Mann sucht? Es gibt doch
so viele arme Adelige mit klingenden Namen, die
zu einer Millionenheirat immer bereit sind."
„Sehr richtig bemerkt, mein kluges Fräulein!
Aber es ist ein Häkchen bei der Sache oder vielmehr
ein ganz ansehnlicher Haken. Ein Jahrzehnt hin-
durch — oder auch länger — hatte Tessendorf in
Frankfurt eine glänzende Nolle in der Gesellschaft
gespielt. Man wußte wahrscheinlich ganz gut, daß
er sein großes Vermögen nicht auf die anständigste
Weise erworben hatte und daß er, wie man so sagt,
über Leichen hinweggeschritten war, um seine Ziele
zu erreichen. Aber solange kein Kläger gegen ihn
auftrat, hatte man auch nicht nötig, den Richter
zu spielen. Er würde sicherlich in Ehren alt ge-
worden sein und seine Tochter an irgend einen vor-
nehmen Kavalier verheiratet haben, wenn ihn nicht
eines Tages einer, den er zugrunde gerichtet hatte,
in der Betrunkenheit angeschossen hätte."
„Ah, wie interessant!" rief die kleine Choristin.
„Und Sie erzählen das so hübsch. Als wenn man
es in der Zeitung läse."
Der Bureauvorsteher verbeugte sich geschmeichelt.
„Wenn man eine so reizende Zuhörerin hat —"
meinte er galant, um dann fortzufahren: „Die
Schußwunde war nicht gefährlich; aber das, was
nachkam, war desto gefährlicher. Der Attentäter,
ein gewisser Moralt, wurde festgenommen und
wegen versuchten Mordes unter Anklage gestellt.
Er behauptete, von der ganzen Sache nichts mehr
zu wissen, und es stellte sich auch heraus, daß er
ein sogenannter Quartalstrinker war, der zur Zeit
seiner Anfälle die größten Dummheiten zu begehen
pflegte. Aber man glaubte selbstverständlich nicht
ohne weiteres an seine Unzurechnungsfähigkeit,
um so weniger, als er zugab, daß er guten Grund
gehabt hätte, Bernhard Tessendorf als den Zer-
störer seiner Existenz tödlich zu hassen. Zu seinem
Glück fand er in einem schneidigen jungen Rechts-
anwalt einen Verteidiger, der mit beiden Händen
die Gelegenheit ergriff, durch einen sensationellen
Prozeß zu Ruf und Ansehen zu kommen. In
monatelanger Arbeit trug er alles zusammen, was
sich in bezug auf die dunklen Wege des Herrn
Tessendorf ermitteln ließ, und in der Hauptver-
handlung wußte er es so geschickt zu verwerten,
daß der ehrenwerte Herr, der als Zeuge den Saal
betreten hatte, sehr bald die Rolle des eigentlichen
Angeklagten spielte. Der Revolverheld kam mit
einer sehr geringen Strafe davon, Bernhard Tessen-
dorf aber war in der öffentlichen Meinung gerichtet,
und er ging aus dem Saal als einer, von dem,
wie man zu sagen Pflegt, kein Hund mehr ein Stück
Brot nehmen mag."
„Nein — was doch alles in der Welt vorkommt!"
rief die Choristin, die in höchster Spannung gelauscht
hatte. „Aber warum wurde der Mann, der auf
ihn geschossen hatte, nicht ganz freigesprochen?
Einem Schurken gebührt ja nichts anderes als
eine Kugel. Es ist schlimm genug, daß die meisten
Menschen zu feige sind, sich mit einer Pistole oder
mit einer Flasche Vitriol selber ihr Recht zu nehmen."
„Du sprichst wie ein unvernünftiges Kind,
- ---' tzest 3
Vilma!" fuhr ihr Gagliardi ärgerlich in die Rede.
„Ich begreife nicht, was dich an diesen Geschichten
überhaupt so sehr interessieren kann. Wir haben
doch mit der ganzen Sippschaft nichts zu schaffen."
„Oho, warum so ungnädig, mein Bester?"
scherzte Mielentz. „Handelt es sich nicht um die
Familiengeschichte Ihrer zukünftigen Frau Ge-
mahlin?"
„Wir sollten lieber endlich aufhören, von dieser
Sache zu reden."
Gagliardi war sichtlich nahe daran, seinen Respekt
vor dem Bureauvorsteher zu vergessen. Der aber
ließ sich dadurch nicht abhalten, ihm das geleerte
Glas aus der eben gebrachten zweiten Flasche zu
füllen und ihm dann das seinige zum Anstoßen
entgegenzuhalten.
„Prosit, Kollege! Auf treue Kameradschaft und
gutes Gelingen!"
Widerwillig erhob Gagliardi das Glas, aber als
er es erst einmal an die Lippen gesetzt hatte, leerte
er es auf einen einzigen Zug.
Lächelnd klopfte ihn Mielentz auf das Knie.
„Schade, daß Sie es heute abend so eilig mit dem
Fortgehen hatten. Ich hätte Ihnen sonst einen
Wink gegeben, auf die Dame in der Fremdenloge
zu achten. Ob Sie sie nun heiraten oder nicht,
in Augenschein genommen hätten Sie sie doch
sicherlich gern."
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Gagliardi
ihn an. „In der Fremdenloge?" wiederholte er
mit plötzlich schwer gewordener Zunge. „Die Dame
mit dem großen Federhut? Das — das sollte sie
gewesen sein? Ah — es ist ja Unsinn — ist ja ganz
unmöglich!"
„Warum denn? Es war wirklich Fräulein Nora
Tessendorf. Ich kenne sie sehr genau. Ich selber
hatte ja im Auftrag des Rechtsanwalts telephonisch
die Loge für sie bestellt. Sie ist Ihnen also ausge-
fallen, ohne daß Sie ahnten, wer sie sei?"
Gagliardi wurde der Notwendigkeit einer Ant-
wort überhoben, denn Vilma kam ihm zuvor. „Auch
mir ist sie aufgefallen," sagte sie, und ihr Gesicht
war mit einem Male sehr ernst und nachdenklich
geworden. „Wir alle auf der Bühne haben sie
während des Zwischenakts durch das Loch im Vor-
hang angestaunt. Wie konnten Sie vorhin sagen,
Herr Mielentz, daß sie nicht schön sei? Ich habe
nie eine schönere Frau gesehen."
„Aber ich bitte Sie, mein liebes Fräulein!
Wenn man Geld genug hat, seine Toiletten von
einem ersten Pariser Schneider zu beziehen, und
eine Kammerzofe, um sich nach allen Regeln der
Verschönerungskunst zurechtmachen zu lassen! Las-
sen Sie sie das Kleidchen anziehen, das Sie da
tragen, denken Sie sich die Frisur hinweg, die
Schminke, die gemalten Augenbrauen — und ich
setze meinen Kopf zum Pfände, daß von ihrer
Schönheit blutwenig übrig bleibt."
„Nein, sie ist schön," sagte Vilma Gregory,
langsam und mit einem Klang des Bedauerns,
wie jemand, der sich nur ungern von einer lockenden
Vorstellung trennt. „Bruno hat recht: es ist Un-
sinn, daß wir noch weiter über die Sache reden."
Es entstand eine Pause, dann hob Gagliardi, der
ganz in sich zusammengesunken dagesessen hatte, den
Kopf.
„Sagten Sie nicht, daß sie ihren Vater beerbt
habe? Er ist also gestorben?"
„Ja. Vor anderthalb Jahren oder so herum.
Gerade zur rechten Zeit, und vielleicht nicht ganz
ohne eigenes Zutun, wie ich denke. Die Sache
war nämlich für ihn einigermaßen brenzlig ge-
worden. Was bei der Verhandlung gegen Moralt
überfeine geschäftlichen Gepflogenheiten zur Sprache
gekommen war, hatte dem Staatsanwalt Anlaß
gegeben, sich für diese Dinge zu interessieren. Es
war eine regelrechte Untersuchung gegen ihn ein-
geleitet worden, und die Erhebung der Anklage
stand unmittelbar bevor. Ich bin ziemlich gilt unter-
richtet, denn er hatte unseren Rechtsanwalt, mit
dem er schon vorher in Verbindung gestanden,
zu seinem Beistand erwählt, und ich weiß, daß es
selbst für einen Mann von Hasselbachs Gerissenheit
ein schweres Stück Arbeit gewesen wäre, ihn heraus-
zuhauen. Darauf wollte Tessendorf es wahrschein-
lich nicht erst ankommen lassen. Gesellschaftlich
war er ja doch rettungslos zugrunde gerichtet,
selbst wenn er der Justiz durch irgend ein Hinter-
türchen hätte entschlüpfen können. Und Bernhard
Tessendorf war nicht der Mann, das Leben eines
Ausgestoßenen zu führen. So stellte sich denn in
einem geeigneten Augenblick der übliche Herzschlag
ein. Wenn auch die Ehre futsch war, die Millionen
wenigstens waren gerettet."
Für Vilma Gregory mußte doch wohl etwas
unwiderstehlich Zwingendes in dem Klang des
Wortes sein, das der Bureauvorsteher mit wohl-
berechnetem Nachdruck gesprochen, denn ihr Interesse
stationen. Der Wiener hat „a patzwaachs Gemüat",
und so zählt er bei „aner Hetz und Gaudi", wie einem
Ausflug in den Wiener Wald, die Kronen nicht, sondern
denkt: „Vcrkauft's mei G'wand, i sahr in Himmel."
Kap 5union an der ^üdspitze non Lttika.
(^lsdcüa; SUd auf 5sits do.)
7^ie Südspitze der griechischen Landschaft Attika, vom
Piräus, dem Hafen der Hauptstadt Athen, in etwa
dreistündiger Dampferfahrt zu erreichen, wird von einem
Vorgebirge gebildet, dessen 60 Meter hohe weiße Kalk-
wände sich steil hinabfcnken zu den blauen Fluten des
Mittelländischen Meeres. Es ist das Kap Sunion, von
den Schiffern heute meist Kap Kolonnais, das Säulenkap,
genannt, nach den auf seinem Scheitel sich erhebenden
elf Säulen, den Überresten jenes berühmten Tempels,
den im 5. Jahrhundert vor Christi Geburt das damals
auf dem Gipfel seiner Macht stehende stolze Athen als
Zeichen seiner Vorherrschaft zur See zu Ehren des Meer-
gottes Poseidon errichten ließ. Der Anblick dieser Tempel-
reste auf ihrem erhabenen Standpunkt ist, wie unser
schönes Bild auf Seite 60 erkennen läßt, überaus malerisch
und eindrucksvoll; aber nicht minder genußreich und
höchst eigenartig ist die Aussicht, die man oben auf der
Hohe des Kaps nach allen Himmelsrichtungen hat. Nach
Westen und Südwesten schweift der entzückte Blick über
den inselerfüllten, buchtenreichen Saronischen Meer-
busen bis zu der vielgestaltigen Bergwelt der Halbinsel
Morea, der alten Peloponnesos; im Norden erhebt sich
das Lauriongebirge, im Altertum berühmt durch seinen
Silberbergbau, den erst die neuzeitliche Technik nach jahr-
hundertelangem Stillliegen wieder zu neuem Leben er-
weckt hat; im Nordosten grüßt die große Insel Euböa
herüber, reich an historischen Erinnerungen wie an land-
schaftlichen Schönheiten und Bodenschätzen; gen Osten,
Südosten und Süden aber entsteigt den blauen Fluten
des Meeres in harmonisch schönen Linien die Inselgruppe
der Zykladen, deren einzelne Glieder sich wie Kulissen
hintereinander vorschieben. In der Nähe erkennt man
noch besser als vom vorüberfahrenden Schiff aus, welch
imposante Dimensionen der Poseidontempel besessen haben
muß, sowie die Art der ganzen Anlage. Dem Deutschen
Archäologischen Institut in Athen, in dessen Auftrag der
bekannte Archäologe Professor Dörpseld 1884 auf Kap
Sunion umfangreiche Ausgrabungen vornahm, ist es
in erster Linie zu danken, daß eine genauere Kenntnis
des Tempels ermöglicht wurde. Auf den Fundamenten
eines älteren, wahrscheinlich in den Perserkriegen zerstörten
Tempels errichtet, zeigt er die dorische Säulenordnung.
An den Längsseiten besaß er dreizehn, an den Schmal-
seiten sechs Säulen. Rings um die stehengebliebenen Säu-
len, die zum Teil noch Architravblöcke tragen, und deren
Material, laurischer Marmor, wenn auch stark verwittert,
seine blendendweißs Farbe bewahrt hat, liegen zahl-
reiche Trümmer umher, darunter Friesplatten mit Dar-
stellungen von Zentaurenkämpfen, von Taten des Theseus
und anderem mehr, die jedoch zerstörenden Einflüssen
nicht sonderlich widerstanden haben. Die Umsassungs-
und Stützmauern des Tempelbezirkes sind teilweise noch
erhalten, desgleichen Reste einer die Hochfläche des Kaps
umgebenden turmbewehrten Befestigungsmauer.
Vie Leute.
l5iet>e da; vild aut 5elte SI.)
^7eit Wochen schon hat der ungewöhnlich kräftig gebaute
Löwe die Schamba der Webi, eines Stammes der
Somal, die das Osthorn Afrikas bis zum Dschubb und
Tana bewohnen, beunruhigt. Er muß aus der Steppe
durch die Galeriewälder von Feigenbäumen und Dattel-
palmen, die den Lauf des Webi Schebeli umsäumen, bis
in die Nähe der Küste, wo in einem Hain von Affenbrot-
bäumen die Schamba liegt, herabgewandert sein. Zu-
erst schlug er ein Rind auf der Weide, dann fiel er über
einen Esel her, und nun hat er gar ein Weib, das auf
einem Durrafeld arbeitete, angegriffen und es trotz ihres
Wehgeschreies davongeschleppt. So geht es nicht weiter,
darüber sind sich die Männer der Schamba klar. Setzt
man sich nicht gegen ihn zur Wehr, dann muß man sich
gewärtigen, daß er eines Nachts trotz des schützenden
Dorngürtels in die Siedlung selbst einbricht. Verschie-
dentlich hat schon der eine oder andere dec Jäger ver-
sucht, ihm nachzuspüren, aber nach kurzem verlor sich
seine Fährte in dem undurchdringlichen Tamariskendickicht.
Der Dorfälteste beraumt ein Palaver an, und nach leb-
hafter Verhandlung beschließt die Versammlung, in der
nächsten Nacht eine Ziege als Lockköder auszusetzen.
Das Tier wird mit Einbruch des Abends an einem Pfahl
angebunden, während sich die mit Speeren bewaffneten
Jäger in einem Gebüsch von Schirmakazien auf die Lauer
legen. Erst gegen Morgen wird die Ziege unruhig, sie
will sich losreißen und stößt zitternd ihre meckernden
Angstrufe aus. Der Löwe schleicht heran. Endlich tritt
er hoch aufgerichtet aus dem rauschenden Maisfeld.
Er wittert, peitscht mit dem Schweif die Flanken, schreitet
zögernd vorwärts, knurrt argwöhnisch und duckt sich jetzt
zum Sprung nieder. In diesem Augenblick saust ein
Hagel von Speeren auf ihn herab. Schreiend und die
Reservespeere schwingend, stürmen die Männer aus ihn
zu. Fletschend sucht er die Speere abzuschütteln, die ihn
getroffen haben, dann aber wendet er sich zur Flucht
Johlend und immer von neuem Speere schleudernd, ver-
folgen ihn die aufgeregten Jäger. Eine breite Blutspur
bezeichnet seinen Weg. Schon hat er fast ein Mimosen
dickicht erreicht, da schwankt er und fällt zuckend auf die
Seite. Ein Speerstoß in das Herz gibt ihm den Rest.
Man bindet ihm die Pranken zusammen, schiebt einen
jungen Stamm hindurch und trägt ihn triumphierend
als stolze Beute nach der Schamba.
..i—.7" Vas Luch sül' Lite
vermessener 3piel.
vornan von veinhold Ortmann.
(vottsehung.) — (Nachdruck verboten.)
Sie schon den Namen Tessendorf ge-
W höiü' meine Herrschaften?" fragte Mielentz.
W //V Gagliardi verneinte kurz, und auch Vilma
N/l U schüttelte nach einigem Nachdenken den
ÜW-LM Kopf.
„Na, dann will ich Ihnen sagen, wer Bernhard
Tessendorf war. Ein großartiger Kerl war er, ein
Mann mit einer eisernen Stirne und ein genialer
Gauner. Ich weiß nicht, wieviele Millionen er im
Verlauf von zwanzig oder dreißig Jahren gemacht
hat, aber dafür, daß es eine hübsche Anzahl ge-
wesen ist, kann ich einstehen."
Vilma war offenbar mit Leib und Seele bei
der Sache. Sie hatte den Oberkörper weit über
den Tisch vorgeneigt, und ihre Augen hingen un-
verwandt an den schmalen Lippen des Sprechenden.
„Und dieser Tessendorf —"
„War der Herr Papa der zukünftigen Gräfin
Gagliardi. Als einziges Kind hat sie alles geerbt,
was er bei seinem plötzlichen Tode hinterließ. Sehen
Sie jetzt ein, daß man sich da für eine solche Ge-
fälligkeit nicht mit lumpigen zwanzigtausend Mark
abspeisen zu lassen braucht?"
Gagliardi verharrte in seiner verdrossenen Schweig-
samkeit. Seine Verlobte aber gab durch ein leb-
haftes Kopfnicken ihre Zustimmung zu erkennen.
Nach einigen Sekunden jedoch schienen neue
Zweifel in ihr aufzusteigen. „Wenn sie so schrecklich
reich ist, wie soll man es dann erklären, daß sie auf
solchem Wege einen Mann sucht? Es gibt doch
so viele arme Adelige mit klingenden Namen, die
zu einer Millionenheirat immer bereit sind."
„Sehr richtig bemerkt, mein kluges Fräulein!
Aber es ist ein Häkchen bei der Sache oder vielmehr
ein ganz ansehnlicher Haken. Ein Jahrzehnt hin-
durch — oder auch länger — hatte Tessendorf in
Frankfurt eine glänzende Nolle in der Gesellschaft
gespielt. Man wußte wahrscheinlich ganz gut, daß
er sein großes Vermögen nicht auf die anständigste
Weise erworben hatte und daß er, wie man so sagt,
über Leichen hinweggeschritten war, um seine Ziele
zu erreichen. Aber solange kein Kläger gegen ihn
auftrat, hatte man auch nicht nötig, den Richter
zu spielen. Er würde sicherlich in Ehren alt ge-
worden sein und seine Tochter an irgend einen vor-
nehmen Kavalier verheiratet haben, wenn ihn nicht
eines Tages einer, den er zugrunde gerichtet hatte,
in der Betrunkenheit angeschossen hätte."
„Ah, wie interessant!" rief die kleine Choristin.
„Und Sie erzählen das so hübsch. Als wenn man
es in der Zeitung läse."
Der Bureauvorsteher verbeugte sich geschmeichelt.
„Wenn man eine so reizende Zuhörerin hat —"
meinte er galant, um dann fortzufahren: „Die
Schußwunde war nicht gefährlich; aber das, was
nachkam, war desto gefährlicher. Der Attentäter,
ein gewisser Moralt, wurde festgenommen und
wegen versuchten Mordes unter Anklage gestellt.
Er behauptete, von der ganzen Sache nichts mehr
zu wissen, und es stellte sich auch heraus, daß er
ein sogenannter Quartalstrinker war, der zur Zeit
seiner Anfälle die größten Dummheiten zu begehen
pflegte. Aber man glaubte selbstverständlich nicht
ohne weiteres an seine Unzurechnungsfähigkeit,
um so weniger, als er zugab, daß er guten Grund
gehabt hätte, Bernhard Tessendorf als den Zer-
störer seiner Existenz tödlich zu hassen. Zu seinem
Glück fand er in einem schneidigen jungen Rechts-
anwalt einen Verteidiger, der mit beiden Händen
die Gelegenheit ergriff, durch einen sensationellen
Prozeß zu Ruf und Ansehen zu kommen. In
monatelanger Arbeit trug er alles zusammen, was
sich in bezug auf die dunklen Wege des Herrn
Tessendorf ermitteln ließ, und in der Hauptver-
handlung wußte er es so geschickt zu verwerten,
daß der ehrenwerte Herr, der als Zeuge den Saal
betreten hatte, sehr bald die Rolle des eigentlichen
Angeklagten spielte. Der Revolverheld kam mit
einer sehr geringen Strafe davon, Bernhard Tessen-
dorf aber war in der öffentlichen Meinung gerichtet,
und er ging aus dem Saal als einer, von dem,
wie man zu sagen Pflegt, kein Hund mehr ein Stück
Brot nehmen mag."
„Nein — was doch alles in der Welt vorkommt!"
rief die Choristin, die in höchster Spannung gelauscht
hatte. „Aber warum wurde der Mann, der auf
ihn geschossen hatte, nicht ganz freigesprochen?
Einem Schurken gebührt ja nichts anderes als
eine Kugel. Es ist schlimm genug, daß die meisten
Menschen zu feige sind, sich mit einer Pistole oder
mit einer Flasche Vitriol selber ihr Recht zu nehmen."
„Du sprichst wie ein unvernünftiges Kind,
- ---' tzest 3
Vilma!" fuhr ihr Gagliardi ärgerlich in die Rede.
„Ich begreife nicht, was dich an diesen Geschichten
überhaupt so sehr interessieren kann. Wir haben
doch mit der ganzen Sippschaft nichts zu schaffen."
„Oho, warum so ungnädig, mein Bester?"
scherzte Mielentz. „Handelt es sich nicht um die
Familiengeschichte Ihrer zukünftigen Frau Ge-
mahlin?"
„Wir sollten lieber endlich aufhören, von dieser
Sache zu reden."
Gagliardi war sichtlich nahe daran, seinen Respekt
vor dem Bureauvorsteher zu vergessen. Der aber
ließ sich dadurch nicht abhalten, ihm das geleerte
Glas aus der eben gebrachten zweiten Flasche zu
füllen und ihm dann das seinige zum Anstoßen
entgegenzuhalten.
„Prosit, Kollege! Auf treue Kameradschaft und
gutes Gelingen!"
Widerwillig erhob Gagliardi das Glas, aber als
er es erst einmal an die Lippen gesetzt hatte, leerte
er es auf einen einzigen Zug.
Lächelnd klopfte ihn Mielentz auf das Knie.
„Schade, daß Sie es heute abend so eilig mit dem
Fortgehen hatten. Ich hätte Ihnen sonst einen
Wink gegeben, auf die Dame in der Fremdenloge
zu achten. Ob Sie sie nun heiraten oder nicht,
in Augenschein genommen hätten Sie sie doch
sicherlich gern."
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Gagliardi
ihn an. „In der Fremdenloge?" wiederholte er
mit plötzlich schwer gewordener Zunge. „Die Dame
mit dem großen Federhut? Das — das sollte sie
gewesen sein? Ah — es ist ja Unsinn — ist ja ganz
unmöglich!"
„Warum denn? Es war wirklich Fräulein Nora
Tessendorf. Ich kenne sie sehr genau. Ich selber
hatte ja im Auftrag des Rechtsanwalts telephonisch
die Loge für sie bestellt. Sie ist Ihnen also ausge-
fallen, ohne daß Sie ahnten, wer sie sei?"
Gagliardi wurde der Notwendigkeit einer Ant-
wort überhoben, denn Vilma kam ihm zuvor. „Auch
mir ist sie aufgefallen," sagte sie, und ihr Gesicht
war mit einem Male sehr ernst und nachdenklich
geworden. „Wir alle auf der Bühne haben sie
während des Zwischenakts durch das Loch im Vor-
hang angestaunt. Wie konnten Sie vorhin sagen,
Herr Mielentz, daß sie nicht schön sei? Ich habe
nie eine schönere Frau gesehen."
„Aber ich bitte Sie, mein liebes Fräulein!
Wenn man Geld genug hat, seine Toiletten von
einem ersten Pariser Schneider zu beziehen, und
eine Kammerzofe, um sich nach allen Regeln der
Verschönerungskunst zurechtmachen zu lassen! Las-
sen Sie sie das Kleidchen anziehen, das Sie da
tragen, denken Sie sich die Frisur hinweg, die
Schminke, die gemalten Augenbrauen — und ich
setze meinen Kopf zum Pfände, daß von ihrer
Schönheit blutwenig übrig bleibt."
„Nein, sie ist schön," sagte Vilma Gregory,
langsam und mit einem Klang des Bedauerns,
wie jemand, der sich nur ungern von einer lockenden
Vorstellung trennt. „Bruno hat recht: es ist Un-
sinn, daß wir noch weiter über die Sache reden."
Es entstand eine Pause, dann hob Gagliardi, der
ganz in sich zusammengesunken dagesessen hatte, den
Kopf.
„Sagten Sie nicht, daß sie ihren Vater beerbt
habe? Er ist also gestorben?"
„Ja. Vor anderthalb Jahren oder so herum.
Gerade zur rechten Zeit, und vielleicht nicht ganz
ohne eigenes Zutun, wie ich denke. Die Sache
war nämlich für ihn einigermaßen brenzlig ge-
worden. Was bei der Verhandlung gegen Moralt
überfeine geschäftlichen Gepflogenheiten zur Sprache
gekommen war, hatte dem Staatsanwalt Anlaß
gegeben, sich für diese Dinge zu interessieren. Es
war eine regelrechte Untersuchung gegen ihn ein-
geleitet worden, und die Erhebung der Anklage
stand unmittelbar bevor. Ich bin ziemlich gilt unter-
richtet, denn er hatte unseren Rechtsanwalt, mit
dem er schon vorher in Verbindung gestanden,
zu seinem Beistand erwählt, und ich weiß, daß es
selbst für einen Mann von Hasselbachs Gerissenheit
ein schweres Stück Arbeit gewesen wäre, ihn heraus-
zuhauen. Darauf wollte Tessendorf es wahrschein-
lich nicht erst ankommen lassen. Gesellschaftlich
war er ja doch rettungslos zugrunde gerichtet,
selbst wenn er der Justiz durch irgend ein Hinter-
türchen hätte entschlüpfen können. Und Bernhard
Tessendorf war nicht der Mann, das Leben eines
Ausgestoßenen zu führen. So stellte sich denn in
einem geeigneten Augenblick der übliche Herzschlag
ein. Wenn auch die Ehre futsch war, die Millionen
wenigstens waren gerettet."
Für Vilma Gregory mußte doch wohl etwas
unwiderstehlich Zwingendes in dem Klang des
Wortes sein, das der Bureauvorsteher mit wohl-
berechnetem Nachdruck gesprochen, denn ihr Interesse