DOI Heft:
Heft 19
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.47352#0407
varLuchfülMe
Illustriere fsmillenreitung
19. kiest. 1913.
Neid dir treu!
stoman von 6eorg startwig (Lmmis Xoeppei).
lroNsehung.) — lNachdruck oerbown.)
AWSMer Nachtwind hatte sich leise aufgemacht.
Ml lWl Über die knospenschweren Lindenbäume
MWM zog er zum Schlosse heran, schmiegte sich
»WM gegen die mondumstrahlte Mauer und
«W»Ll schlich weich und warm über den Balkon
und durch die offene Tür ins Zimmer hinein.
Magdalene, die keinen Schlaf finden konnte,
fühlte seinen Hauch ihre Wange streicheln. Weitab
von dieser silbernen Stille weilten ihre Gedanken,
die Spanne Zeit umfassend, die zwischen dem Tode
ihres Vaters und dieser Stunde lag. Und damit
erstand die Gestalt des Mannes, dem sie heute aus-
gewichen war und doch nicht aus dem Wege bleiben
konnte, des Mannes, den sie rühmen hörte und dessen
Herzenskälte beklemmend auf sie wirkte. In alle
Erinnerungen trat er selbstherrlich ein als eine Er-
scheinung, die sich nicht ausstreichen ließ durch Groll
und Vorwürfe.
„Nur fort von hier!" flüsterte sie, die Hände
gegen ihre Brust drückend. „Diese Gastfreundschaft
ertrage ich nicht." —
Als der Morgentau noch seine feuchten Perlen
über Halme und Gräser streute, schritt sie die Treppe
hinab, um in den Garten zu gehen, in demselben
Augenblick, als Herr v. Gronau seine Tür öffnete,
sich ins Frühstückszimmer zu begeben.
Bei ihrem Anblick blieb er einen Augenblick
überrascht stehen — überrascht von ihrem frühen
Erscheinen und überrascht von der blonden Schön-
heit, auf die das farbige Fensterlicht einen magischen
Schimmer warf und sie so gleichsam seinen Blicken
verschleierte.
Es war das erste Mal, daß ihm Frauenschöne
so sieghaft entgegentrat, so ungewollt sieghaft und
darum Interesse erweckend. Wenn er nicht gewußt
hätte, daß sie ihre Hand bereits versagt, würde er
diesen Eindruck schweigend an sich haben vorüber-
gehen lassen. Jetzt ließ er ihn ruhig haften.
„Ich darf mich erkundigen, ob etwas im Hause
Sie so früh im Schlaf gestört hat?" fragte er, grüßend
näher tretend.
„Gar nichts!" Das leichtgelockte Haar um ihre
Stirn flimmerte so wundersam, als trüge sie einen
farbigen Kranz zu dem schwarzen Kleid. „Ich bin
an frühes Aufstehen gewöhnt. Es ist so schön am
Morgen."
„Allerdings. Für mich zählt jede Frühstunde
doppelt. Darum halte ich Haus damit und darf
Sie nicht auffordern, an meinem Frühstück teil-
zunehmen. Es geht dabei sehr schnell zu. Aber
ich würde Ihnen raten, nicht auf das Aufstehen
XIX. I4IZ.
Frühling am Vierwaldstätter 5ee. Vach einer Photographie von vug. vupp in Saarbrücken. (5. -N7)
Illustriere fsmillenreitung
19. kiest. 1913.
Neid dir treu!
stoman von 6eorg startwig (Lmmis Xoeppei).
lroNsehung.) — lNachdruck oerbown.)
AWSMer Nachtwind hatte sich leise aufgemacht.
Ml lWl Über die knospenschweren Lindenbäume
MWM zog er zum Schlosse heran, schmiegte sich
»WM gegen die mondumstrahlte Mauer und
«W»Ll schlich weich und warm über den Balkon
und durch die offene Tür ins Zimmer hinein.
Magdalene, die keinen Schlaf finden konnte,
fühlte seinen Hauch ihre Wange streicheln. Weitab
von dieser silbernen Stille weilten ihre Gedanken,
die Spanne Zeit umfassend, die zwischen dem Tode
ihres Vaters und dieser Stunde lag. Und damit
erstand die Gestalt des Mannes, dem sie heute aus-
gewichen war und doch nicht aus dem Wege bleiben
konnte, des Mannes, den sie rühmen hörte und dessen
Herzenskälte beklemmend auf sie wirkte. In alle
Erinnerungen trat er selbstherrlich ein als eine Er-
scheinung, die sich nicht ausstreichen ließ durch Groll
und Vorwürfe.
„Nur fort von hier!" flüsterte sie, die Hände
gegen ihre Brust drückend. „Diese Gastfreundschaft
ertrage ich nicht." —
Als der Morgentau noch seine feuchten Perlen
über Halme und Gräser streute, schritt sie die Treppe
hinab, um in den Garten zu gehen, in demselben
Augenblick, als Herr v. Gronau seine Tür öffnete,
sich ins Frühstückszimmer zu begeben.
Bei ihrem Anblick blieb er einen Augenblick
überrascht stehen — überrascht von ihrem frühen
Erscheinen und überrascht von der blonden Schön-
heit, auf die das farbige Fensterlicht einen magischen
Schimmer warf und sie so gleichsam seinen Blicken
verschleierte.
Es war das erste Mal, daß ihm Frauenschöne
so sieghaft entgegentrat, so ungewollt sieghaft und
darum Interesse erweckend. Wenn er nicht gewußt
hätte, daß sie ihre Hand bereits versagt, würde er
diesen Eindruck schweigend an sich haben vorüber-
gehen lassen. Jetzt ließ er ihn ruhig haften.
„Ich darf mich erkundigen, ob etwas im Hause
Sie so früh im Schlaf gestört hat?" fragte er, grüßend
näher tretend.
„Gar nichts!" Das leichtgelockte Haar um ihre
Stirn flimmerte so wundersam, als trüge sie einen
farbigen Kranz zu dem schwarzen Kleid. „Ich bin
an frühes Aufstehen gewöhnt. Es ist so schön am
Morgen."
„Allerdings. Für mich zählt jede Frühstunde
doppelt. Darum halte ich Haus damit und darf
Sie nicht auffordern, an meinem Frühstück teil-
zunehmen. Es geht dabei sehr schnell zu. Aber
ich würde Ihnen raten, nicht auf das Aufstehen
XIX. I4IZ.
Frühling am Vierwaldstätter 5ee. Vach einer Photographie von vug. vupp in Saarbrücken. (5. -N7)