versuch MWe
Bustrielle ^smilienre'itung
1b. liest. 1913.
Weid dir treu!
I^omsn von 6evsg stattlvig (Lmmlj Koeppel).
lrvrlsehung.) . — lNachdruck verboten.)
Rätin zwang sich zur Aufmerksamkeit
Ml I W gegenüber der Baronin, indem sie fragte:
8 //l I«/ „Was wäre das für eine Entdeckung, die
D^M Sie gemacht zu haben glauben?"
„In beiden Fällen handelt es sich um
die kleine Hellwig, die neulich hier war, wie Sie
wissen. Ein süßer Fratz, wie man zu sagen pflegt. Ich
ging heute morgen in die Küsterei, um Frau Martha
von der Notwendigkeit zu überzeugen, ihre Tochter in
andere Umgebung zu bringen und sie zur Pianistin
ausbilden zu lassen — mit meiner Hilfe selbst-
verständlich. Da höre ich im Zimmer jemand
singen, und zwar mit einer Stimme, die mich alten
Praktikus förmlich am Boden fesselt — weich und
voll und sympathisch wie eine Vogelkehle. Mer ist
denn das?' fragte ich ganz entzückt. — ,Meine
Tochter!' — Und da fängt sie von neuem drin an:
,Lehn deine Wang' an meine Wang',
Dann fließen die Tranen zusammen,
Und an mein Herz drück fest dein Herz,
Dann schlagen zusammen die Flammen —
„Das freut mich sehr für das junge Mädchen,"
warf Frau v. Lützen mit warmer Teilnahme da-
zwischen.
„Ja. Nun stand es bombenfest bei mir und wird
auch durchgesetzt: die Kleine wird Sängerin. Und
eine große Künstlerin ivird sie werden, das sagt die
alte Richthoff. Sie hat vor ihrer Jugend etwas
voraus: einen großen Schinerz, den man durch-
klingen hörte. Und damit komme ich auf meine
Entdeckung."
„Sie gutes, hilfsbereites Barönchen!"
„Diese Entdeckung wird auch Sie interessieren.
Ich sagte Ihnen doch, daß die kleine Hellwig bei
mir war, als Ihr Sohn mir damals Adieu sagte?
Im Augenblick achtete ich nicht darauf, daß die
Kleine aus einer Befangenheit in die andere siel
und schließlich gar eine Art Ohnmachtsanfall be-
kam. Ich schob dies alles auf ihre Schwäche nach
der eben überstandenen schweren Krankheit."
„Auf was denn sonst?"
„Ja, es war nur sehr merkwürdig" — Frau
v. Richthoff legte ihren Zeigefinger nachdenklich
an die Stirn —, „daß die beiden sich einander vorstellen
ließen, als hätten sie sich nie gesehen. Nachher sagte
mir aber Lena, sie wären vor der Krankheit Annas
schon öfter zusammen gewesen und hätten in be-
kannten Familien sogar miteinander musiziert."
„Ja, gewiß. Das weiß ich auch."
„Nicht wahr? Und dann kam noch etwas sehr
Merkwürdiges. Ihr Herr Sohn sprach sich plötzlich
seltsam warm, ich kann nur sagen, innigst erfreut
über die glückliche Genesung aus — und Annas Er-
krankung trat ja unmittelbar vor seiner Verlobung
ein.—Lützelchen, die beiden sind sich nicht gleichgültig
gewesen, da setze ich Kopf und Kragen dagegen."
Frau v. Lützens Wangen färbten sich vor innerer
Erregung, indes drunten der Wagen vorfuhr und
fort nach dem Bahnhof rollte, ohne daß sie darauf
achtete.
„Er hätte sie geliebt? Und sie ihn? Das wollten
Sie doch sagen?"
„Es war jedenfalls ein ernsthaftes Techtelmechtel
INz.
Vie Vefreiung5hglle bei Kelheim. (5. 351)
Bustrielle ^smilienre'itung
1b. liest. 1913.
Weid dir treu!
I^omsn von 6evsg stattlvig (Lmmlj Koeppel).
lrvrlsehung.) . — lNachdruck verboten.)
Rätin zwang sich zur Aufmerksamkeit
Ml I W gegenüber der Baronin, indem sie fragte:
8 //l I«/ „Was wäre das für eine Entdeckung, die
D^M Sie gemacht zu haben glauben?"
„In beiden Fällen handelt es sich um
die kleine Hellwig, die neulich hier war, wie Sie
wissen. Ein süßer Fratz, wie man zu sagen pflegt. Ich
ging heute morgen in die Küsterei, um Frau Martha
von der Notwendigkeit zu überzeugen, ihre Tochter in
andere Umgebung zu bringen und sie zur Pianistin
ausbilden zu lassen — mit meiner Hilfe selbst-
verständlich. Da höre ich im Zimmer jemand
singen, und zwar mit einer Stimme, die mich alten
Praktikus förmlich am Boden fesselt — weich und
voll und sympathisch wie eine Vogelkehle. Mer ist
denn das?' fragte ich ganz entzückt. — ,Meine
Tochter!' — Und da fängt sie von neuem drin an:
,Lehn deine Wang' an meine Wang',
Dann fließen die Tranen zusammen,
Und an mein Herz drück fest dein Herz,
Dann schlagen zusammen die Flammen —
„Das freut mich sehr für das junge Mädchen,"
warf Frau v. Lützen mit warmer Teilnahme da-
zwischen.
„Ja. Nun stand es bombenfest bei mir und wird
auch durchgesetzt: die Kleine wird Sängerin. Und
eine große Künstlerin ivird sie werden, das sagt die
alte Richthoff. Sie hat vor ihrer Jugend etwas
voraus: einen großen Schinerz, den man durch-
klingen hörte. Und damit komme ich auf meine
Entdeckung."
„Sie gutes, hilfsbereites Barönchen!"
„Diese Entdeckung wird auch Sie interessieren.
Ich sagte Ihnen doch, daß die kleine Hellwig bei
mir war, als Ihr Sohn mir damals Adieu sagte?
Im Augenblick achtete ich nicht darauf, daß die
Kleine aus einer Befangenheit in die andere siel
und schließlich gar eine Art Ohnmachtsanfall be-
kam. Ich schob dies alles auf ihre Schwäche nach
der eben überstandenen schweren Krankheit."
„Auf was denn sonst?"
„Ja, es war nur sehr merkwürdig" — Frau
v. Richthoff legte ihren Zeigefinger nachdenklich
an die Stirn —, „daß die beiden sich einander vorstellen
ließen, als hätten sie sich nie gesehen. Nachher sagte
mir aber Lena, sie wären vor der Krankheit Annas
schon öfter zusammen gewesen und hätten in be-
kannten Familien sogar miteinander musiziert."
„Ja, gewiß. Das weiß ich auch."
„Nicht wahr? Und dann kam noch etwas sehr
Merkwürdiges. Ihr Herr Sohn sprach sich plötzlich
seltsam warm, ich kann nur sagen, innigst erfreut
über die glückliche Genesung aus — und Annas Er-
krankung trat ja unmittelbar vor seiner Verlobung
ein.—Lützelchen, die beiden sind sich nicht gleichgültig
gewesen, da setze ich Kopf und Kragen dagegen."
Frau v. Lützens Wangen färbten sich vor innerer
Erregung, indes drunten der Wagen vorfuhr und
fort nach dem Bahnhof rollte, ohne daß sie darauf
achtete.
„Er hätte sie geliebt? Und sie ihn? Das wollten
Sie doch sagen?"
„Es war jedenfalls ein ernsthaftes Techtelmechtel
INz.
Vie Vefreiung5hglle bei Kelheim. (5. 351)