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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 48.1913

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Heft 14
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https://doi.org/10.11588/diglit.47352#0302
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ve^LuchfülMe
Illustrierte familienrestung
14. kjest. 1Y13.


Marokkanische Men in der 5r>nagoge. lisch einem Semäide von y. vesportes. (5. Z06)

bene Zeilen ihre Mitleidstränen hin und wieder
verwischt hatten. Sie faßte es noch immer nicht,
wie ein so häßlicher Verdacht sich an einen so guten
Menschen heranschlcichen konnte, und noch weniger
faßte sie es, wie jemand an Wentrups Schuld zu
glauben imstande war. Wie oft hatte er in diesem
Zimmer, an diesem runden Tisch dem Verstorbenen
von seinem Einkommen erzählt, und wie gewissen-
haft er es am Ersten jedes Monats in verschiedene
Kassen einteilte. Da war die Kleiderkasse, die
Tischkasse, die Heizungskasse, die Kasse für besondere
Ausgaben. Lena hörte noch das Lachen ihres
Vaters, als Wentrup von den Pumpzetteln berichtete,
die er gewissenhaft in die zu Hilfe genommene Kasse
legte, wenn es in einer anderen einmal nicht reichen
wollte.
Und jetzt — jetzt sollte er plötzlich zum Dieb an
fremdem Gut geworden sein! Nein, und wenn
alle daran glaubten, sie hielt seine Unschuld hoch
wie eine Fahne!
-— Ta stand plötzlich Malli
vor ihr und reichte ihr das
Blatt. „Lies! Ich komme
herauf, weil ich dachte, es
würde euch interessieren, da
er soviel in eurem Hause ver-
kehrte."
Magdalene nahm das Blatt
mit froher Hast. „So ist es
heraus, wo das Geld steckt?
Dem Himmel sei Dank!"
„Das nun wohl weniger,"
sagte Malli, die Lippen ver-
ziehend. „Aber ein Schritt dazu
ist getan worden, um es heraus-
zubringen. Bitte, lies nur!"
Sie las, und eine tiese
Blässe bedeckte ihr Antlitz.
Dann warf sie das Blatt von
sich, als habe sie ein häßliches
Insekt berührt. „Abscheulich!"
rief sie, die Augen bedeckend,
um nicht in das lächelnde Ge-
sicht vor sich zu sehen. „Wer
will das auf sein Gewissen
nehmen!"
„Vermutlich der Herr
Staatsanwalt und der Herr,
dem das Geld gehört," sagte
Malli, sehr zufrieden mit dem
Eindruck, den sie hervorgerufen
hatte. „Jedenfalls ist er nun
in Nummer Sicher und tut
Emil nicht mehr den Verdruß
an, euch zu besuchen. Darin
war er ja derartig dickfellig —"
„Schweig!" Magdalene
hatte sich gefaßt und stand
hochaufgerichtet vor der un-
willkürlich Zurückweichenden.
„Wage es nicht, das noch ein-
mal zu wiederholen — hier,
wo unser Vater ihn willkom-
men hieß. — Schämt euch!
Schämt euch," fuhr sie mit
bebender Stimme fort, „dem
Unglück auch noch Steine nach-
zuwerfen! Was wißt denn
ihr von Wentrup? Wann hat
er jemals Miene gemacht, euch
näherzutreten? Was geht es
euch an, ob wir jemand in
Ehren halten oder nicht? Da,
nimm das Blatt, erfreut euch
daran! Mir ist's ein Ekel!"

„Wenn ich zurück bin," sagte Malli höhnisch. „Ich
tue, was ich will — das könntest du nun wissen."
Frau Stallboms vollblütiges Temperament ließ
sie beinahe den Frühstückstisch umwerfeu, als sie
schwer gereizt aufsprang. „Malli!" rief sie hochrot
im Gesicht. „Du undankbares Ting! Mich wird
noch der Schlag rühren!"
„Wozu das Geschrei!" sagte Malli,'die Achseln
zuckend. „Ist mir ganz egal, ob er gestohlen hat oder
nicht. Ich will nur mein Vergnügen haben."
„Warte, ich komme dir!" rief Frau Stallbom
außer sich, mit dröhnender Stimme. „So groß
du bist, ich haue dir —"
„Versuch's doch!" entgegnete Malli kaltblütig
lächelnd und lief mit der Zeitung aus der Tür.
*
Im Wohnzimmer saß Magdalene tieferschüttert
über dem erhaltenen Brief, dessen flüchtig geschrie-

rolle sehr peinigend in Erinnerung und
riß ihn zum Zorn gegen ihre widerstrebende Un-
belehrbarkeit und Eigenmächtigkeit hin.
Sofort nach Beendigung der Dienststunden be-
schloß er, ihr ganz bestimmte Verhaltungsmaßregeln
für diesen empörenden Zwischenfall zu geben und
seine Autorität als Familienoberhaupt mit al er
Strenge geltend zu machen.
Vor ihm hatte aber eine andere das Morgenblatt
gelesen und vor Überraschung
einen Sprung von: Stuhl ge-
wacht: Fräulein Matz.
Daß der „Hungerleider"
bei dem hochnäsigen Steuer-
rat und seinen Damen ein
gern gesehener Gast gewesen
war, während sie alle drei trotz
vielfacher Annäherungsver-
suche keine Gegenliebe fanden,
hatte die spitze Zunge dieser
Dame schon häufig in Bewe-
gung gefetzt. Heute kannte
ihre Freude keine Grenzen.
„Wenn man so nobel ist,
kann man sich freilich solche
langfingerigen Bekanntschaf-
tenleisten—unsereiner kann's
nicht. — Malli, jetzt gehst du
nach oben und gratulierst dem
Fräulein zu diesem Verehrer!
Nachzuzählen braucht sie ihr
Silberzeug nicht — das, was
oa ist, ist ja doch für die Katze
I- der Lump maust jedenfalls
lieber Brieftaschen mit Tau-
f-ndmarkschcinen. Da, bring
deinerliebenswürdigenSchwä-
gsrin das Blatt! Und bedank
dich für die Ehre, sie jetzt end-
nch ,drU nennen zu dürfen.
Neib's ihr ordentlich unter die
Nase, was für 'nen feinen
Liebling ihr Vater gehabt hat,
der Herr Steuerrat!"
„Unsinn!" sagte Frau Stall-
bom, ihre große Familientasse
zurückschiebend. „Bleib hier,
Malliken. — Und du, verbrenn
Nicht die Zunge, Fritze!
Ngt schon ural eben dran vor-
beigerutscht — ein anderes
Mal bleibst du hängen. —
Malliken, ich will das Gehetze
Nicht — bleib sitzen!"
„Ich gehe," sagte Malli
Ausstehend und nach dem Blatt
greifend. „Das Vergnügen
wache ich mir gerade."
„Ich sage dir, du gehst
sucht!" rief Frau Stallbom,
men gewichtigen Arm aus-
nreckend. — „Halt den Mund,
nutze!—Malli, hier bleibst du!
Aas Blatt her! —JmAugen-
u« gibst du mir das Blatt her!"

Sleib dir treu!
stoman von 6eorg Hartwig (Lmmg koeppel).
lrvUsehung.) — Nachdruck verboten.)
Hach der Nachricht von Wentrups Verhnf-
1 tung kam dem Assessor v. Lützen seine
Magdalene gegenüber so häufig erschwerte,
ja bisweilen gänzlich mißlungene Führer-
ä rolle sehr peinigend in Erinnerung und
 
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