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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 48.1913

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Heft 5
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120

v38 Luch für M!e _ ' - -.kiest 5

gegangen, bald stand alles wieder in sonniger Klar-
heit.
Winter schlug mir einen kurzen Gang ins Freie
vor, um unsere aufgeregten Nerven zu beschwich-
tigen.
Wir sprachen zunächst nicht viel, und ich hatte
das Gefühl, daß der Amtsrichter gleich mir mit
Spannung die Biegung des Weges erwartete,
die uns den Blick auf den Urtelsfelsen freigebcn
sollte. Das sonderbare Zeichen, das wir jetzt erst
recht zu verstehen meinten, mußte uns ja nun noch
viel seltsamer anmuten, als je zuvor.
Aber was war das? Der Blick, der die wohl-
bekannte Profillinie des Nrtelsfelsen nach der Er-
scheinung des Spaniers absuchte, ging ins Leere —
das gigantische Bild war nicht mehr zu sehen. Regel-
lose Tannen, der Fels wie immer, aber keine Spur
von dem Spanier.
Der Blick des Amtsrichters traf in den meinen.
Wir fragten uns ohne Worte eine und dieselbe
Frage, und es dauerte eine ganze Weile, bis ich
zuerst sprach.
„Ein Blitzschlag?" fragte ich leise.
Winter nickte. „Wenn der Warner dort oben
an das an einem schuldlos Berurteilten begangene
Verbrechen mahnen sollte, dann war er von heute
an befreit," sagte er langsam.
Ich antwortete nicht. Zu seltsam und zu schwer
waren die Gedanken, die mir durch den Kopf
gingen.
Tann, als wir dem Felsen ganz nahe kamen,
brach ich endlich das Schweigen. „Lassen Sie uns
hinaufgehen!" bat ich. „Dann können wir fest-
stellen, was bisher nie gelingen wollte, wir können
nun erkennen, welche der Tannengruppen eigent-
lich das Bild des Spaniers ergab."
Wir gingen hinauf, haben wohl zwei Stunden
lang den ganzen Urtelsfelsen abgesucht, aber nir-
gends die Spur eines Blitzschlages gefunden.
Und den gigantischen Spanier, der so stolz und
aufrecht felsan schritt, den hat seit diesem Tage
niemals wieder ein Mensch gesehen.

Sgunersperislisten.
von k. k. webet.
lvachdmck oerdotrn.)
U^SHin hervorstechendes Merkmal des moder-
nen Gaunertums ist es, daß es sich, wie
MöMl gewisse technische Betriebe und die an-
gewandte Wissenschaft überhaupt, mehr
rind mehr spezialisiert. Man nimmt nicht wahllos
die Gelegenheit wahr, um einen rechtswidrigen Ge-
winn zu "erzielen, sondern ersinnt einen besonderen
Feldzugsplan, nach dem man immer wieder vorgeht,
und worin man sich die größte Geschicklichkeit er-
wirbt, wie.man es auch vielfach liebt, die verbreche-
rischen Anschläge gegen bestimmte Erwerbsklassen
zu richten.
Die Bestehlung vor: Zimmervermieterinnen,
bei denen der Gauner angeblich ein Zimmer zu
mieten sucht, ist verbraucht. Außerdem bringt sie
meist nicht viel ein. Jetzt aber hat ein Gauncrpaar
auch diesem Trick eine neue Seite abzugewinnen
gewußt. Unlängst hat es allein in Berlin sünf Gast-
rollen gegeben, die es stets den Inhaberinnen vor-
nehmer Pensionats vorspielte. Der Hergang war
dabei immer folgender. Die äußerst schick gekleideten
Männer, die sehr sicher auftraten, erzählten den
Pensionatsinhaberinnen, daß sie als höhere Beamte
nach Berlin versetzt worden seien und nun in dem
Pensionat wohnen wollten, bis die Familien nach-
kämen. Der eine von beiden leitete die Unterhand-
lung über die Vermietung. Über den Preis War-
man schnell einig; dann hatte er aber so viele Wünsche
über die Ausstattung der Zimmer rind die Stellung
der Möbel, daß ihm die Vermieterin alle ihre Auf-
merksamkeit widmen mußte, um sich seine Wünsche
einzuprägen. Während der eine so die „Kulisse"
schob, „arbeitete" der andere, indem er sich diesen
oder jenen Gegenstand ansah, mit Entzücken einer:
Balkon entdeckte und dabei harmlos auch die Neben-
zimmer betrat, in denen er alle Wertgegenstände
der dort wohnenden Pensionäre an sich raffte.
So stahl er in dem einen Pensionat einein türkischer:
Major einen kostbaren Ring. In den anderer:
Pensionaten erbeuteten die Gauner für fast tausend
Mark Schrnucksachen. Von Berlin wandten sich
die beiden Spezialisten nach Plauen, wo sie ihren
Raub verkauften und dann ihre Kunst an einer
dortigen Pensionatsinhaberin erfolgreich versuchten.
Die Plauener Beute versetzten sie in Homburg vor
der Höhe, übten auch hier ihr Handwerk und reisten
nun nach Frankfurt a. M., wo sie die Homburger
Erträgnisse versilberten. —
Als ein Heiratsschwindler eigener Art machte

sich vor einigen Jahren ein Franzose berüchtigt.
Er nannte sich Vicomte Emile de Brissac-Etour-
nelles, war aber, wie sich später ergab, in Wirklich-"
keit ein Kellner namens Chamant. Der edle „Vi-
comte" betätigte sich zuerst in Nizza, Spa, Ostende
und verschiedenen Großstädten als Falschspieler
und kaufte sich dann mit einer Anzahlung von dreißig-
tausend Franken ein Schloß in der Normandie.
Jetzt war er unbestreitbarer Schloßbesitzer. Ten von
einem Notar beglaubigten Besitztitel führte er stets
bei sich. Dieses Schloß in der Normandie benützte
er nun als Hilfsmittel zu seinen Heiratsschwinde-
leien. Er wußte in den Kurorten der Schweiz und
Italiens die Bekanntschaft mit reichen Englände-
rinnen und Amerikanerinnen zu machen, deren
Familien er sich als Schloßbesitzer auswies, und bald
kam dann regelmäßig "eine Verlobung zustande.
Als glücklicher Bräutigam deutete er seinen zu-
künftigen Schwiegereltern an, daß feine Familie
als Heiratsgut der Braut einen sicheren Besitz ver-
lange und deshalb auf dem Ankauf einer größeren
Herrschaft in Frankreich bestehe. Diese Herrschaft
wurde denn auch von den Eltern angekauft. Nach-
dem darauf der Hochzeitstag anberaumt war, rückte
der Vicomte mit der Forderung heraus, daß ihm
das Besitzrecht an der Herrschaft schon jetzt über-
tragen werde, da seine Familie nur unter dieser
Bedingung mit der Heirat einverstanden sei. Auch
dieser Wunsch wurde dem Schloßbesitzer erfüllt.
Wenige Tage vor der Hochzeit erkrankte nun der
Vicomte. Zu seiner Erholung, für die eine Reihe
vcn Wochen nötig war, begab er sich nach dem
Süden. Während dieser Erholungszeit verkaufte er
aber die erworbene Herrschaft, um dann, wenn er
den Erlös in der Tasche hatte, zu verschwinden.
Der Mann hat diese Operation nicht weniger als
fünfmal ausgeführt. Bei dem sechsten Versuch
kam ihm ein gerissener amerikanifcher Bierbrauer
auf die Schliche, so daß nun der Schloßbesitzer ein
festes Schloß mit vergitterten Fenstern beziehen
mußte.
Ein Gegenstück zu dem Vicomte Emile de
Brissac-Etournelles bildet der kaukasische Fürst
Mirschinski oder, wie er sich auch uannte, Daniloff,
oder Scherssineff. „Fürst Mirschinski" war Spe-
zialist in der Nutzbarmachung seiner angeblichen
ungeheuren Besitzungen im Kaukasus, und seine
Opfer suchte er sich in Bankierskreisen sowie unter
den mittleren Rentnern. Zuerst tauchte Mirschiuski,
der in Wirklichkeit ein armenischer Kleinhändler
ans Sewastopol war, in Paris auf. Er hatte sich
schnell in die Pariser Gesellschaft eingeführt, zeigte
für Börsenunternehmungen das regste Interesse
und bedauerte es gesprächsweise wiederholt, daß
die reichen Schätze des Kaukasus ungehoben blieben.
Ihm selbst ginge es mit seinen Besitzungen so. Ob-
gleich dort nachweislich große Lagerstätten von Kupfer
und Silber vorhanden seien, er über ausgedehnte
Waldungen mit wertvollen Hölzern verfüge, auch
Wasserkräfte zum Betriebe der Werke in Überfülle
benützt werden könnten, käme es doch nicht zu einer
Ausbeutung, nur weil es an Unternehmungsgeist,
Kapital und auch an Kleinbahnen nach den Aus-
fuhrhäfen des Schwarzen Meeres fehle. Ein ein-
zelner sei aber nicht imstande, Pochhütten zu er-
bauen, Sägemühlen zu errichten und Bahnen an-
zulegen.
So kam es ganz von selbst, daß ihm von seinen
Freunden der Vorschlag zur Gründung eines Kon-
sortiums zur Nutzbarmachung der Fürstlich Mir-
schinskischen Besitzungen gemacht wurde. Der Fürst
war nach einigem Zögern damit einverstanden,
verlangte aber uneigennützig die Absendung eines
Ingenieurs, der die Sachlage an Ort und Stelle
untersuchen und darüber ein Gutachten abstatten
solle.
Geschickt verstand es Mirschinski, daß ein Kom-
plize von ihn: als angeblicher russischer Ingenieur
Saburoff mit dieser Aufgabe betraut wurde. Sa-
buroff sandte nach einiger Zeit ein glänzendes Gut-
achten, silberhaltige Erze und einen Kosteuent-
wnrf ein. Nun schritt man zur Einsetzung eines
Gründerkonsortiums. Mirschinski verkaufte eine
Silbergrube, mehrere Quadratmeilen Eichenwald
und einen Wasserfall, der die Betriebskraft für die
maschinellen Einrichtungen hergeben sollte, für den
erstaunlich billigen Preis von einer Million. Eine
halbe Million erhielt er von dem Konsortium,
das im ganzen zwei Millionen gezeichnet hatte, in
bar auSgezahlt, die andere halbe Million sollte er
in Aktien erhalten, sobald das Unternehmen in
Gang gebracht und in eine Aktiengesellschaft ver-
wandelt worden sei. Die zweite Million war als
einstweiliges Betriebskapital bestimmt.
Jetzt wurden noch einige französische Berg-
ingenieure angeworben, die alsbald nach dem
Kaukasus abreisten. Auch Mirschinski verließ eine
Woche nach ihrer Abreise Paris, ohne sich indessen

bei seinen Geschäftsfreunden zu verabschieden.
Sie waren wie vom Donner gerührt, als ihnen die
französischen Ingenieure nach drei Wochen mel-
deten, daß die Fürstlich Mirschinskischen Besitzungen
auf dem Mond liegen müßten, denn im Kaukasus
sei von ihnen nicht die geringste Spur zu ent-
decken.
Dasselbe Manöver versuchte der Armenier später
noch einmal als Fürst Daniloff in Wien, wo er
dreihnnderttausend Kronen ergatterte, und sodann
als Fürst Scherssineff in Moskau, wo ihn aber sein
Geschick ereilte. —
Auch das Erpressertum, das zumeist in Groß-
städten blüht, weist seine Spezialisten auf. Ein
solcher namens Joe Taylor übte seine verwerfliche
Praxis längere Zeit in raffinierter Weise in London
aus. Der Mann wußte aus der Geschichte reicher
und vornehmer Familien allerlei unliebsame Vor-
kommnisse auszuspüren, die er dann bei dem schrift-
stellerischen Talent, das er besaß, zu sogenannten
Schlüsselerzählungen verarbeitete, das heißt, er
stellte die Vorgänge und Personen so dar, daß jeder
Eingeweihte sofort den richtigen Sachverhalt erriet.
Die Manuskripte seiner Erzählungen übergab
Taylor einem Genossen Harry Brocker, der die in
den Erzählungen an den Pranger gestellten Familien
aufsuchte' und sich ihnen als Inhaber einer lite-
rarischen Agentur vorstellte. Er erzählte dann, er
habe das Manuskript vom Verfasser zum Vertrieb
an Zeitungen gekauft, nachher aber durch Zufall
erfahren, daß in der Erzählung wirkliche Vor-
kommnisse in der betreffenden Familie behandelt
würden. Damit sie nicht durch die Veröffentlichung
in kränkender Weise überrascht würde, lege er ihr
das Manuskript zur gefälligen Prüfung vor.
Das Ergebnis dieser Prüfung war dann das, daß
die bedrohte Familie, um einen öffentlichen Skandal
zu vermeiden, das Manuskript gegen eine erhebliche
Summe ankaufte, in die sich die beiden Gauner
teilten. --
Daß dunkle Existenzen für Einbrecher sehr ge-
schickt gearbeitetes Diebeshandwerkzeug anfertigen,
ist bekannt. Nen aber als Spezialität ist eine ganze
Fabrik für Diebeswerkzeuge. Diese wurde vor kur-
zem in Berlin entdeckt. Dort beobachtete ein
Kriminalbeamter auf dem Bahnhof Alexanderplatz,
wie zwei Arbeiter mit Namen Weber und Weiß
mehrere schwere Pakete abholden, die sie beim Por-
tier in Verwahrung gegeben hatten. Bei der Unter-
suchung der Pakete stellte es sich heraus, daß sie eine
reichhaltige Sammlung von neuen Dietrichen,
Feilen, Brecheisen und Bohrern in: Wert von etwa
dreitausend Mark enthielten. Die Ertappten machten
zuerst allerlei Ausflüchte, gestanden aber zuletzt,
die Werkzeuge, für die sie nicht sogleich Abnehmer-
gefunden und die fie deshalb einstweilen bei dem
Bahnhofportier als Gepäckstücke niedergelegt hätten,
selbst gestohlen zu haben, und zwar in der Schön-
hauser Allee, wo eine Fabrik für derartiges Hand-
werkzeug bestände. —
Bei allen neuen Errungenschaften sind sogleich
verbrecherische Spezialisten darauf aus, sie für ihre
Zwecke auszunützen. So trieb längere Zeit ein
Gauner namens Farkas in Wien sein Wesen, der
seine Betrügereien mittels des Telephons verübte.
Sein Hauptstreich war folgender. In der Villa
eines bekannten Bankiers, der nut seiner Familie
in der Sommerfrische weilte, war eines Tages ein
schmucker Diener zu sehe». Das Haus hatte mehrere
Wochen vollständig unbewohnt gestanden, da der
Bankier auch die Dienerschaft mit nach der Sommer-
frische genommen hatte. Der erschienene Diener
erzählte der Nachbarschaft, er sei von dem Bankier
neu engagiert, um die Wohnuug für die demnächst
zurückkchrende Herrschaft herzurichten. Der neue
Diener machte sich denn auch in der Villa emsig
zu schaffen. Neben dieser äußeren Tätigkeit, die
sich auf die Lüftung und Reinigung der Wohn-
räume bezog, entwickelte er aber noch, wie sich später
herausstellte, eine ebenso rege heimliche. Er tele-
phonierte nämlich an größere Geschäftshäuser aller
Art und ersuchte sie im Namen des Bankiers und
seiner Gemahlin nur die Zustellung einer Aus-
wahlsendung von Jmportzigarren, Seidenstoffen,
Schmucksachen und dergleichen. Erschienen die An-
gestellten der Geschäftshäuser, so führte er sie in
das Portierszimmer, nahm die Sachen in Emp-
fang, kau: dann nach einiger Zeit wieder und stellte
den Boten ihre Waren nut dem Bemerken zurück,
daß die Herrschaft nichts Passendes gefunden habe.
Einige Tage später telephonierte er wieder an
dieselben Geschäftshäuser und bat nochmals um
Auswahlsendungen besserer Qualität. Wieder
nahm der Diener die Sachen in Empfang, erklärte
nun aber bei seiner angeblichen Rückkehr von der
Herrschaft, sie könne sich im Augenblick noch nicht
entscheiden, sondern werde das Nichtausgewühlte
zurücksenden. Weder die Überbringer noch die
 
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