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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 48.1913

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Heft 21
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https://doi.org/10.11588/diglit.47352#0450
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ass
willens?" fragte er mit gedämpfter Stimme.
„Nimm von mir jährlich zweitausend Mark an, so
hast du's nicht nötig, dich herabzusetzen. Die Leute
hier erfahren ja nicht, daß du zu eigensinnig bist,
dir helfen zu lassen."
„Na ja, nimm's doch!" fiel Malli hastig ein.
„Damit das Gezerre ein Ende kriegt."
Magdalene konnte nicht anders, der Erregungen
waren zu viele gewesen, Tränen rollten über ihre
Wangen, die von der rasch herbeieilenden Baronin
liebevoll getrocknet wurden.
„Nun ist's Zeit, daß Lena zur Ruhe kommt.
Ich danke Ihnen für Ihren Besuch, lieber Lützen,
Ihrer Frau auch. Wenn Sie, wie Sie vorhin sagten,
nach Morlowitz kommen wollen, kann ich Gronau
ja davon benachrichtigen. Wir haben jetzt Ruhe
und Stärkung nötig, bevor wir die Rückfahrt an-
treten."
Es fiel Lützen schwer aufs Herz, daß er, besonders
aber Malli versäumt hatten, die Gastfreundschaft
seines Hauses anzubieten.
„Wollen Sie denn nicht, Frau Baronin und
Magdalena —"
„Ich danke, lieber Lützen. Wir haben schon be-
stellt und sind angegriffen von der Hitze."
Wie sie draußen waren, kam ein rasender Zorn
über ihn. „Deine Pflicht wär's gewesen, das An-
erbieten zu machen. Du stellst immer von neuem
meine Geduld auf die härtesten Proben. Für
meine Schwester, merke es dir endlich, wird immer
und allezeit ein Platz an unserem Tische sein."
„Wenn ich's vorher weiß — sonst nicht," sagte
Malli. „Ich liebe keine hereingeschneiten Gäste.
Das merke du dir endlich einmal. Diese Theater-
baronin kommt mir überhaupt schon zum Halse
heraus."
Er biß sich auf die Lippe. „Mer diese Frau
will ich kein schnödes Wort hören."
„Na, denn nicht," sagte sie lachend und nahm
einen tänzelnden Schritt an, um ihren Gleichmut
zu beweisen.
„Du spielst selbst Komödie," sagte er scharf und
ließ ihren Arm fallen.
* -r-
In der abnehmenden Tagesglut rollte der Zug
durch das flache Gelände der Station wieder zu.
Der Himmel war mattblau, wie gebleicht von
der Sonne. Es lag wie eine große, bange Müdig-
keit über Flur und Wald. Und bang und schwer
lag es auch auf Magdalenes Herzen, wie sie am
offenen Fenster saß und in das Rattern der Räder
ihre drängenden Gedanken verflocht.
So oft sie vor ihrem Engagement zurückscheute,
so oft trat ihr Wentrups tapferes Beispiel nahe,
so oft fühlte sie Gronaus schweigende Anerkennung
sich schmerzlindernd über die Wunde legen.
„Gucken Sie mal, Kleinchen!" rief die Baronin,
als sie im zurückgeschlagenen Wagen die Landstraße
entlangfuhren. „Hier hat's anständig getrippelt.
Es ist doch eine schöne Sache um die Wolkengieß-
kanne."
Magdalene nickte schwermütig. „Ob sie Wohl
fleißig die Gräber daheim begießen? — Ich habe
solche Sehnsucht nach ihnen," setzte sie leise hinzu,
die Hand ihrer Beschützerin an die Lippen drückend.
„Ach, Kind," sagte Frau v. Richthoff sehr ernst,
„jede Sehnsucht ist ein Nachklang. Ein Nachklang
dessen, was wir einst Schönes gehabt haben — und
somit geht es nie verloren, ob hier, ob dort. Sehn-
sucht ist auch ein Wiedererleben — und was man
immer wieder erlebt, das eignet sich uns unvergäng-
lich und unverbrüchlich zu. Wo Ihre Eltern auch
schlummern, und ob ihre Hügel versinken oder
grünen, die Sehnsucht ist auch Erinnerung, und
diese können Sie Pflegen allüberall — wie ich es
tue. Sie ist wertvoller als beschnittener Efeu und
aufgebundene Rosen."
Magdalene lehnte ihre Wange an Frau v. Richt-
Hoffs Schulter. „Ich fühle es, wie Sie es sagen."
Der kräftige Sprühregen hatte die Wege
schlüpfrig gemacht wie den Kiesgrund vor dem
Schlosse und die Stufen, auf denen kleine Wasser-
lachen sich noch im Winde schaukelten.
Mit gewohnter Elastizität verließ die Baronin
ihren Sitz, ohne abzuwarten, daß der herbeieilende
Diener ihr die stützende Hand reichte. Dabei rutsch-
ten und glitten ihre Stöckelschuhe auf dem glatten
Boden aus, und sie stürzte mit einem Wehruf gegen
die unterste Treppenstufe, bevor Magdalene zu-
zuspringen und sie aufzuhalten vermochte.
Gronau war nicht zu Hause, aber seine Mutter
eilte, so schnell es ihre Füße erlaubten, herbei, als
Magdalene das Haupt der Baronin aufrichtete und
ihr die sandige Nässe von der Stirn zu streichen
versuchte.
„Ich kann nicht, Kindchen," flüsterte Frau v. Richt-
hoff leise stöhnend. „Mein Fuß —"

— ----- V35 Luch für- Mle -
Frau v. Gronau rang verzweifelt die Hände.
„Friedel, gute Friedel, was habe ich dir prophezeit?
Deine Stöckelschuhe! Wirf sie doch ins Feuer."
„Hole es her!" sagte die Baronin, mit einem
mißglückten Versuch zu scherzen. „Kinder, ihr müßt
mich hineintragen lassen. Ich habe schreckliche
Schmerzen im rechten Fuß. Fassen Sie mich unten
an, Kleinchen, Sie haben leichte Hände. Ich glaube,
er ist gebrochen." —
„Gebrochen nicht, aber verrenkt," sagte der aus
Schmadenberg schnell herbeigerufene Arzt. „Ohne
Narkose wird er nicht gut einzurenken sein."
So wurde Frau v. Richthoff chloroformiert —
und als sie aus der Betäubung erwachte, saß Magda-
lene mit verängstigtem Gesicht an ihrem Bett
und stieß einen Glücksruf aus, als die verwirrten
Augen sich endlich wieder mit vollem Verständnis
auf sie richteten.
„Scheußlich, Kleinchen — wie?" sagte die
Baronin, ihre Hand ausstreckend.
„Um meinetwillen," flüsterte Magdalene mit
heißem Selbstvorwurf.
„Jh, woher denn, Kind! Wenn Sie das sagen,
tut mir mein rechtes Pedal noch einmal so weh!
Einen Schluck Wasser — mir ist todübel, Kleine!"
Der Arzt hatte Gronau in der Fabrik ausgesucht
uud Mitteilung von dem Geschehnis gemacht. So-
fort befahl letzterer anzuspannen, um heimzufahren,
mehr besorgt um den Schreck seiner Mutter als um
eine leicht auszuheilende Verletzung.
Frau v. Gronau eilte ihm mit tränenden Augen
entgegen und berichtete bei der Gelegenheit, daß
Fräulein v. Lützen ein sofort anzutretendes En-
gagement angenommen habe.
Gronau erwiderte nichts weiter als: „Gut! —
Was deine Freundin anbelangt, so wird sofort eine
Pflegerin zu bestellen fein. Gib, bitte, Auftrag!"
„Erst sie fragen, Franz! Sie ist so eigen nut
fremden Personen. Oder sag du es ihr — das
macht mehr Eindruck."
„Wenn ich sie sehen kann — gewiß. Frage doch
gleich mal an. — Soll ich kommen?. — Gut."
Als er ins Zimmer trat, durch dessen offene
Fenster jetzt die balsamische Gartenluft hereinwehte,
glaubte er einen Farbenwechsel in Magdalenes
Antlitz bei seinem Anblick zu bemerken. Und dieser
Glaube verursachte ihm ein wunderliches Gefühl:
Vorwurf, daß er solchen Zufälligkeiten Beachtung
schenkte, und Befriedigung, daß er es bemerkte.
„Gronauchen, was sagen Sie? So muß man
auf der Nase liegen — eigentlich auf dem Rücken!"
rief die Baronin, ihm die kleine Hand entgegen-
streckend. „Meine liebe Lore tut mir so herzlich
leid."
„Ach, gute Friedel —"
„Ich bitte, meine Damen," siel Gronau ein,
„diese Rührung bis auf weiteres zu verschieben. Sie
ist Ihnen beiden schädlich. Sie gestatten, Frau
Baronin, daß für eine tüchtige Pflegerin gesorgt
wird?"
„Wenn es sein muß," seufzte Frau v. Richthoff.
Da stand Magdalene neben ihr, Auge in Auge
mit Gronau, den die edle Schönheit ihrer Züge
wie ein Sonnenstrahl anleuchtete und erwärmte.
„Niemand darf Sie Pflegen als ich. Hier ist mein
Platz, ich trete ihn keinem ab. Ich bleibe bei
Ihnen."
Ein frohes Danklächeln spielte um die Lippen
der Leidenden.
„Ich denke, Fräulein v. Lützen, Sie haben eine
Stellung angenommen?" fragte Gronau mit be-
sonderem Nachdruck, während seine Mutter Magda-
lene beglückt umarmte. „Haben neue Pflichten
übernommen?"
„Neue, ja," sagte sie mit tiefem Erröten vor
seinem forschenden Blick, „aber dies ist eine alte,
sehr liebe — nicht wahr, Frau Baronin?" fügte sie
hinzu, sich über die Kissen neigend. „Ich will mir
alle Mühe geben. Bin ja das Pflegen von meinem
armen Mütterchen her schon gewohnt."
Er lenkte den Blick noch rmmer nicht von ihr
ab. „Also Sie bleiben?"
„Ich werde sofort abfchreiben."
„Es wird besorgt werden. Geben Sie mir die
Adresse."
Sie nahm sie hastig aus dem Täschchen. „Hier!
— Wenn Sie die Güte haben wollen."
Wie sie ihm das Blatt hinreichte und ihre Finger
sich berührten, zuckte sie leicht zusammen.
Er schien es nicht zu beachten und verließ das
Zimmer. —
Treu und unermüdlich hielt Magdalene die
Wache am Bett ihrer Beschützerin, die sich nicht
gerade mit Geduld und Ruhe in die aufgezwungene
Bewegungslosigkeit fügte, dafür aber desto liebe-
voller im Danken und Anerkennen war.
Selten, wenn Gronau es so anordnete und seine
Mutter ihren Platz für ein Stündchen einnahm,

... .Ml 21
ging Magdalene in den Garten hinunter, froh —
sie wußte selbst nicht warum — und traurig zugleich.
Auch dafür wußte sie keinen Grund.
Einmal, als die Dämmerung ihr Grau schon
über die Rasenflächen des Gartens spann, trat
Gronau mit finsterer Miene zu ihr.
„Ich höre, Sie haben Wentrup neulich getroffen
und gesprochen."
Der Ton erschreckte und kränkte sie. „Ja!"
sagte sie fest.
„Also Verabredung?"
Sie sah ihn erstaunt an. „Und wenn es so ge-
wesen wäre —" sagte sie, sich hoch aufrichtend,
brach aber mit ruhiger Fassung ab und setzte hinzu:
„Es war nicht so."
„Glauben Sie, daß ich das Verlangen nicht be-
griffe?" sagte er, die Stimme senkend und mit
einem Unterton darin, der Magdalene in Ver-
wirrung setzte, daß sie wie schuldbewußt die Hände
ineinander drückte und den Blick vor ihm senkte.
„Nur die Unwahrheit verletzt mich. Sie sagten
vordem, daß Sie keine Verbindung mit ihm unter-
hielten."
Zum ersten Male ließ er sich fortreißen, weil er
sich dessen, was in ihm vorging, nicht bewußt war.
„Und gerade diese Verbindung — wenn ich auch
kein Recht habe, Ihre Gefühle zu verurteilen —
mit diesem Manne ist es, die ich nicht verstehe, nie
verstanden habe und nie verstehen werde."
„Herr v. Gronau," sagte sie ohne Scheu und
ganz ihres Vaters hochgemute Tochter, „der Mann,
den Sie verachten und beschuldigen, ist in meinen
Augen ein Ehrenmann — das vergessen Sie, bitte,
nicht." Ihre Stimme bebte in tiefer Bewegung.
„Ich sah ihn, dürftig und herabgekommen, sein
armseliges Leben in einem kleinen Geschäft fristen —-
von der Hand in den Mund. Aber zu stolz, um
anderen lästig zu fallen. Herr Stuckmann hätte ihm
gern sein Haus weiter geöffuet, Wentrup ist frei-
willig fortgegangen, um sich sein bißchen Brot zu
verdienen. Glauben Sie immer noch nicht, daß
nicht er der Dieb war?"
„Nein!" sagte er, ohne Zorn, aber auch ohne
Schonung. „Wie können Sie das von mir ver-
langen? Haben Sie denn nur Gerechtigkeit für
ihn? Kennen Sie keinen anderen Maßstab als den
Ihres Gefühls für ihn?"
Sie verstand nicht, was in dieser Frage lag,
darum schüttelte sie ernst den Kopf. „Mein Maß-
stab ist die Überzeugung feiner Schuldlosigkeit."
„Sehr viel leichter wird es Ihnen, mich für
einen Barbaren zu halten," sagte er mit bitterem
Spott.
„Nein!" rief sie hastig und erschreckt. „O nein!
Das tue ich nicht. Wenn ich es getan habe —"
Sie dachte an jenen sternfunkelnden Abend, als
Ludolf Gronau feine Schlingen um sie wand und
sie seinen Gedanken in Überzeugung nachschritt.
„Merkwürdig," sagte er nachdrücklich, „daß der
Mensch seine richtige Einsicht aus dem Wust des
Irrtums herausfischen muß."
„Wenn Sie an meiner Stelle gewesen wären —"
„Wenn ich an Ihrer Stelle gewesen wäre,"
unterbrach er sie, „so hätte ich mein Urteil zurück-
gehalten, bis ich es aus einer klareren Einsicht
schöpfen konnte als aus persönlicher Neigung und
selbstischem Interesse. — Was haben Sie darauf
zu erwidern?" fragte er, ihr fest in die Augen
sehend.
„Daß es nur leid tut," sagte sie mit steigender
Röte.
Er nickte befriedigt. „Sie, törichtes Kind, nicht
zu wissen, daß ich jedes Vertrauen hoch einschätze,
auch wenn das mir Anvertraute gegen meine Über-
zeugung streitet. Warum sagten Sie mir nicht,
daß Sie Ihres Bruders Beistand entbehren?
Gleichviel, aus welchen Gründen. Daß Sie ihn
entbehren wollen, weil Sie schließlich keine andere
Wahl haben? Warum setzten Sie sich der Gefahr
aus, in eine unwürdige Abhängigkeit zu gehen für
fünfundzwanzig Mark monatlich? . Ist Ihnen noch
nie der Gedanke gekommen, daß ich zu den vielen
Interessen, die ich zu wahren habe, auch noch das
Ihrige verwahren könnte?"
„Wie durfte ich das denken!" sagte sie leise, und
es war, als ob das stille Dämmern ringsumher alle
Kraft, aber auch alle Not in ihr lähmte. „Wie das
hoffen?"
Er fühlte, daß, wie er ihr geistig auch näher trat,
die Gestalt Wentrups sich trennend dazwischen schob,
ein Hindernis, an das zu rühren ihm seine Ehren-
haftigkeit verbot. Aber der Zauber, der Magdalene
umfloß, dieser stille, weihevolle Dämmerzauber,
der alles aneinander zu drängen, alles zu umspinnen
und der Wirklichkeit zu entrücken schien, schlich sich
auch in sein Herz, das bisher Frauenliebe nicht
begehrt, und erfüllte es mit keimendem und quel-
lendem Sehnen.
 
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