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Das Buch für alle: illustrierte Blätter zur Unterhaltung und Belehrung für die Familie und Jedermann — 48.1913

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Heft 27
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https://doi.org/10.11588/diglit.47352#0576
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Illustrierte stamilienreitung
27. ltest. 1913.

Vie Kette nur den sieben Mngen.
Novelle von L. Oberg.
lrortsehung.) — - — (Nachdruck verdoten.i
Libelle hatte den verfolgenden Käfer
Mi IW jetzt hart auf den Fersen. Da hatte sie
M/W»/ zum Seil führende Strickleiter erreicht
DMM und schwang sich mit entzückender Grazie
MWW^l daran empor.
Der Käfer markierte das plumpe, blindgierige
Stürzen des Verfolgers und stürmte ein ganzes
Stück über die Strickleiter hinaus, ehe er gewahrte,
daß die schöne Verfolgte ihm entkommen war.
Wie einhelles, frohlockendes Lachen perlte von den
Geigen ein glitzernder Schauer klingender Kadenzen
hernieder. Dann aber schwoll das dunkle Zorngesumm
der Bratschen auf. Jetzt erklomm auch der Käfer die
Strickleiter. Jedoch die Geigen frohlockten fort, und
die Libelle ging zierlich und tänzelnd über das Seil,
andeutend, daß sie sich auf dem schwanken Wege
vor dem plumpen Verfolger sicher glaube. Da aber
beschritt auch er das Seil. Fast hatte er die Libelle
eingeholt, da war diese zum Ende
des Seiles gelangt und schwirrte die
Strickleiter hinab.
Der Käfer schoß ihr nach, wie-
der durchjagten beide fliegenden
Laufes als Verfolger und Verfolgte
unter der entsprechenden Orchester-
begleitung die Arena, und aufs neue
nahm die Libelle ihre Zuflucht zu
dem Seil.
Diesmal aber war der Käfer ge-
witzigt. Ihr hart auf den Sohlen,
erklomm er so schnell wie sie die
Leiter — und das Helle Angstschwirren
der Geigen, das sich mit dem trium-
phierenden Bratschengesummmischte,
war eine außerordentlich aufreizende
Begleitung zu dem wirklich an allen
Nerven zerrenden Schauspiel, das
nun folgte.
Fliegenden Laufes, mit unsag-
bar flüchtig dahintastenden Sohlen
schoß die Libelle über das Seil, und
noch ehe sie sein Ende erreicht hatte,
war der Käfer, der mit unbegreif-
licher Geschwindigkeit über das Seil
schnurrte, so hart an sie heran-
gelangt, daß kein Entrinnen mehr
möglich schien.
In Hellen Ängsten schrillten die
Geigen, indes die Celli nun in das
Summen der Bratschen einfielen, ein
hämisches Frohlocken verdeutlichend.
Da plötzlich, im Augenblick der
äußersten, kaum mehr erträglichen
Spannung schrillten die Geigen wild
auf — die Libelle hatte sich blitz-
schnell umgewandt, die schlanke Mäd-
chengestalt reckte sich auf — und dann
schnellte jählings ein wilder Sprung
den zarten Körper von dem Seil em-
por. Uber den sich duckenden Zwerg
fort ging der tolle Sprung, und dann,
als kaum die Füße das Seil wieder
erreicht hatten, brauste die Libelle in
jagender Schnelle über das Seilzurück.
Den Käfer hatte die Bestürzung für einen Augen-
blick auf dem Fleck festgebannt. Jetzt raffte er sich
auf, wandte sich ebenfalls und hastete der Ver-
folgten nach, die einen guten Vorsprung gewon-
nen hatte.
Geigen, Celli und Bratschen hatten in meitz^r-

hafter Weise den Vorgang begleitet, und das Ganze
hatte sich so geschwind und auf so unbeschreiblich
aufregende Art abgespielt, daß noch eine starre,
atemlose Gespanntheit über dem Publikum lag, als
die Libelle bereits wieder den Sand der Arena
unter den flüchtigen Sohlen hatte, während der
Käfer die Strickleiter hinabhastete.
Unter Hellem Jubilieren der Geigen entkam die
liebliche Libelle durch den Manegeneingang.
Kaum aber hatten die roten Samtvorhänge sich
hinter ihr geschlossen, als von den Seitengängen
des Zirkus eine Rotte lärmender Clowne hervor-
stürzte, alle bewaffnet mit lächerlich großen, blauen
Schmetterlingsnetzen und mächtigen, grellgrünen
Botanisiertrommeln.
Unter lautem Schreien stürzten sie sich auf den
Käfer, und während das volle Orchester zu einer
Hellen, lustigen Triumphmelodie überging, fingen sie
den Käfer ein.
Nun kam die gerettete Libelle wieder herein,
und ein ganz beispielloser Applaus durchdröhnte
den Zirkus.
Wieder uud wieder verneigte die liebliche Libelle

sich, der freigegebene Käfer stand neben ihr und
dankte wie sie, und immer noch hielt das tobende
Klatschen der Menge an.
Auch in unserer Loge wurde lebhaft geklatscht.
Nur Gwendolin Connoul saß still und hielt ihren
Kopf abgewandt und so tief gesenkt, daß die große

Krempe ihres Hutes sie nach Möglichkeit gegen jeden
Blick aus der Arena schützte.
Als ich nun wieder zu dem Zwerg hinüberschaute,
da durchzuckte mich Zorn und Empörung, denn ich
sah, wie seine Augen sich suchend auf die Loge
hefteten, in der Gwendolin Connoul saß. Als habe
er ihre Absicht, sich vor ihm zu verbergen, gemerkt,
ging jetzt ein Lächeln über seine Züge, ein Lächeln,
so hämisch und höhnend, so mitleidig verächtlich und
zugleich heimlich triumphierend, als solle es ein bos-
haftes und Unheil bergendes Geheimnis verschweigen.
Mich durchzuckte wiederum die Erinnerung. Und
wieder wies ich die grübelnden, in finsterer Unsicher-
heit tastenden Gedanken von mir. Doch erst als die
Musik plötzlich mit einem klingenden Reitermarsch
einsetzte und durch die weit zurückgerafften Samt-
vorhänge eine Kavalkade mexikanischer Gaucho' in
gestrecktem Galopp in die Arena stürmte, war meine
Aufmerksamkeit wieder bei der Gegenwart. Ich
hatte in dem ersten der Reiter Kurt v. Glewitz er-
kannt !
Acht Pferde waren hereingebraust, und die Tracht
der Reiter, mausgraue, breitkrempige Filzhüte,
schlichte Flanellhemden — je vier
grellblau und je vier grellrot — und
lange, sandgelbe Hosen, deren Längs-
nähte breit befranst waren, gab in
den großen, kräftigen Farbenwirkun-
gen zu dem ebenmäßigen Braun der
Pferde ein charakteristisches, künst-
lerisch gut gestimmtes und fremd-
artiges Bild. „Der Kampf ums
Pferd" führte das Programm au,
und nachdem die acht Reiter einen
schneidigen Rundritt ausgeführt
hatten, begann das Spiel.
Alle Reiter sprangen von den
Pferden, von denen eines durch einen
Stallmeister hinausgeführt wurde,
während die anderen in gestrecktem
Galopp ohne Reiter das Rund durch-
brausten. Die Reiter bildeten, sich
fest an den Händen fassend, in der
Mitte der Arena einen Ring, dann
plötzlich auf ein Klingelzeichen des
Spielleiters stürmten sie auseinander,
und jeder eilte, eines der galoppie-
renden Pferde zu besteigen. Der-
jenige, der ohne Pferd ausging, schied
aus, und mit ihm zugleich verließ
wiederum ein Pferd die Arena. Tie
gebliebenen Reiter traten aufs neue
zum Ring zusammen, und das Spiel
wiederholte sich. Je mehr die Zahl
der Reiter sich verringerte, desto
spannender und aufregender wurde
der Kampf, denn es lag in der Natur
des Spiels, gegen die geschickten und
schneidigen Reiter die minder ge-
wandten auszuscheiden. Den Höhe-
punkt hatte die Spannung erreicht,
als nur das allerletzte Pferd noch
übrig war, und nun also der Kampf
um den endgültigen Sieg bevorstand.
Ein Blauer und ein Roter stan-
den angefaßt in der Mitte der Arena.
Der Blaue war Kurt v. Glewitz.
Als das Zeichen erklang, stürmte
er, geschwind wie ein von der Sehne
geschnellter Pfeil, quer durch die Arena auf das
Pferd zu, das er in den letzten Minuten nicht aus
den Augen gelassen hatte. Er hatte es fast er-
reicht, da warf sich der Rote, mit verblüffender
Sicherheit den Punkt voraussehend, über den der
Gegns'- kommen mußte, in den Sand, dem Anstür-

peter kkosegger, rum 70. öeburtstag. (5. 592)
Nach einer Photographie von p. j. Söhm, hosphotograph in Mürrruschlag.


LXVII. 1913.
 
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