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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1890

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Heft 5/6
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Riehl, Berthold: Skizze der Geschichte der mittelalterlichen Plastik im bayerischen Stammlande: Vortrag, gehalten im bayer. Kunstgewerbe-Verein am 25. Februar 1890
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https://doi.org/10.11588/diglit.6755#0039
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6\

eines Doktors vom Jahre 1^0 mit dem vorzüglichen,
genreartig aufgefaßten Portrait des verstorbenen an der
Pfarrkirche zu Landsberg, womit wir allerdings einen Ort
auf bayerischen! Gebiete betreten, in dem der Ginfluß
Schwabens schon maßgebend den Kunstcharakter bedingt.
(Abb. ^0.) Mie auch im späten f6. und im beginnenden
\7. Jahrhundert die Münchener Grabplastik noch sehr
wesentlich unter inittelalterlichem
Einfluß steht, bezeugen die Grab-
steine des lZflO gestorbenen Hans
Wöchner Dicht! von Dutzing, des
den \2. Dezember \607 gestor-
benen Ludwig Dychtl von Dutzing,
beide in Gauting bestattet oder
der des anr 27. April f60q. ge-
storbenen Hans Lung von
planegg in Steinkirchen bei
planegg.

Die volksthümliche und cha-
rakteristische Kunst der Münchner
aber ist die Holzskulptur, die
Bildschnitzerei. Aeltere Werke
sind schon aus den Gründen,
die sich allerorts wiederholen,
höchst selten; ich erwähne davon
nur das Interessanteste, den sal-
vator mundi um t^OO in der
Pfarrkirche zu pullach. Der
Mangel älterer Kunstwerke wird
hier aber dadurch noch besonders
begründet, daß München erst
seit der Ausstattung der Frauen-
kirche, deren Bau ffie>8 bis f^88
fällt, eine plastische Thätigkeit
entwickelte, die es befähigte, Ein-
fluß auf seine Umgebung zu
üben und das Kunstzentrum zu-
nächst eines kleinen, dann aber
eines rasch und stetig zunehmen-
den Kreises zu werden. Eine
richtige Würdigung der kunst-
historischenBedeutungMünchens,
eine höchst dankbare Aufgabe für
den Lokalforscher, ist daher nur
möglich im Zusammenhang mit
denr eingehendsten Studiunr der
Kunst der weiteren Umgebung
Münchens, weil diese all ihre
besseren Werke, wie sich dies ganz
sicher Nachweisen läßt, aus der
Hauptstadt erhielt. Dies zeigt sich
schon sehr klar, wenn wir den maßgebenden Aufschwung
der Münchner Kunst am Ende des ^5. Jahrhunderts studiren.
In München selbst hat sich nur wenig von den einst äußerst
zahlreichen Kunstwerken jener Zeit erhalten, selbst die Frauen-
kirche, der Ausgangspunkt der ganzen Bewegung, besitzt in
Folge der späteren Aendcrungen und Restaurationen nur
mehr höchst spärliche Reste ihrer ursprünglichen, zweifellos
sehr bedeutenden Ausstattung; wie herrliches hier selbst bei
der letzten Restauration in pietätlosester weise entfernt wurde,

Maria, lsolzstat
Lude des *5

davon zeugen die tiefempfundenen, lebensgroßen Holzfiguren
des Johannes und der Maria von einer Kreuzigung, jetzt
iin bayerischen National-Museum aufgestellt, welche gerade-
zu als perlen der Münchner Plastik dieser Zeit bezeichnet
werden müssen. In der Umgebung Münchens dagegen
und zwar in beträchtlicher Ausdehnung hat sich besonders
in bescheidenen Landkirchen so Vieles erhalten, daß dadurch

sicher gestellt, daß die Münchner-
Holzplastik voin Ende des jö.
und Beginn des Jahrhunderts
einen ganz hervorragenden Platz
unter den deutschen Bildhauer-
schulen jener Zeit verdient. Am
das Gesagte zu belegen, nröge es
gestattet sein, beispielsweise nur
einige Kunstschätze von in näch-
ster Nähe Münchens gelegenen
Kirchen zu erwähnen.

In der Kirche zu Rammers-
dorf bei München ist auf der
Nordseite ein prächtiger Altar
von j^83 ausgestellt, dessen
Mittelschrein die Kreuzigung
darstellt; der Norgang ist ori-
ginell und lebendig erzählt, auf
den Flügeln finden sich vier
Passionsszenen in Relief. Iin
Allgemeinen sind Gruppen und
Reliefs in der Münchner Schule
seltener, ihr Schwerpunkt ruht
entschieden in der Einzelfigur,
besonders sind dramatische Dar-
stellungen nicht häufig, die inter-
essanteste derselben ist das Mar-
tyrium des hl. Achatius aus dem
Beginn des f6. Jahrhunderts in
Siegertsbrunn; das dramatische
Leben, die freie Bewegung, die
energische Handlung, das reiche
Erzählen waren nicht die starke
Seite der Schule, die hierin in:
schärfsten Gegensatz zur fränk-
ischen, verwandt dagegen der
schwäbischen erscheint. Diebesten
Reliefs und Gruppen sind daher
die, welche ruhige Situationen
behandeln, wie die trefflichen
Reliefs aus dem Leben Mariä
voin Ende des f5. Jahrhunderts
uein Ampermoching. . 6er Nrche zu Neuhausen

oder die vier gleichen Gegen-
standes und gleicher Zeit aus der Schloßkirche zu Grünwald
inr bayerischen National-Museum. Das vollendetste Werk der
Art ist das Pfingstfest von: Ende des f3. Jahrhunderts in
Leutstetten, in dem Maria innige Auffassung und hervor-
ragenden Schönheitssinn, die Apostel mannigfache Tharakter-
istik und tiefes Empfinden zeigen, das sich hier bis zu dra-
matischem Leben steigert. (Abb. !3.)

Die Thätigkeit in der Reliefplastik war nach dem Er-
haltenen eine beschränkte in der Münchner Schule; über-

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Zeitschrift des baycr. Aunftgewerbe-Vcreins München.

Heft 5 Sc 6 (Bg. 2 ) *890.
 
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