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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1890

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Heft 7/8
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Diner, Joseph: Die Sammlung Spitzer
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https://doi.org/10.11588/diglit.6755#0044
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lichen Alterthümer" zu finden ist. Und dennoch spielen
die Elfenbeinarbeiten nicht nur eine sehr bedeutende Rolle
in der Kunst des Mittelalters, sondern für unsere Kenntnisse
der Kunst jener Zeit sogar die prädominirende Rolle. Ohne
die uns erhalten gebliebenen Elsenbeinarbeiten wäre die
gestimmte skulpturelle Kunst von Byzanz und dem ost-
römischen Reiche, sowie jene des Westens bis zum \2. Jahr-
hunderte nur ein Feld der vagen Vermuthungen geblieben.

In: oströinischen Reiche begann sofort nach dem Sturze
des ikonoklastischen Regimes im Jahre 8^2 ein neuer Auf-
schwung der Künste und besonders der skulpturellen. Die

Buchdeckel.

Llfenbeincirbeit. Byzantinisch. Anfang des Jahrhunderts,
^öhe 0,^70 m. Breite 0,^30 m.

nun folgenden Kaiser Michael III. und Basilius ließen
bald die während der vorhergegangenen \25 Jahre in
allen Kirchen vernichteten Heiligenbilder wieder Herstellen.
Wenn auch von nun an, aus einer gewissen Scheu vor den
vielen noch existirenden Jkonoklasten, die griechische Kirche
die große Skulptur aus ihrem Kreise ausschloß, so be-
günstigte sie desto mehr die kleineren skulpturellen Arbeiten
in Elfenbein. Unter diesem Impulse begann nun für diese
Kunsttechnik eine Zeit der höchsten Blüthe, die am Ende des
f0. Jahrhunderts ihren Höhepunkt erreichte. Die Arbeiten
dieser Zeit sind durchdrungen von dein Einflüsse der Antike.
Ich will hier nur erwähnen die der Sammlung Spitzer
angehörigen zwei Elfenbcinarbeiten Nr. ^ und Nr. 6 des
Kataloges. Dieselben zeigen einen beinahe römischen Styl.
Alle Arbeiten dieser Zeit zeigen uns ein ernsthaftes Studium
der Natur. In ihrer Komposition und dem Beiwerk ent-
halten sie stets eine Fülle antiker Motive, und dabei sind
sie technisch auf das Sorgfältigste durchgeführt. Im \\. Jahr-
hundert aber können wir schon einen Niedergang Nachweisen.
Wohl fin5 die Arbeiten jener Zeit noch immer von einer

technisch höchst feinen Ausführung, aber in der Behandlung
des menschlichen Körpers beginnt sich schon jener Typus
zu zeigen, der dann, vom fp Jahrhunderte angefangen, als
der Byzantinische bekannt ist und sich in den griechisch-
orthodoxen Heiligenbildern bis auf die heutige Zeit erhalten
hat. Man beginnt nämlich allmälig die Proportionen des
Körpers zu verlängern, besonders jene der Hände und Füße,
welche unverhältnißmäßig mager dargestellt werden. Bei
alledem bleibt aber die Darstellung der Bewegungen sowie
des Gesichtes noch eine ganz individuelle, naturalistische.
Ein gutes Beispiel bietet hierfür das von uns reproduzirte
Relief (Nr. P. Es ist ein Buchdeckel aus Elfenbein mit
der Darstellung der Kreuzesabnahme. Joseph von Ari-
mathia fängt den Körper des Heilandes in feine Arme
auf, während Nikodemus noch damit beschäftigt ist, den
Nagel, mit welchen: der Fuß Ehristi noch an das Suppe-
daneum befestigt ist, mittelst Stemmeisen und Kammer
herauszuziehen. Links steht die Jungfrau und hat mit
Heiden fänden die Rechte Ehristi erfaßt und beugt sich
über dieselbe wie um sie zu küssen. Rechts im Hintergründe
steht in einer mehr neugierigen als theilnehmenden Pose
der heilige Johannes mit einem Buche in der Linken.
Lhristus ist bärtig und mit langen Haaren dargestellt und
trägt einen kurzen, von: Gürtel bis zum Knie reichenden
Rock, während alle Anderen langgewandet sind mit Alante!
und Tunica. Das Kreuz ist von einem Titulus überragt.
(Oberhalb der Kreuzesarme lesen wir die Inschrift: IE — XC
(Ir^aoug Xpiatög). (Oberhalb der Jungfrau steht die In-
schrift: MP ©I (MfjX7)p 0eoö), oberhalb des Johannes: O*)
IWANNHC (8 äfioQ Iwavvr^). Die Szene spielt sich Unter
einer von zwei Säulen getragenen Kuppel ab. Säulen
sowohl als Kuppel find in durchbrochener Arbeit dargestellt.
Diese Art der Architektur, welche wir in den byzantinischen
Arbeiten seit dein f-f. Jahrhunderte so sehr häufig finden,
muß auf jene ganz originale Dekorationsweife zurückgeführt
werden, welche die byzantinischen Architekten des 6. und
7. Jahrhunderts einführten, und für welche die Architekten
der Hagia Sophia so schöne Alodelle schufen,**) Sie ent-
nehmen nämlich ihre Grnamentationsmotive fast durch-
gehends der Pflanzenwelt, ohne Berücksichtigung des antiken
stylisirten (Ornamentes, rnid bei Uebergang in die Kleinkunst
wurde dieses Ornament fast stets durchbrochen gearbeitet.***)
Die Szene selbst erinnert in ihrer Kornposition, sowie
in den Bewegungen der einzelnen Personen, wie auch in
der präzisen Ausführung noch an die guten Arbeiten des
(0. Jahrhunderts, aber wir können doch hier schon die
früher erwähnte Verlängerung der Körper wahrnehmen.
Besonders bei der Jungfrau und den außerordentlich hageren
und mageren Füßen des Heilandes, weßhalb ich auch ent-
gegen dem Kataloge Spitzer, welcher diese Arbeit dem
Uebergange aus dem fl. zum f0. Jahrhundert zuschreibt,
hierin eine Arbeit des p. Jahrhunderts erkennen muß.

*) Innerhalb dieses O befindet sich ein a.

**) Cf. Salzenberg. Altchristliche Baudenkmals von Aonstantinopel.

***) Cf. Ein gutes Beispiel hiefür ist die schöne Elfenbein-Evangelien-
decke in der Pariser Nationalbibliothck. (Taharle. Histoire des arts
industriels, Tome i, Planche IV) und der Dyxtichonstiigel mit der Dar-
stellung eines Engels, im British Museum. (Labarte a. a. ®. Tome i,
Planche III.)

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