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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1890

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Heft 7/8
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Mayr von Gg: Das Kunstgewerbe und das tägliche Leben: Vortrag, gehalten im bayer. Kunstgewerbe-Verein am 4. März
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https://doi.org/10.11588/diglit.6755#0051
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(2 y4 %)• Die Maschine verhält sich nach ihrem Endzweck, und
man möchte sagen selbst da, wo dieser es nicht nöthig erscheinen
ließe, aus einem gewissen Korpsgeist grundsätzlich feindselig
gegen kunstgewerbliche Anwandlungen; nur da, wo die
Maschine ein Zimmergeräthe wird, insbesondere bei der
Nähmaschine, werden bescheidene Konzessionen versucht.

Auch der Magenbau hat im Ganzen mehr technische
Zweckmäßigkeit, vielleicht mit Mahrung einer gewissen
Eleganz, aber nur in seltenen Fällen mit eigentlicher kunst-
gewerblicher Authat als Aufgabe. Reichlicher wird wohl
kunstgewerbliches Schaffen bei den f78ß Büchsenmachereien
und ^,886 Nhrmachereien des Deutschen Reichs vertreten
sein. Die mathematischen, physikalischen, chemischen und
chirurgischen Instrumente lehnen das Kunstgewerbe ab, die
Musikinstrumente gestatten einigermaßen dessen, jedoch nur
in seltenen Fällen befriedigende Einwirkung. Ausgiebigeres
Feld kunstgewerblicher Thätigkeit — wenn auch weniger
der handwerksmäßigen als der fabrikatorischen und darum
nicht immer auf der vollen Höhe künstlerischen Strebens
stehenden — ist bei den f 67 Betriebsstätten für Fabrikation
von Lampen und sonstigen Beleuchtungsapparaten gegeben.

Gewaltige Mengen von Betriebsstätten und Arbeitern
liefert die Textilindustrie, auch wenn die oben ausge-
schiedene Spinnerei unberücksichtigt bleibt, da dann immernoch
fO Prozent des gesummten gewerblichen Personals auf
Meberei, Druckerei u. s. w. treffen. Das Pereingreifen des
maschinellen Großbetriebs gibt übrigens dem kunstgewerb-
lichen Zug in der Textilindustrie in der Hauptsache ein
eigenartiges Gepräge. Nur in der Stickerei kommt Er-
findungsgabe und Geschick des Einzelnen noch einigermaßen
in derselben Meise wie sonst ein Kunsthandwerk zur Geltung.
Bei der Fabrik-Meberei und Druckerei ist das Kunstgewerbe
sehr unter die Zucht der Mode genommen; es kommt nicht
darauf an, daß der Zeichner der berühmtesten Fabriken
gerade das kunstgewerblich Schönste erfinde, sondern daraus,
daß er vor Allem das finde, was dem wechselnden Ge-
schniack der Tonangebenden auf dem Gebiete der Mode
entspricht, und daß er das so gefundene in vollendeter
Technik zur Darstellung bringe. Zieht feine Zeichnung, so
wird ihm eine ästhetische Sünde gerne verziehen. Unr ein
Bild der Massenproduktion im Gebiete der Textilindustrie
zu geben, erwähne ich, daß die Gewerbestatistik verzeichnet:
255,336 Betriebsstätten für Meberei, ^7,5 f 7 für Strickerei
und Mirkerei, 29,5 fO für Häckelei, Stickerei und Spitzen-
fabrikation, f7,6f7 für Bleicherei, Färberei, Druckerei u.f. w.,
f6,8f6 für Posamentenfabrikation. Bon der Papier- und
Lederindustrie intereffiren uns als Sitz kunstgewerblichen
Strebens \5,2\5 Buchbindereien und Aartonnagefabriken
und 38,000 Riemer, Sattler- und Tapezierbetriebe.

Die Industrie der Holz-und Schnitzstoffe nimmt
6'/-°/° des gewerblichen Personals in Anspruch, darunter ist
Manches, was vom Kunstgewerbe weit absteht, so die Holz-
zurichtung und Konservirung, die Holzdrahtfabrikation, auch
die Fabrikation grober Holzwaaren und einigermaßen auch der
Korbmacherei und Bötticherei. Auch sonst wird in vielen
der hieher gehörigen Betriebe trotz allen Zeichen- und Fach-
unterrichts der kunstgewerbliche Hauch oft recht mäßig sein;
dafür zählen auch die besten Kräfte mit bei den (25,926
Tischlereien (mit Einschluß der parquetfabrikation) und
den 22,72ß Drechslereien und Schnitzereien.

Bon der gesammten Bekleidungsindustrie gilt das
in erhöhtem Maße, was über die Textilindustrie gesagt worden
ist; die Modeneuheit geht hier der individuellen kunstgewerb-
lichen Leistung vor.

Eine eigenthümliche Stellung nimmt auch das Bau-
gewerbe ein. Zm Bauwesen gelangt vor Allem der
künstlerische Zug einer Zeit und in den Einzelheiten des-
selben das kunstgewerbliche Können derselben zum Ausdruck.
Die Meister dieses kunstgewerblichen Könnens stehen aber
nicht in der Statistik der Bauindustrie verzeichnet, sondern
vertheilen sich auf die verschiedenen die bauliche Bollendung
und Ausstattung der Prunk- und Mohnräume besorgenden
Gewerbe. So kommt es, daß in der Gewerbestatistik bei
der Gruppe des Baugewerbes abgesehen von Bauunter-
nehmern und Architekten, die mit 655 f bzw. 6275 ver-
zeichnet sind, und weiter abgesehen von H7H Stuckateuren
und 32626 Stubenmalern, Staffirern und Anstreichern in
der Hauptsache nur rein technische Hilfsgewerbe, insbesondere
Maurerei, Zimmerei, Glaserei, Dachdeckerei genannt sind.

Bon den polygraphischen Gewerben tragen ein-
zelne entschieden den Tharakter des Kunstgewerbes. Zch
nenne in erster Linie die fßO Kupfer- und Stahldruckereien,
ihnen zunächst 2563 Stein- und Zinkdruckereien und ^02
Farbendruckereien. Ist darunter auch manche kunstlose
Technik, so überwiegt doch das Kunstgewerbe, während
das Gegentheil bei den 35^7 in der Gewerbestatistik ver-
zeichneten Buchdruckereien der Fall ist.

Es erübrigt nur mehr ein Blick auf die am Eingang
dieser statistischen Betrachtung erwähnten „Künstlerischen
Gewerbe" deren symptomatische Bedeutung für das Malten
kunstgewerblicher Bestrebungen oben hervorgehoben worden ist.

Bon solchen Betrieben sind für das Reich im Ganzen
8669 verzeichnet, 8052 Hauptbetriebe, 637 Nebenbetriebe
mit (6f6f in den Hauptbetrieben beschäftigten Personen
((555f männl., 8(0 weibl.). Bon den 8669 Betrieben
treffen auf Preußen ^(98, also nicht ganz die Hälfte,
während in der Bolkszahl Preußen fast zwei Drittel der
Reichsbevölkerung umfaßt. Bayern hat (qF6 oder (7 Pro-
zent dieser Betriebe, während es ( f Prozent der Reichs-
bevölkerung ausmacht. Bon den ('f'fö bayerischen Betrieben
treffen 92<f auf München allein. Berhältnißmäßig stark
betheiligt sind auch Sachsen mit 985 und Baden mit 'ff9
Betrieben, sodann Hamburg mit 3f0 Betrieben. Freilich
darf nicht verschwiegen werden, daß eine Bürgschaft dafür
nicht vorliegt, daß überall bei der Ermittlung und Einrcch-
nung der in die Gruppe der künstlerischen Gewerbe ver-
wiesenen Betriebe auch wirklich nach gleichen Grundsätzen
verfahren worden ist.

Die bisherige gewerbestatistische Uebersicht, für welche
ich Zhre Nachsicht ganz besonders erbitten möchte, hat zwar
auf der einen Seite erwiesen, daß es nicht möglich ist in
bestimmten Ziffern die Anzahl der Gewerbebetriebe anzu-
geben, welche ausdrücklich unter das Kunstgewerbe zu rechnen
find, auf der anderen Seite aber hat sie doch bei den wichtig-
sten der einzelnen Gewerbe die zur Verwirklichung kunst-
gewerblichen Schaffens besonders berufen sind, gezeigt, wie
umfassend die Zahl derjenigen ist, welche mehr und mehr
für kunstgewerbliche Veredlung ihrer Produkte gewonnen
werden können. Vorbedingung aber solcher Blüthe des
Kunstgewerbes ist dessen rückhaltlose Anerkennung in unserem

V

Zeitschrift des bayer. Aunftgewerbe-Vereins München.

Heft 7 & 8 (Bg. 2.) \890.
 
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