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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1890

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Heft 7/8
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Mayr von Gg: Das Kunstgewerbe und das tägliche Leben: Vortrag, gehalten im bayer. Kunstgewerbe-Verein am 4. März
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https://doi.org/10.11588/diglit.6755#0053
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eine andere sozialpolitisch bedeutsaine Ermahnung, der ich
größeren Nachdruck wünschte, als ich ihn hier zu geben
vermag.

Eine Schattenseite unserer heutigen Rechts- und Mirth-
schaftsentwicklung liegt in den gewaltigen Gegensätzen zwischen
arm und reich. Man braucht nicht Sozialdemokrat zu sein,
um anzuerkennen, daß die übermäßige Anhäufung von
Reichthum in den fänden von wenig Bevorzugten un-
erwünscht ist. Man täuscht sich, wenn man mit der älteren
nationalökonomischen Schule glaubt, jede solche weitere An-
häufung von Reichthum sei ein nationalwirthschaftlicher
Bortheil. Mögen darum die reichen Leute sich bewußt
bleiben, daß sie nicht ins Unendliche Reichthun: auf Reich-
thum häufen sollen, sondern daß für sie etwas eine moralische
Pflicht wird, was umgekehrt für den wenig Besitzenden
ein moralischer Fehler wäre, die Pflicht nämlich nicht zu
viel zu sparen! Der Nutzen der Sparsamkeit ist über-
haupt kein so allgemeiner, wie man früher wohl immer
glaubte. Es muß sehr unterschieden werden, von wem
und wie gespart wird. Für die sehr reichen Leute aber
kann Sparen in: gewöhnlichen bürgerlichen Sinn geradezu
zun: Verbrechen an der Gesellschaft werden. Es gibt für
folche Kreise eine gewisse ehrenvolle Verschwendung, welche
für sie sozialpolitische Pflicht ist. Der reiche Mann ist
darum der berufene Freund des Kunstgewerbes; wendet
er diesen: Erhebliches von den Ueberschüffen seiner Ein-
nahmen zu, so wird er Mohlthäter der rein gewerblichen
Hilfskräfte, denen er Lohn verschafft, und der idealen künst-
lerischen Kräfte, welche in: gern gewährten Entgelt eines
für künstlerisch vollendete Gewerbsprodukte begeisterten
Mäzenatenthums eine wichtige Beihilfe zur Verwirklichung
des dem Genie angeborenen künstlerischen Dranges finden.

Eine besondere Betrachtung erheischt schließlich das
Verhalten des öffentlichen Paushalts zum Kunstgewerbe.
Daß das öffentliche Bauwesen nicht bloß bei den unmittelbar
idealen Zwecken gewidnreten Bauwerken, sondern überhaupt
der ausgiebigen Beeinflussung durch die Kunst uicht entbehren
sollte, hat inehr und mehr Anerkennung gefunden. Selbst
Kaserncnbauten wagt inan liicht mehr ganz in: reinen
Kasernenstyl zu bauen. Freilich bleibt über das Maß
des Einflusses, welches den Anforderungen der Kunst ein-
zuräumen ist, insbesondere auch soweit die Mahl des Bau-
materials in Betracht konniit, iiisbesondere wenn es an die
Frage geht, was nun die Kunst kosten darf? — noch weites
Feld für bureaukratischen und parlamentarischen Streit.

Von den Beziehungen der hohen Kunst zu dem öffent-
licheil Bauwesen aber wollte ich überhaupt nicht reden,
sondern von jenen des Kunstgewerbes zu dem gesammten
öffentlichen paushalt. Greifen wir die Frage in dieser
Umgrenzung auf, so werden Sie mir gerne zugeben, daß
hier noch viel zu thun ist. Ich denke dabei namentlich an
die Ausstattung der Diensträume aller Art n:it den für die
Zwecke des Dienstes erforderlichen Gebrauchsgegenständen
sowie aii die kunstgewerbliche Ausschmückung der Räume selbst.

Zn: Allgemeinen haben die staatlichen Diensteszweige,
welche erst in der Neuzeit aufgekommen sind, oder doch
einen ganz ungewöhnlichen Aufschwung genommen habe::
— ich denke an das Eisenbahn- und Postwesen — etwas
mehr Sinn für kunstgewerbliche Ausstattung gezeigt als die
althergebrachten Diensteszweige. Mas in Diensträumen der
Justiz und Verwaltung an geradezu unglaublich unkunst-
gewerblicher Ausstattung geleistet werden kann, läßt ein
Gang durch eine Reihe Münchener Bureaux — die
Zentralstellen nicht ausgenommen — leicht erkennen. Zch
bin weit davon entfernt eine Verschwendung öffentlicher
Gelder für ein Aebermaß kunstgewerblicher Bureauausstatt-
ung zu befürworten; cs läßt sich aber auch mit mäßigem
Aufwand der Anstand wahren und auf die Veredlung der
Geschmacksrichtung hinwirken. Es gibt wie dein: gebildetei:
Menschen in der Kleidung so für den Staat in der äußeren
Erscheinung feiner Diensträume eine Grenze, welche ohne
Verletzung des Anstandes — mag auch Manches dabei
gespart werden können — nicht überschritten werden darf.
Ein Kebermaß des Sparens kann hier gegenüber den großen
Summen, welche der Gesammtbetrag der Staatsveraus-
gabung darstellt, nicht anders bezeichnet werden, denn als
eine Koketterie mit der Sparsamkeit.

Namentlich, :neine ich, nnlßte in der Ausstattung der
Schul- und £jörfcile in Mittel- und Hochschulen viel inehr
als bisher geschehen, Pier bietet sich eine Gelegenheit zu
zwangloser Veredlung des Geschmackes der Heranwachsenden
Zugend, welche nicht versäumt werden sollte.

Ich bin nur wohl bewußt, mit meinen Ausführungen
nur einen kleineren Theil der Beziehungen zwischen dem
Kunstgewcrbe und dem täglichen Leben beleuchtet zu haben.
Es war mir dabei darun: zu thun, zunächst unter Zuhilfe-
nahme der Statistik — für deren Heranziehung ja immer
besondere Nachsicht zu erbitten ist — einen Einblick in die
gewaltigen Massen der Betriebe und Personen zu geben,
welche der gewerblichen Thätigkeit überhaupt angehören
und damit eine kleine Peerschau der Pauptzweige der Zn-
dustrie unter den: Gesichtspunkte ihrer kunstgewerblichen
Zugänglichkeit zu verbinden. An diese Streiflichter auf die
kunstgewerbliche Produktion habeich dann versucht solche
auf die kunstgewerbliche Konsuintion zu reihen und einige
von den Bedingungen zu erörtern, unter welchen dieselbe
sich vollzieht.

Zst schon der erste Theil meiner Betrachtungen lücken-
haft gewesen, so ist es der zweite gewiß noch mehr — doch
tröste ich n:ich n:it dem Gedanken, daß ich nicht die Auf-
gabe hatte, auf diese für unser ganzes Kunstgewerbe so
hochwichtigen Fragen eine erschöpfende Antwort zu geben,
daß ich vielmehr n:einer Pflicht und Zhren Münschcn ent-
sprechen dürfte, wenn ich einige Anregungen gegeben habe,
die zu weiterer Vertiefung und Ergänzung meiner Er-
örterungen in: Kreise unseres Vereines Anlaß bieten können.
 
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