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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0083

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II. Grössere Ausbreitung und Streben nach freier Entwickelang, von OL CO—SO. 79

Trotz dieser Mängel im Einzelnen behält jedoch das Ganze immer den vollen
Reiz, den ein gutes archaisches Relief auf uns auszuüben vermag. Diese Wir-
kung ist nach meiner Meinung zunächst erreicht durch die strenge Wahrung
des Reliefstyls. Der Künstler hat sich willig dem Gesetz unterworfen, welches
nicht erlaubt, Rundung der Formen auf Kosten der fest bestimmten Grund-
und Oberfläche zu erstreben. Wir gewinnen dadurch den Eindruck der Ruhe,
der in sich abgeschlossenen Einheit. Zweitens nimmt uns für das Werk die
Harmonie ein, welche sich in der Erfindung und der Ausführung offenbart.
Der Künstler hat sich allerdings von den conventionellen Forderungen seiner
Zeit gewisse Schranken ziehen lassen, sowohl in der Anlage des Ganzen, als
in der Bildung einzelner Theile, wie des Haares und der Gewandfalten. Aber
diese Schranken sind bei ihm nicht eine willkürlich angenommene Manier; ei-
lst vielmehr, man möchte sagen, innerhalb derselben geboren, und erstrebt
daher nur die Schönheit, die hier möglich ist, diese aber auch mit desto mehr
Liebe und Hingebung. Wir finden keine Spuren von Nachlässigkeit, aber eben
so wenig von Ziererei oder Prätension, und das Werk ist daher befriedigend
für jeden, der dem Künstler nachzuempfinden im Stande ist.

Sind dies aber nicht Vorzüge, welche alle guten archaischen Werke
mit einander gemein halten, welche wir namentlich auch den Statuen von
Aegina nicht absprechen dürfen? In vielen Beziehungen mag es der Fall
sein; jedoch glaube ich einen Unterschied gerade in einem Punkte zu bemerken.
Welcher dem Krieger des Aristokles einen Ersatz gewährt für die Naturwahrheit
der einzelnen Theile, die wir an den Aegineten hervorgehoben haben. In ihnen
finden wir nemlich einen gewissen Gegensatz gerade zwischen dieser Meister-
schaft im Einzelnen und der Conception der ganzen Figuren. Wir bemerken
ein Streben und Ringen, die Bewegungen frei von allen Fesseln, lebendig,
lebensvoll erscheinen zu lassen. Aber dass wir es bemerken, zeigt schon, dass
es nicht seinen vollen Erfolg gehabt hat. Die Bewegungen sind, wenn auch 111
nicht gezwungen, doch scharf und eckig, etwa wie die Bewegungen des sich
einübenden, nicht des vollkommen ausgebildeten Kämpfers. Von einer solchen
Herbigkeit und Härte in der Fügung der einzelnen Theile zeigen sich in dem
Relief des Aristokles verhältnissmässig nur geringe Spuren. Die Haltung ist
zwar streng, aber diese Strenge ist dem Gegenstande angemessen: es ist die
Haltung des Kriegers, die sich an bestimmte Regeln bindet. Einfach und natür-
lich hängt der rechte Arm herab, während der linke, scharf gebogen und ober-
Warts eng anliegend, mit kriegerischer Gemessenheit die Lanze, wie zur Parade,
heim Fuss hält.

Wir dürfen daher der Haltung unserer Figur eine gewisse Freiheit inner-
halb bestimmter Glänzen nicht absprechen. Zum grossen Theil beruht aber
dieselbe in der Feinheit der Composition, in der Art und Weise, wie der Künstler
seine Figur in einen für künstlerische Darstellung so wenig geeigneten Raum
hineingepasst und zu einem Ganzen abgeschlossen hat. Das Gewicht des Kör-
pers ist auf der breiteren Grundfläche des nach oben sich verengenden Raumes
gleichmässig vertheilt. Denken wir uns aber diesen Raum durch eine senk-
rechte Linie in zwei gleiche Hälften zerlegt, so finden wir auf der einen Seite
die grösseren, aber weniger thätigen, trägen Massen, auf der andern dagegen
 
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