Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0353

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
V. Die Kunst der Diadochenperiode bis zur Zerstörung Korinths.

349

über arme Menschenkinder, die durch sie die göttliche Gerechtigkeit erfahren;
durch das Ueberraschende, Wunderbare des ungleichen Kampfes und durch die
Schönheit der Anordnung wird das Grausen in Erstaunen, die Rührung in Be-
wunderung verwandelt, durch die Art der Ausführung die Derbheit des Stoffs,
durch vollendete Kunst die Kühnheit seiner Wahl überboten. In solchen Dar-
stellungen wird von der sinnlichen Erscheinung und der Kunst das sittliche
Denken und Empfinden und das menschliche Mitgefühl so sehr gedämpft, dass
sich dem Eindruck nach von ihnen eine Darstellung, wie die des nur halb
menschlichen Kentauren, der an grimmen Löwen den Tod seiner zerfleischten
Gattin rächt, in dem schönen Mosaik zu Berlin, nicht wesentlich unterscheidet."

Wir sind in den letzten Sätzen, wie von selbst, wieder auf den Laokoon
zurückgeführt worden; und in der That giebt es unter den uns erhaltenen
Werken griechischer Kunst kein einziges, welches so, wie die beiden eben be-
handelten , als der Ausfluss einer und derselben scharf ausgeprägten Geistes-
richtung erschiene. Fragen wir aber die Entwickelungsgeschichte der Kunst
anderer Völker, und ganz besonders der Griechen, so werden wir eingestehen
müssen, dass Werke, in so schlagender Weise verwandt, wie diese, niemals in
weit von einander liegenden Zeiträumen entstanden sind; und dieses Argument 500
ist in unserem Falle von einer um so grösseren Bedeutung, als die gemeinsame
Eigenthümlichkeit beider Werke gerade in der höchsten Anspannung aller Kräfte
besteht, über welche der Künstler zu gebieten vermag, auf einem solchen Höhe-
punkte aber noch weniger, als sonst irgendwo, ein längerer Stillstand nur denkbar
ist. Werden nun endlich gar beide Werke noch ausdrücklich auf ein gemein-
sames Vaterland zurückgeführt, so müssten in der That Beweise von der posi-
tivsten , schlagendsten Art beigebracht werden, wenn nur ein Zweifel an ihrer
Entstehung in einer und derselben Entwickelungsepoche der Kunst ausgesprochen
werden sollte.

Die übrigen Künstler dieser Periode.

Boethos wird in den uns erhaltenen Handschriften des Pausanias (V, 17, 4)
Karthager genannt, woran wir nicht umhin können Anstoss zu nehmen. Da
nun auch sonst KagfflöovtoQ und Xdkxtjddvioq in den Handschriften verwechselt
werden, so verdient gewiss die Vennuthung Müllers (Hdb. § 159, 1) mit Beifall
aufgenommen zu werden, dass Boethos vielmehr aus der bithynischen Stadt
Chalkedon stamme. Seine Zeit lässt sich nur annähernd bestimmen. Als sein
Werk nemlich erwähnt Cicero (in Verr. IV, 14) eine vorzügliche Hydria (prae-
claro opere et grandi pondere), welche Verres dem Pamphilos aus Lilybaeum
raubte; dieser selbst aber hatte Cicero erzählt, sie sei ein Familienerbstück und
ihm a patre et a maioribus hinterlassen. Hiernach konnte Boethos mindestens
nicht später, als in der ersten Hälfte des zweiten Jahrhunderts v. Chr. gelebt
haben. Grossen Ruhm erwarb er durch toreutische Werke, zu denen die oben
genannte Hydria gehört. Nach Plinius, welcher ihm nebst Akragas und Mys
nach Mentor die erste Stelle anweist, befanden sich derartige Arbeiten von
seiner Hand beim Tempel der Athene zu Lindos: 33, 155. Neben Alkon wird
er in dem pseudovirgilischen Gedichte Culex (v. 66) genannt. Von statuarischen
 
Annotationen