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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0089

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II. Grössere Ausbreitung und Streben nach freier Entwickelung, von Ol. 60—80. 85

Onatas, Ageladas. Aber leider vergeblich sehen wir uns nach einer Charak-
teristik ihres Wesens, nach einer Entwickelungsgeschichte ihrer Kunst um.
«Non constat sibi in hac parte Graecorum diligentia'' klagt Plinius bei den An-
fängen der Malerei; wir beklagen dasselbe hier bei der Geschichte der älteren
Sculptur. Namen von Künstlern, Anführungen von Werken, Stoff zu chrono-
logischen Erörterungen finden wir in hinlänglicher Fülle, nirgends aber die
feinen Winke, die oft in einem Worte uns Aufschluss über das innere, tiefere
Wesen eines Künstlers gewähren. Winke, wie wir sie in der Folge vielfältig,
ich darf wohl sagen, zu bewundern Gelegenheit haben werden. Sollen hier in
dieser frühen Zeit unsere Wünsche befriedigt werden, unsere vielfachen Fragen
ihre Erledigung finden, so dürfen wir unsere Hoffnung nicht auf die schrift-
lichen Ueberlieferungen, sondern nur auf die Werke selbst setzen, von denen
uns das Schicksal einen Theil noch erhalten hat, einen andern vielleicht noch
vorenthält, bis wir zur vollen Würdigung derselben reifer sein werden. Hier
also geht die Aufgabe der Kunstgeschichte über die Grenzen hinaus, welche
Wir uns für die Geschichte der Künstler gesteckt haben.

Die Resultate, welche sich aus den bisherigen Untersuchungen ziehen 119
lassen, sind sehr allgemeiner Art. Der Umfang der künstlerischen Thätigkeit
erweitert sich immer mehr, aber nicht regellos, sondern allmählig und in sehr
bestimmten Richtungen. Eine Hauptaufgabe bildet immer noch die Darstellung
der Götter. Unter den grossen olympischen Göttern ist keiner, den wir nicht
«in- oder einigemale unter den Werken dieser Periode gefunden; und wenn
"icht als ganz selbstständiges Tempelbild, so doch wenigstens in Vereinigung
mit andern als religiöses Weihgeschenk. Dagegen ist die Bildung der unter-
geordneten Götter und göttlichen Wesen noch sehr beschränkt und von dem,
was später üblich ward, durchaus verschieden. Die mannigfachen Gestalten
aus dem Kreise des Dionysos, des Poseidon und anderer Götter, die zwar auch
für sich allein eine Geltung haben, aber doch mehr ein Ausfluss aus dem Wesen
einer höheren Gottheit sind, die sich einem allgemeineren Begriffe, wie Zeit,
Schicksal, dem Wirken einer Naturkraft, Licht, Wasser, unterordnen lassen, sind
der bildenden Kunst, wenigstens der statuarischen, noch fremd. Nur ein kleiner
Kreis bildet eine Ausnahme: es sind die Chariten, Hören, Moeren und etwa
noch die Musen und Sirenen, also sämmtlich bestimmt abgeschlossene Frauen-
gruppen, die abgesehen von dieser äusserlichen Aehnlichkeit auch in ihrem
inneren Wesen manche Analogie verrathen. Ihre Geltung aber in dieser älteren
Zeit ist von der späteren Ausbildung weit verschieden. Die Chariten sind nicht
jene späteren Begleiterinnen der Aphrodite, wir finden sie auf den Händen des
delischen Apollo, im Tempel der Nemeses zu Smyrna, wie im Vorhof der Athene
von Erythrae; die Hören sind nicht die einfachen Göttinnen der verschiedenen
Jahreszeiten: sie stehen ebenfalls im Vorhof der Athene, im Tempel der Hera
zu Olympia. Die Sirenen erblicken wir auf der Hand der Hera; die Moeren
nur einmal mit den Hören, und die Hören mit den Musen auf dem Grabe des
Hyakinthos im Tempel zu Amyklae. Die Musen des Ageladas, Kanachos und
Aristokles erscheinen uns zwar selbstständig, allein wo, in welcher Verbindung
sie aufgestellt waren, wissen wir nicht. In allen übrigen Fällen sind diese
sümmtlichen Frauenvereine nicht um ihrer selbst willen da, sondern in engster
 
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