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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0398

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394 Die Bildhauer.

wirksam entgegenzuarbeiten. Dieses Streben kann allerdings durch die beson-
dere Natur der Aufgabe bedingt erscheinen; und ehe wir daher wagen, aus
demselben etwas über die allgemeine Geistesrichtung der Zeit oder der Schule
des Künstlers zu folgern, wird es nothwendig sein, die besondere Art der Durch-
führung noch bei anderen Werken der Attiker dieser Periode genauer zu unter-
suchen.

Unter ihnen nimmt die hervorragendste Stelle der vaticanische Herakles-
torso des Apollonios ein, ein Werk, welches durch die Bewunderung Michel-
angelo's und die begeisterte Lohrede Winckelmann's, man möchte sagen, eine
besondere Weihe empfangen hat, so dass es einer Verwahrung gegen den Vor-
wurf böswilliger Verkleinerungssucht zu bedürfen scheint, wenn ich es mir zur
Aufgabe machen muss, diese Bewunderung wesentlich herabzustimmen. Meine
Ueberzeugung habe ich schon in der Erörterung über das Wesen der Formen-
behandlung bei Phidias (S. 146) kurz ausgesprochen und auch hier werde ich
den Vergleich mit den Statuen aus dem Giebel des Parthenon nochmals auf-
nehmen müssen. Doch wird es vortheilbaft sein, zugleich auf ein anderes Werk
564 zurückzublicken, an welchem sich, freilich in einer wesentlich verschiedenen
Richtung, die Meisterschaft der Durchführung auf ihrer höchsten Stufe offenbarte,
nemlich auf den Laokoon. Ich habe bei seiner Beurtheilung der besonderen Art
der Technik eine Bedeutung beigelegt, über welche vielleicht Mancher noch
einen Zweifel hegen möchte. Die Vergleichung mit dem Torso kann in vieler
Beziehung zur Rechtfertigung dienen. An diesem Werke finden wir nirgends
etwas Gesuchtes; der Künstler hat sich vielmehr absichtlich bestrebt, uns gänzlich
zu verbergen, auf welche Weise er dem Marmor seine Form gegeben hat, und
die Spuren, welche das besondere Werkzeug zurücklässt, so viel als möglich
vertilgt. So werden wir nirgends durch die Technik von der Betrachtung der
Form abgezogen; aber eben so wenig vermissen wir sie irgendwo, da sie überall
dem Künstler geleistet hat, was er verlangte. Nach jener Deutlichkeit und
Uebersichtlicbkeit freilich, welche wir am Laokoon bemerkten, hat er offenbar
gar nicht gestrebt, vielleicht weil sie ihm kein so nothwendiges Erforderniss
schien, wo bei völliger Ruhe die Wechselwirkung zwischen den einzelnen Theilen
ohnehin gering sein musste. Aber auch der llissos und der sogenannte Theseus
aus dem Giebel des Parthenon sind im Moment völliger Ruhe, noch dazu liegend,
dargestellt; und doch giebt es wohl kein Werk, an welchem das Ineinander-
greifen aller Theile zu einem der höchsten Lebensentwickelung fähigen Orga-
nismus klarer zu Tage träte, als an diesen Werken, ohne dass zu dieser Dar-
stellung äussere Hülfsmittel von besonderer Art in Anspruch genommen wären.
Von diesen Werken unterscheidet sich aber der Torso in der Behandlung der
Formen eben so sehr, wie vom Laokoon. Die Anlage aller Formen ist gross,
durchaus von der Art, welche man gewöhnlich als ideal zu bezeichnen pflegt.
Alle Massen sind an der richtigen Stelle und in den richtigen Verhältnissen
angegeben; alles mehr zufällige Detail ist übergangen: am wenigsten zeigt sich
irgendwo Befangenheit und Aengstlichkeit hinsichtlich des Maasses dessen, was
für das Kunstwerk überhaupt Berücksichtigung verdiene. So steht das Werk
in seiner Anlage allerdings als der besten Zeiten würdig da. Geben wir aber
jetzt auf die Betrachtung der einzelnen Formen für sich über, so werden wir
 
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