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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0402

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308

Die Bildhauer.

die auch mit der Anmutli sehr wohl zu vereinbarende, hier noch besonders
durch den architektonischen Zweck gebotene Strenge und Präcision ein. Es
fehlt darum diesem Werke ein bestimmt ausgeprägter Charakter und damit das
höhere künstlerische Verdienst, wenn es auch, indem es sich in der allgemeinen
Anlage den Mustern der besseren Zeit anschliesst, den Zwecken einer gefälligen
Decoration noch vollständig genügt.

Ueber die stylistischen Eigenthümlichkeiten der Ausführung in den
Reliefs des Salpion, Kleomenes und Sosibios geben die Erklärer, indem sie
mehr den mythologischen Inhalt der Darstellung ins Auge fassen, keine oder
wenigstens für unsere Zwecke nicht genügende Rechenschaft; und bei dem
Mangel eigener Anschauung vermag ich diese Lücke nicht auszufüllen. Mehrere
andere Monumente, welche wenigstens in der äusseren Form ihnen nahe ver-
wandt scheinen und sicherlich einer ähnlichen Kunstrichtung angehören, zeichnen
sich vor der Masse selbst guter römischer Reliefs vortheilhaft aus, sowohl durch
die Reinheit der Anlage als durch die anspruchslose Tüchtigkeit der Ausfüh-
rung. Aber selbst die Besten unter ihnen können sich doch mit den Werken
der älteren athenischen Kunst weder in der Frische und dem feinen Gefühle
der Modellirung, noch in der strengen Wahrung des Reliefstyls messen, und
verrathen schon in der ganzen Behandlung, dass hier der Zweck einer anmu-
thigen und gefälligen Decorirung zu überwiegen beginnt.
570 Aus allen diesen einzelnen Bemerkungen wird sich jetzt ein allgemeines

Resultat leicht ziehen lassen: es gilt von dem formellen Theile der Kunstübung
dieser späteren Attiker dasselbe, was wir über ihr poetisch-künstlerisches Schaffen
bemerkt haben. Sie befinden sich durchaus in Abhängigkeit von den Leistungen
der früheren Zeit; und die ausgezeichnetsten unter ihnen sind noch gerade die-
jenigen, welche sich dieser Abhängigkeit klar bewusst geworden sind und frei-
willig darauf verzichtet haben, sich derselben zu entziehen. Was sie geleistet
haben, darf immer als eine vortreffliche Nachblüthe der schönsten Epoche atti-
scher Kunst gelten; und zu einer Zeit, als die Werke der letzteren noch nicht
bekannt waren, konnte sie mit vollem Rechte als ein Ersatz betrachtet werden,
um das Wesen der attischen Kunst wenigstens nach seinen Grundprincipien
und in seinen hauptsächlichsten Vorzügen kennen zu lernen. Die Anstrengungen
Einzelner, ihren Werken ein selbständigeres Verdienst zu verleihen, scheinen
auf die allgemeine Richtung dieser attischen Kunstschule ohne wesentlichen
Einiluss geblieben zu sein, ja haben nicht einmal in den einzelnen Fällen den
Erfolg gehabt, etwas eigentlich Neues und Eigenthümliches ans Licht zu fördern.
Sie gehen vielmehr nur darauf aus, in bestimmten schon vorhandenen Rich-
tungen die Leistungen der Früheren zu überbieten, das Zarte zarter, das Kräftige
kräftiger zu bilden, in der Durchführung allen Einzelnheiten dieselbe Sorgfalt
zu widmen u. s. w. Aber gerade diese Versuche zeigen häufig, wie nach und
nach das feinere Gefühl immer mehr schwindet und eine rein äusserliche und
materielle Auffassung um sich greift. Im zweiten Jahrhundert n. Gh. verlieren
wir jede Spur dieser Schule. Es ist möglich, dass sie noch länger ihr Dasein
gefristet hat; aber bei dem allgemeinen Verfall kann auch ihr Loos, selbst wenn
sie sich vor barocken Ausschweifungen bewahrte, doch nur ein stets wachsendes
Siechthum und endlich gänzliche Verflachung gewesen sein.
 
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