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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0418

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414

Die Bildhauer.

593 Wir nennen an erster Stelle die Kentauren des capitolinischen Museums von
Aristeas und Papias. Von diesen Statuen kommen auch sonst mehrfache Wieder-
holungen vor, so in Paris aus der horghesischen Sammlung, im Vatican, endlich
Fragmente von wenigstens zwei Exemplaren, die vor einigen Jahren hei Alhano
gefunden wurden. Der Werth der Ausführung ist sehr verschieden; aber die
Vergleichung lehrt, dass allen ein vorzügliches Original zu Grunde liegt. Der
Grundcharakter des Kentauren, des an ein rauhes Leben im Walde gewöhnten
Menschen, ist vortrefflich erfasst und in allen Formen festgehalten, während
zugleich doch auch die durch die Handlung gegebene Stimmung ihren be-
stimmten Ausdruck gefunden hat. Dem älteren von Beiden sind von einem
Eros oder bacchischen Dämon (welcher in dem pariser Exemplar erhalten ist)
die Hände auf den Rücken gebunden; er ist wehrlos gemacht, und seine sonstige
Wildheit erscheint zu schwermüthiger Trauer umgestimmt. Aber wie die Fessel
nicht hindert, in seinem Körper die volle natürliche Kraft zu erkennen, so schim-
mert auch durch die augenblickliche Melancholie die angeborene Wildheit überall
durch. Der jüngere jubelt und höhnt das Geschick seines Genossen, ohne zu
bedenken, dass Gleiches ihm selbst bevorsteht; und wir glauben schon in seinem
Jubel die Ungefügigkeit und Unbändigkeit zu erkennen, die sich seiner im
Gegensatz zu der schwermüthigen Resignation des älteren bemächtigen wird,
sobald das Geschick ihn ereilt. Ein so rein durchgebildeter Typus, eine so
fein in ihren Gegensätzen abgewogene und abgerundete Handlung ist sicherlich
nicht erst in der hadrianischen Zeit erfunden worden. Dagegen Hesse sich
wohl die Frage aufwerfen, ob Aristeas und Papias die Erfinder des Originals
oder nur die Yerfertiger der capitolinischen Copie waren. Für die letztere An-
nahme spricht zuerst, dass gerade aus dieser späteren Zeit noch einige andere
Künstler aus Aphrodisias bekannt sind. Sodann aber sind die capitolinischen
Statuen nicht Copien gewöhnlicher Art, sondern mit grosser Prätension aus-
geführt, welche die Namensaufschrift auch der Copisten erklärlich erscheinen
lässt. Sie wollten, wo möglich, in ihrer Nachbildung den Originalen noch neue
Schönheiten hinzufügen; oder es sollten, sofern dieselben in Bronze ausgeführt
waren, auch im Marmor alle die Vorzüge sichtbar werden, welche nur dem

594 ersten Stoffe eigentümlich sind. Die Künstler waren vorzügliche Techniker;
sie haben dem spröden und harten schwarzen Marmor eine Ausführung ab-
gewonnen (so namentlich in den losen Partien des Haupthaares), wie wir sie
sonst nur in Bronzewerken zu sehen gewohnt sind. Aber diese technische
Meisterschaft wurde auch die Klippe, an welcher sie scheiterten. Denn gerade
durch sie verräth sich der Mangel an allem feineren Gefühle und höherem
Kunstsinne. Die Muskeln werden durch die Schärfe der Durchführung wulstig
und liegen wie Polster über und neben einander. Die kurzen Haare auf der
Brust, die Andeutungen derselben am Pferdekörper, wo sie in zwei verschiedenen
Richtungen auf einander stossend sich gewissermassen brechen, mochten, in
Bronze durch feine Cisellirung angegeben, eine besondere Schönheit bilden:
hier erscheinen sie als trockene, harte Einschnitte in die Haut, welche einer
harmonischen Verarbeitung mehr hinderlich, als förderlich sind. So zeigen sich
Aristeas und Papias allerdings in einer Beziehung als Nachkommen der klein-
asiatischen Künstler: in dem Streben, ihre Meisterschaft zur Schau zu tragen;
 
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