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Curtius, Ernst
Gesammelte Abhandlungen (Band 2) — Berlin, 1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.33815#0179

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IV. Brunnen&guren.

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sprünglicli für einen solchen bestimmt war. Ich denhe mir
einen Skiavenjungen, der von einem Botengange über Land
heimkehrt und den Brunnen arn Thore benutzt, um sich den
Dorn auszuziehen und den Fufs zu waschen. Dafs zwei
IVasseröffnungen in dem Steine eingebohrt sind, hat nichts Be-
fremdliches.

Ich kann an dem Kunstwerhe nichts entdecken, was
den Charahter der hellenistischen Periode verriethe. Ich Rnde
hein Prunhen mit technischer Virtuosität, hein Suchen nach
Eff'eht, heinen Andug von Rhetorih, wie er schon bei dem
Apoll von Belvedere unverhennbar hervortritt. Schlicht und
einfach ist das Wesentliche dargestellt, die Energie des Willens
bei Durchführung einer schmerzhaften Operation. Da ist die
vollste Frische und Naivität, die volle Unbefangenheit und
Selbstvergessenheit, welche die Werhe der hlassischen Zeit
hennzeichnet. Die heche Originalität verbindet sich mit einer
gewissen Gewaltsamheit und echigen Härte der Bewegungen,
besonders in den Beinen; eine Eigenthümlichheit, welche mich
bei dem ersten Anblich an das distortum et elaboratum des
Myron erinnert hat. !Vir haben hier auch seine Liebhaberei
für starhe, fast übertriebene Biegungen des Körpers: man ver-
gleiche das Rüchgrat des spinario mit dem des Dishobolen.

Ich glaube, dafs Alles, was Furtwängler^) angeführt hat,
um die Erzstatue irn Conservatorenpalast der Schule Myrons
zuzueignen, nur auf den neuen spinario Anwendung hat. Es
ist jetzt nicht mehr möglich, von dem „frischen, vollen, hühnen
Leben" des Oapitoliners zu sprechen. Bei ihm ist im Vergleicli
mit jenem Alles abgeschwächt, ins Milde übertragen und ge-
glättet; die scharfen Umrisse sind in einen sanften Flufs der
Linien aufgelöst; es ist Alles zahm, elegant und zierlich. Ich
hann also in dieser Beziehung nur mit Kehule und Robert
übereinstimmen, welche die Erzstatue und ihre Nachbilder
der Schule des Pasiteles zuweisen. Ich erhenne aber in dem
neu gefundenen spinario das Urbild, und zwar ein Werh der
hlassischen Kunst, welches den Stempel myronischer Schule
trägt.

*) A. Furtwängler, Der Dornauszteher und der Enabe mit der Grans.
Berlin 1876.

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