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Deutsche Kunst.

Vögel in ihrem oberen Theil ist von besonders diskreter Farbengeltung und
wirkt zum Theil wie Stickerei. Erzeugnisse, die den Scherrebeck-Teppichen in
der Ausführung sehr ähnlich find, nur daß sie sich auf das streng stilisirte
Ornament beschränken und figürliche Darstellungen ausschließen, werden in
einem norwegischen, ülcläci benannten Verfahren hergestellt. Interessant ist
ein vlämisches Gewebe, dessen eigenartiges Muster im 15. Jahrhundert nach
Schweden verpflanzt und dort häufig, namentlich als Kirchendekoration an-
gewandt worden ist. Ls besteht nicht nur wie beim ckukaZLng aus geo-
metrischen Figuren, sondern giebt auch Darstellungen menschlicher Gestalten
zwischen naturalistisch behandelten Blumen. Die Dren8a-lio88u-weberei mit
ihrem reliefartigen Ornamente wird auch zur Herstellung sogenannter Smyrna-
teppiche in Deutschland längst als Hausindustrie geübt; die Ligenart der
ausgestellten Knüpfarbeiten besteht darin, daß nicht die ganze Fläche mit ge-
schorener wolle bedeckt ist, sondern nur das Muster sich in solcher vom Gobelin-
grund abhebt. Beben den originellen nordischen Mustern, die den Stamm
bilden, sind auch modern stilisirte Blumen, Mohnenstengel mit großen Blüthen,
vorhanden, die zumeist auf Bestellungen von Architekten für besondere Bauten
angefertigt sind und sich von anderen, gleichartigen Arbeiten durch ein
ruhiges, diskretes Kolorit und das geflissentliche vermeiden aller Effekthascherei
vorteilhaft unterscheidet. Der Glanz von Gold und Seide ist nirgends zu
einer trügerischen Lrhöhung der Wirkung angewandt; dem Wollmaterial ist
man durchaus treu geblieben und dadurch ist der Charakter der alten Webereien
gewahrt. Die Weichheit und matte Färbung der wolle macht in allen diesen
Teppichen einen vornehmen und ruhigen Eindruck, der geeignet ist, in einem
Raum durch eine wohlthuende Bekleidung seiner Begrenzung der Stimmung
heimischer Beschaulichkeit und traulicher Wärme den letzten und wichtigsten
Accent mit dem koloristisch gedämpften Lokalton zu geben. So wenig die Teppiche
der nordischen Kunstweberei nach der naturalistischen Richtung ausarten,
so wenig behalten sie in der Wiedergabe alter nordischer Muster die Primi-
tivität einer bäuerlichen Hausindustrie bei. Sie haben der Gesellschaft nur
die Motive gegeben, die sie mit stilistischer Korrektheit symmetrisch verwerthen.
Damit beweist sie, daß man nordisch und germanisch im Ornament sein kann,

ohne in den Kinderstubenstil einiger Scherrebeck - Teppiche zu verfallen,
aber auch einer zeitgemäßen Geschmackrichtung Rechnung tragen kann,
ohne stillos zu werden. Daß die Gobelins der nordischen Kunstwebereien
geeignet wären, einen schönen Industriezweig, als veredeltes Reis einer alten
Hausindustrie, zu popularistren, kann man ihnen bei ihrem hohen, der müh-
samen Herstellung entsprechenden Preise nicht nachsagen. Die Gesellschaft ist
aber auch bestrebt, in das Haus minder Bemittelter mit gewebten Stossen zu
Portieren, Handtüchern, Tischdecken und anderen Gebrauchsgegenständen einen
besseren Geschmack einzuführen. Diese billigen Arbeiten sind auf der Jacquard-
maschine angefertigt und nur hier und da mit Handarbeit versehen. Auch
auf ihnen sind alte nordische Muster aus Norwegen, Schweden und Finland,
aber auch spanische, italienische und slavische verwandt worden. Die Farben
der wolle sind waschecht und gehen auch bei mehrjährigem Gebrauche nicht
aus. Das eigenartige Unternehmen, durch das der Betrieb der Kunstweberei
nach Berlin verpflanzt ist und völlig geschäftsmäßig ausgebildet, ist bereits
reich entwickelt und hat nicht nur in ganz Deutschland, sondern auch in
Oesterreich-Ungarn, London und Paris Aufnahme und Anerkennung gefunden.
Noch vor nicht allzu langer Zeit ist es vorgekommen, daß in Familien alte,
ererbte Webereien von hohem werthe achtlos in die Rumpelkammer gelegt
wurden, um gedruckter Fabrikwaare Platz zu machen. Diese Fabrikwaare
hatte lange Zeit allenthalben die gediegene Handweberei verdrängt, so daß
sie arg darniederlag. In Deutschland war sie ganz erstickt, während sie in
Norwegen als bescheidene Hausindustrie noch kümmerlich vegetirte. Zu neuem
Leben erweckt, schafft sie endlich wieder einen künstlerischen Schmuck des
Heims durch eigenartige Verzierungen seiner textilen Bedarfsartikel. Das
Unternehmen der „Nordischen Kunstweberei" zielt dahin, sie wieder im deut-
schen Hause einzubürgern und durch gesunde Geschmacksbildung die textile
Produktivität zu erhöhen, um Tausenden junger Arbeiterinnen und Arbeitern
eine schöne Thätigkeit und mit ihr Anthcil am Kunstschaffen zu gewähren.
Hoffentlich entspricht den gesunden künstlerischen und wirthschaftlichen Grund-
sätzen des Unternehmens, dem sich die gleiche philanthropische Gesinnung nach-
sagen läßt, wie der Linsührung der Weberei in Scherrebeck, auch der Lrfolg.

Plakat-Ausstellungen.

ede Zeit hat die Kunst, die sie verdient, und wird von späteren Ge-
schlechtem nach ihrer Kunst immer richtig taxirt werden; denn die
>—s zeitweiligen Erscheinungen auf dem Gebiete der Kunst reflektiren nur
die Eigenthümlichkeiten ihrer Zeit, bilden die Physiognomie des Zeitgeistes,
dessen wechselndes Mienenspiel als Ausdruck seiner flüchtigen Launen und als
bleibendes Spiegelbild momentaner Regungen in Kunstwerken ftxirt ist. Nicht

die eigentliche hohe Kunst allein ist es, die die Gegenwart, das tm cie 8iecle
in sichtbarer Form charakterisirt, namentlich neue Abarten künstlerischer
Thätigkeit, die erst in unseren Tagen möglich geworden sind, werden der
Zukunft Mittel an die Hand geben, den Typus unserer Zeit zu rekonstruiren.
Ist schon die illustrirte Postkarte ein Zeichen der Zeit, so hat das Plakat
noch mehr Recht, als solches anerkannt zu werden. Einmal belehrt es

Eduard^Hildebrandt, Madeira.


darüber, daß wir aufgeräumt haben mit der alten
Theorie, die Kunst als Selbstzweck, daß die heutige
Kunst zum Unterschiede von der souveränen der Ver-
gangenheit nicht nur in ihren Darstellungen dem Ver-
ständniß und dem Empfinden Aller gerecht zu werden
sucht, sondern auch im Dienste recht praktischer Zwecke
in die Niederungen des Alltagslebens herabgestiegcn ist.
Die Kunst macht Reklame und die Reklame ist einer
der charakteristischsten Züge der Gegenwart, charakte-
ristisch für ihre Jagd nach Geld und Genuß, charakte-
ristisch für die Herrschaft des Krämersinns, für den
rastlosen Wettbewerb, ein untrügliches Zeichen für eine
Zeit, in der alles käuflich ist.
Der ephemere Charakter des Plakates mag es der
Mühe, die die Kunst auf die Gestaltung seines gefälligen
Aeußeren verwendet, nicht werth erscheinen lassen, immer-
hin; unsere Zeit ist kapriziös und verlangt immer nach
Neuem, auch in der hohen Kunst. Die aber erheischt der
Mühe noch mehr; laßt also die Künstler zeitgemäß sein
und ein buntes, farbenfreudiges Allerlei fliegender Lin-
tagsblätter entwerfen, um dem unaufhörlichen Ruf „Ein
ander Bild!" zu folgen und nebenbei auch Geld zu ver-
dienen. Das Plakat steht im Dienste des Geldes; das
spielt im Leben die wichtigste Rolle, die zweite aber
— die Frau. Ueberall heißt es „clrerclre-- la lamme".
Sie hat sich auch des Plakates bemächtigt und prangt
auf ihm in ihrem ganzen Wesen, gemischt aus mystischen
 
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