Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Beck, Paul [Hrsg.]; Hofele, Engelbert [Hrsg.]; Diözese Rottenburg [Hrsg.]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 22.1904

DOI Artikel:
Beck, Paul A.: Aberglaube in Oberschwaben: insbesondere im Oberamtsbezirk Waldsee?
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.18334#0128

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
— 120 —

ritätsbeweife haben bei ihm mehr Gewicht
als jene Vernnnftgründe, deren Verständnis
mehrfache Kenntnis voraussetzt. Anch er-
greift ihn nicht selten Mißtranen gegen
diejenigen, von welchen dergleichen Dinge
gelehrt oder ausgeführt werden. Diese
Anhänglichkeit an das Alte, das ängstliche
Festhalten an demselben, wenn es ent-
rissen werden will, die ungeschickte Ver-
teidigung desselben u. s. w. bnngen den
Landmaun leiät in den Verdacht des
Aberglaubens, ohne daß er aber-
gläubisch ist. Dem Landmann sällt es
gewöhnlich schwer, sich zu dem Abstrakten
zu erheben. . . . Mau hört daher sage»,
der Landmann habe dnnkle und seichte
Vorstellungen. Wie kann anch wahre
Tiefe der Gedanken, welche in vielen,
weitreichenden Bezieh»» gen die Organisa-
tion eines systematischen Ganzen vermitteln,
von dem gemeinen Volke gefordert werden?
Ist doch die Tiefe nichts Unmittelbares,
sondern wie tief ein Gedanke sei, beweist
erst seine Entwicklung. Es sollte deshalb
der Landmann wegen seiner manchmal
dnnklen Vorstellungen nicht gleich aber-
gläubisch genannt werden. Die von
Werkmeister n. a. herausgegebene „Jahr-
schrift für Theologie und Kircheinecht der
Katholiken" (Ulm, 1806, in der Wohler-
schen Buchhandlung), I.Teil: „Ueberden
vorgeblich n Unglanben des Volkes", nennt
ihn viel richtiger: „leichtgläubig und viel-
gläubig". — Der Landman» ist in Neli-
gionssacheu für das Aenßerliche, eben weil
es ihm schwer fällt, zu dem Abstrakten
uud Uebeisinnlichen sich zn eiheben. Re-
ligiöse Gegenstände interessieren ihn um-
somehr, je mehr seine Sinnlichkeit dabei
beschäftigt ist. Bei dieser Versiunlichung
übersinnlicher Gegenstände kommen aber
gern Mißverständnisse, verkehrte Auf-
fassungen vor. Man sagt deshalb, daß
der Landmann znm Aberglauben hin-
neige. Statt dieser Hinneigung wird ihm
gern, indes nicht mit Grnnd, der Aber-
glaube selbst zum Vorwurf gemacht,
ohne daß er in der Tat abergläubisch
ist. . . . Etwas Niederschlag von solchen
dunkeln Voistelluugeu findet sich fast
überall, mehr oder weiuger, unter dem
Volke, ohne daß man dasselbe deshalb
gleich a bergläub is ch nennen dari. Die-
selben haben auch nicht in der katholischen

Nelig'ou, welche sich vielmehr scharf gegen
deu Aberglauben abgrenzt — mau
müßte mir geradezu einzelne Lehren derselben
schon für Aberglauben ansehen, was auszu-
sprechen allerdings nicht gewagt worden ist
— sondern eher im Sagen- und Märchen-
wesen, im Einödesystem, in gewissen Zeitum-
ständen, in alten Kalendern, Prophezeiungen,
sogen. Hokuspokusbüchlem (Kolmanns-,
Nomanmbüchlein, Christophelesgebetenzc.),
vor welche» die Kirche nicht genng warnt,
ihren Grund. Sie finde» sich ebenso
nicht selten und nicht weniger i» pro-
testantischen Gegenden, worüber wir
uus hier nicht weiter verbreiten wollen.
Daß aber gerade im Oberamtsbezirk
Waldsee und sonst in O b er s ch >v a b e n
in deu eisten Jahrzehnten des 19. Jahr-
hunderts dies so arg gewesen uud, wie
die OberamtSbefchreibung klagt, hier
„finsterer Aberglaube" herrsche,
ist nach vorstehender Darlegnng uud
uach den gegebenen Ausführungen, wonach
die gerügten Segnungen und der
Exorzismus in der hier genannten Zeit
überhaupt uicht vorgekommen sind, übrigens
selbst daun, wenn dies der Fall gewesen
wäre, nach der Lehre der katholische»
Kirche kein Aberglaube wären, so-
wie nach de» Aussprüchen nnd Zeugnissen
von eiugesesseuen, ersahreuen, glaubwürdigen
nnd orts- uud lauteskuudigeu Leute» min-
destens stark übertrieben, war auch
bezeichnenderweise in de» nachfolgende n
OberamtSbeschreibnngen nicht mehr festzu-
halten, und mȧ man sich verwundert
fragen, wie Meinminger bezw. der
Hanptmitarbeiter, der damalige Oberamt-
mann Bilfinger i» Waldsee, zu einer
solchen — Charakteristik kommen
konnte, was umso auffallender erscheint,
als gerate das N e i ch s st i s t S ch u s s e u -
ried im 18. Jahrhundert, namentlich in
desseu zweiter Hälfte, im (allerdings wohl
etwas übeitriebeuen) Rufe der Auf-
klärung stand nnd hier also der Aber-
glaube keimn Nählbodeu gehabt haben
kann, welcher doch ans mindestens zwei
Generationen znrnck, noch zu Klosters-
zeiteu, hätte Fuß gefaßt habe» müssen,
wenn er i» de» erste» Jahrzehnte» des
19. Jahrhunderts »och vorhanden gewesen
sei» soll ? ! De»» meist sitzt der Aber-
glaube» ,.us tieferem Grnnde und kommt
 
Annotationen