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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0122

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erst zeigen solle, was er leisten könne, um danach zu be-
urtheilen, ob ihm eine großartige, der deutschen Kunst
würdige Aufgabe gestellt werden dürfe? Unbillig, weil
man von einem Künstler nicht verlangen kann, daß er
vielleicht mehre Jahre lang seine ganze Kraft und sein
Geld an die Ausführung einer größeren historischen
Arbeit setzen solle, um möglicherweise das Werk, an dem
sein Künstlerherzblut klebt, zur Ausschmückung seiner be-
scheidenen Wohnung zu verwenden. — Denn welcher
Privatmann hat, falls das Bild nicht einem Fürsten
gefällt, oder von einem städtischen Museum angekauft wird,
die Mittel oder auch die Räumlichkeiten, um dergleichen
Werke für sich erwerben und placiren zu können? Der
Künstler ist also gezwungen, sein nach dem Größten und
Erhabensten strebendes Talent in kleineren Kompositionen
zu zersplittern und zu erschöpfen; eine Sisyphusarbeit,
die seinen Muth zuletzt brechen und seine Lust am Schaf-
fen ersticken muß.

Zur Rechtfertigung der deutschen Kunst, die unserer
Ansicht Kräfte besitzt, welche des Höchsten fähig sind,
müssen wir darauf Hinweisen, daß die Historienmalerei in
Frankreich und Belgien, welche in den letzten Jahren
eine bedeutende Menge großer Werke geschaffen hat, in
der angedeuteten Rücksicht viel günstiger gestellt ist, als
die Kunst in unserem Vaterlande. Die dortigen Künstler
haben das Glück, nicht nur von den eignen Fürsten,
sondern auch von fremden Aufträge zu erhalten, an denen
sie zeigen können, was sie zu leisten im Stande sind.

Denn ohne direkte Betheiligung des Staats
kann die große Kunst nicht blühen.

Was würde wohl aus der Skulptur werden, was
aus der Monuinentalmalerci, was aus der Architektur,
wenn nicht der Staat die Mittel zu einer regelmäßigen
und geordneten Production auf diese» Gebieten darböte?
Warum soll die Historienmalerei allein das Stiefkind des
Staates sein, sic die größte, erhabenste und edelste aller
bildenden Künste, diejenige, in der sich die größte Tiefe
der Gedanken, der größte Reichthum an Ideen offenbart?
Freilich, die ebengenanntcn andern Künste haben den
Vorzug, daß sie praktisch verwendbarer sind, weil sie
zugleich zur öffentlichen Ausschmückung dienen. Aber
dürfen in diesen Gebieten, wo es sich um die höchsten
geistigen Interessen handelt, bloße Nützlichkeitsgründe maß-
gebend sein? Man wirft vielleicht ein, daß ein Historien-
bild auf sich selbst beruht, daß es ein in sich abgeschlossenes
Ganzes und deshalb unabhängig von lokalen Bedürfnissen
sei. Aber ist es unabhängig von nationalen Bedürf-
nissen? Liegt nicht etwas Großes und Erhabenes in dem
Gedanken, der Nation eine Vorstellung von ihrer eignen
Größe und Bedeutung dadurch zu geben, daß man ihr
die herrlichen Thaten ihrer Fürsten und Vorfahren in
einem Cyklus von großartigen Bildern vorführt, an denen
ihr Stolz geweckt und der Patriotismus gekräftigt wird?
Und welcher Ort wäre passender für die Aufstellung einer
solchen Bilderreihe als die Nationalgalerie, welche
wir jetzt durch die hochherzige Liberalität eines Privat-
mannes besitzen.

Landschaften und Genrebilder zu kaufen oder zu be-
stellen — und man weiß ja, wie das huldvolle Mitleid
der Fürsten in solchen Fällen oft für die privilegirte
Mittelmäßigkeit ausgebeutet wird — das ist auch der
Privatmann oder auch ein Kunstvereiu im Stande. Aber
die Historienmalerei in großartiger und umfassender
Weise zu fördern und zur möglichst hohen Entfaltung
zu bringen, das vermag nur der Staat. Freilich ver-
mag dies der Staat nur, wenn die Spitzen der für die
künstlerische Entwickelung eingesetzten Behörden die An-
gelegenheit in kräftiger Weise vertreten; wenn beispiels-
weise unsre Akademien, die doch mehr als bloße Lehr-
institute sein wollen, alljährlich auf diejenigen Künstler
aufmerksam machten, die solcher Aufträge seitens des
Staats würdig wären.

Es ist im Grunde nur die Frage, ob man die Kunst
überhaupt als ein in unserm modernen Staatsleben
wichtiges und wesentliches Moment anerkennt, oder als
einen überflüssigen Luxus; ob man ihr eine der Stellung
der Wissenschaft, ihrer Schwester, gleichberechtigte Existenz
einräumen wolle, oder nur ei» geduldetes Dasein. Wenn
das Erstere der Fall ist, und dies möchte wohl Niemand
bezweifeln, wohlan, so räume man ihr doch auch den
Anspruch auf eine Stellung ein, die sie von einzelnen
persönlichen Liebhabereien unabhängig macht, die sic in
dem Höchsten, was sie zu leisten im Staude ist, fördert
und trägt. Erkennt man die Kunst in ihrer sittlichen
und kulturgeschichtlichen Bedeutung an, gesteht man ihr
zu, daß sic nicht nur etwas Großes und Erhabenes,
sondern daß sie etwas für die allgemein-menschliche
Bildung Nothwendigcs sei: so habe mau auch die
ganze große Kunst vor Augen und organisire ihre
Production im weitesten Maaßstabe.

Die nummerisch geringen Resultate, welche die Kunst-
ausstellungen der Akademie im Gebiete der Historien-
malerei liefern, sind ein Fingerzeig, daß diese ganze
Sphäre der künstlerischen Production bei uns krank und
schwach ist. Aber nicht die Künstler sind daran Schuld,
noch weniger der Mangel a» Interesse im Volke dafür.
Man versuche es nur mit unfern Künstlern, man gebe
ihnen Gelegenheit, ihre Kräfte zu zeigen, und man wird
überrascht sein über den ungeahnten Reichthum au schöpfe-
rischer Kraft, den sie entfalten werden.

Möge daher — dies ist unsrer aufrichtiger Wunsch —
der lcbencrweckende Thau und der befruchtende Regen
recht bald und recht reichlich von den Stufen des Thro-
nes unsers erhabenen Monarchen auf die vaterländische
Historienmalerei herabträufeln: so wird schnell das frische
lebendige Grün einer Saat emporsprossen, deren Halme
später tausendfältige Früchte trage» werden. Denn nur
von Oben herab ist die natürliche Befruchtung der Kunst
möglich; alle Anstrengungen von Privaten oder von Ver-
einen bringen nur eine dürftige und künstliche Bewässerung
zu Wege, bei welcher entweder die einzelnen Tropfen im
Saude verinnen, oder höchstens auf kurze Zeit zerstreute
kleine Oasen Hervorrufen, welche die übrige Dürre nur
um so trostloser erscheinen lassen. M. Sr.
 
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