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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0186

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terlingen und Schmeißfliegen „zum Täuschen ähnlich" dar-
stellt. Ob sonst ein Inhalt, ein Gedanke oder auch nur eine
Beziehung auf einen solchen darin ist, ist völlig indifferent
und manchmal selbst störend. — Bei diesem Geschmack des
Publikums ist es in der That höchst anerkenneuswerth, daß
die englische Kunst sich noch immer auf einer gewissen Höhe
erhalten und namentlich in der landschaftlichen Aquarellistik
so Ausgezeichnetes, ja Ausgezeichneteres als die Kunst
irgend einer anderen Nation geleistet hat.

Doch ich habe es für den Augenblick weder mit dem
englischen Publikum noch mit der englischen Kunst zu thnn,
überhaupt nicht viel, hoffe ich, sondern ich wollte Ihnen
zunächst den Grund angeben, warum ich trotz Ihres Drän-
gens erst jetzt meinen Bericht beginne. Es hat nämlich
bisher ein solch' wüstes Treiben in den verschiedenen Ab-
theilungen der Ausstellung geherrscht, daß weder eine klare
Uebersicht über das Ganze noch eine ruhige Einsicht in
die Einzelheiten möglich war. Ja, selbst in diesem Augen-
blick wird noch hin und wieder gepackt und gehämmert
und arrangirt, so daß das Gefühl der Verwirrung eine
Unruhe erzeugt, die jede Sammlung des Blicks, jede Koncen-
tration der Aufmerksamkeit auf ein Objekt verhindert. Ucber-
dics gestehe ich aufrichtig, daß mir diese ganze Ausstellung
— so prachtvoll, durch Glanz erdrückend sie ist und viel-
leicht gerade weil sie es ist — auf's Höchste mißfällt. Was
ist, wenn man genau zusieht, der Zweck des Ganze»?
Ein durchaus spekulationsmäßiger. Das wäre sehr gut, wenn
cs sich bei einer großen „Weltausstellung" blos um indu-
strielle Konkurrenz handelte. Aber hier, wo die Kunst auch
vertreten sein soll — gerade wie es bei fürstlichen Höfen früher
zu den obligatorischen Dingen gehörte, daß sie auch ihr „Bern-
steinkabinet" und jetzt bei reichen Banquiers, daß sie ihre
„Galerie" besitzen — macht cs einen widerwärtigen Eindruck,
daß man bei aller dieser Etalage den Geldbeutel klingeln
hört. Ein Jahrniarkt im Großen: das ist das Ganze.
Von Genuß im höheren Sinne des Worts, von ideellen
Zwecken, von einem edlen Wetteifer um höheren Ruhm
ist keine Rede. Ungefähr wie reiche Emporkömmlinge ihre
Salons mit den theuerste» und prachtvollsten Dingen über-
laden, weil sie dadurch den wahren Aristokraten nachzu-
ahmen glauben, während gerade jene geschmacklose Ueber-
ladung die edle, aber gediegene Einfachheit der wirklichen
Noblesse um so entschiedener in's sticht stellt und das Einzige,
was jene Parvenüs erreichen, nur der erhöhte Anspruch
auf Lächerlichkeit ist: so macht auch diese „Weltausstellung"
einen solchen miserablen, geschmacklosen Eindruck parvenu-
artiger Ueberladung, namentlich in der Zusammenwürfelung
der allerheterogensten Dinge. Die Kunst kommt doppelt
schlecht dabei weg, denn sie spielt hier nur die Rolle einer
vornehmen Dekoration für den Palast des Alleinherrschers
„Industrie". Ich bin überzeugt, daß — wenn die Künstler
dieses Resultat vorausgesehen hätten — sie wahrscheinlich
(natürlich mit Ausnahme der Engländer) gar nichts zurAus-
stellung geschickt hätten. Und merkwürig. Als ob die Deut-
schen, dieses — Gottlob! — noch nickt ganz dem Moloch
moderner Spekulationswnth anheiingefallne Volk, so etwas
geahnt hatten: die deutsche Kunst ist sowohl dem Umfang
wie der Bedeutung nach verhältnißmäßig am allerdürftigsten
vertreten. Biel mag zu dieser Antipathie auch der Umstand
beigetragen haben, daß die Engländer von vorn herein
für ihre Kunst einen Raum beanspruchten, der so groß
war, wie der allen übrigen Nationen zusammen znge-
messene, woraus sich klar genug ergab, daß diese ganze
Spekulation darauf berechnet war, der englischen Industrie
und Kunst durch die anderen Nationen einen bequemen
Thron zu bauen.

Die deutsche Kunstgenoffenschaft hatte, wie Ihnen be-
kannt sein wird, die Absicht, die Kunst in ihrer historischen
Kontinuität durch eine Auswahl der hervorragendsten Werke
aller Schulen dieses Jahrhunderts, zu repräsentiren —
wie cs ja die Engländer für sich ermöglicht haben. —
Dieser Plan, der allein für eine solche „Weltausstellung",

wenn sie diesem Namen wirklich entspräche, einen Sinn
gehabt hätte, siel nun von vorn herein in sich zusammen,
da cs an Raum fehlte. Am besten wäre es nun meines
Erachtens gewesen, wenn die deutsche Knnstgenossenschaft,
sobald sie einmal die Unmöglichkeit diesen Plan zu ver-
wirklichen erkannt hatte, sich lieber ganz davon zurückge-
zogen hätte, da ihr Verharren dabei der deutschen Äb-
theilnng wenigstens nominell immer das Gepräge einer
Repräsentation ver deutschen Kunst verleihen mußte. Hätte
sie sich von der ganzen Ausstellung zurückgezogen und, dies
öffentlich erklärend, den einzelnen Künstlern anheimgegeben,
ob sie die Ausstellung beschicken wollten oder nicht, dann
wäre es jedenfalls für de» deutschen Ruhm zuträglicher ge-
wesen. So aber haben wir — was man jetzt auch sagen
mag — eine Schlappe erlitten, und das schadenfrohe Lä-
cheln und vornehme Naserümpfen der französische Kritiker
spricht in dieser Beziehung deutlich genug.

Aber selbst wenn der deutschen Kunst zu ihrer geneti-
schen Repräsentier! hinlänglicher Raum angewiesen worden
wäre, so würbe sie doch immer im Nachtheil geblieben sein.
Denn die Werke, worin sich der Genius der deutschen Kunst
von jeher am tiefsten und bedeutsamsten offenbart hat, sind
nicht transportabel, ebensowenig wie die Denkmäler der
Baukunst, welche sie schmücken, denn sie gehören zur Wand-
malerei. Zwar haben wir hier einige Cartons von Cor-
nelius und anderer Meistern der großen Historie, aber
einestheils ist die prunkhafte Weltausstellung am allerwe-
nigstens der Ort, um sie in ihrer einfachen Größe zu
würdigen, andrereits gewähren sie doch immerhin nur ein
schwaches Bild von den ausgeführten Gemälden selbst. —
Ich müßte mich sehr irren, oder der sich Allen, die nicht
ganz und gar das Gefühl für die Würde und Größe
der Kunst verloren haben, unabweisbar aufdrängende
Eindruck der ganz schiefen Stellung, in welche die Kunst
auf diesem spekulationsmäßigen Weltmarkt und noch da-
zu als bloßes dekoratives Anhängsel der Industrie ge-
bracht worden ist, wird den Ausstellern — wenigstens den
deutschen gewiß — die Sache auf lange verleiden und
sie vorsichtiger machen gegen die Theilnahme an solchem
englischen Wettrennen.

Ich kann daher nicht leugnen, daß ich mich dem von Ihnen
ewordenen Auftrag der Berichterstattung nur mit Widerstre-
cn unterzogen habe; schon deshalb, weil für eine organisch zu
Werke gehende Kritik bei der vorhandenen Gestalt der Aus-
stellting weder ein klarer Standpunkt noch ein principieller
Maaßstab gefunden werden kann. Denn da diese „Weltaus-
stellung", wenigstensaufdem Gebiete der Kunst, ihrem Namen
aus Mangel gleichartiger Bedingungen für die konkurriren-
den Nationalitäten nid)t entspricht und sie andrerseits —
wenn nicht als „Weltausstellung" — gar keine Bedeutung
hat als höchstens die eines Waarenmarktes, so weiß wahr-
haftig ein ehrlicher Kritiker gar nicht, warum er überhaupt
darüber reden soll und an welchem.Ende — wenn er sich
nun doch entschließen soll — er die Sache anzupacken hat.
Daß sich viel Interessantes hier findet, wer wollte das
leugnen; namentlich sind die Engländer einmal mit allen
ihren Kräften hervorgetreten und bilden eine geschlossene
Phalanx, welcke die Entwickelung der englischen Malerei
bis über ein Jahrhundert hinaus Schritt für Schritt über-
sehen läßt. Die Franzosen und Belgier haben — schon der
Raumersparniß halber — sich mehr beschränkt, sind aber eben-
falls recht gut repräsentirt, die Deutschen lückenhaft und ans
der Gegenwart unbedeutend. , Wollte ich min blos unsere
Landsleute berücksichtigen und etwa mein Thema dahin for-
muliren, daß ich „über die Vertretung der deutschen Kunst
ans der Londoner Weltausstellung" referirte, so würde
schon in diesem Titel eine Unwahrheit enthalten sein, da
in der That gar keine Vertretung stattsindet. Andererseits
darf die Thatsache nicht ignorirt werden, daß uns die Eng-
länder einmal Gelegenheit gegeben haben, sie in ihrer
künstlerischenProduklionsfähigkeit gründlich kennen zu lernen,
und diese Gelegenheit legt dem ehrlichen deutschen Kritiker,
 
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