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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0207

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191

Kunst-Literatur und Albuin.

I. KuiMiteratur.

Aesthctik. — Geschichte. — Technik.

Statistik der deutschen Kunst des Mittelalters und des
16. Jahrhunderts. Kunst-Topographie Deutschlands.
Ein Haus- und Reise-Handbuch für Künstler, Ge-
lehrten und Freunde unsrer alten Kunst mit specieller
Angabe der Literatur. Von Di-. Wilhelm Lotz.
Kassel, Theod. Fischer. 1862. 1. und 2. Lieferung
k 8 Bogen. Gr. 8.

* Der unseres Wissens bisher nur durch kleinere Aufsätze über
einzelne Kirchenbauten des M. A. (Walkenried, Hersfeld) bekannte
Vers, tritt hier mit einem Werke auf, das, eine Reihe von Jah-
ren vorbereitet und allmählig zu immer größerer Vollkommenheit
gediehen, von dem unsichtigsten Forschen, dem unermüdlichsten
Feiße und dem besonnensten Urtheile em glänzendes Zeugmß ab-
legt. An einem solchen Werke, das alle m den deutschen Landen
vorhandenen, der deutschen Kunst angehörenden Schöpfungen zu-
sammenstellt und mit einer kurzen Würdigung und Beurtheilung
begleitet, fehlte es uns wahrscheinlich deshalb gänzlich, weil die
Wenigen, welche dazu geeignet sind, nicht allein vor der unend-
lichen'Mühe, das bereits Erforschte zusammen zu tragen, zurück-
schraken, sondern auch, weil sie sahen, daß jedes Jahr, wenn auch
nicht ganze Gegenden und Provinzen neu bebaut werden,^doch
wenigstens stets eine Reihe von neuen Forschungen und Resul-
taten über einzelne Kunstwerke ans Licht treten, daß also, um
irgendwie Vollständigkeit zu erzielen, viele Reisen zu machen wa-
ren, deren Kosten hiebei wohl in Betracht kamen. Diese Schwie-
rigkeiten hat, so viel sich aus den beiden vorliegenden Lieferungen
ersehen läßt, der Verfasser mit großem Eifer überwunden. Mithin
haben wir eine solche Arbeit, in der uns die Früchte der bereits
bebauten, und die der bisher unbebauten Felder geboten werden,
freudig willkommen zu heißen, zumal wenn sie mit solcher Sach-
kenntniß und einer so 'weitgreifenden Bereicherung des bisher
bekannten Materials auftritt.

Nachdem der Vers, im Vorwort mit besonderer Rücksicht auf
die den Forschungen ferner Stcbenden und die Anfänger die Verhält-
nisse besprochen hat, welche bei der Datirung eines Kunstwerks
und namentlich der Kirchen zu berücksichtigen sind, giebt er (S.
1—28) einen einleitenden „Ueberblick über die Geschichte der deut
schen Kunst im M. A. und im 16. Jahrhundert", den er mit einem
Vcrzeichniß der „Schriften und Bilderwerke über Geschichte und
Denkmäler der mittelalterlichen Kunst" beginnt. Es enthält manche
selbst dem Sachkundigen selten zu Gesicht kommende Werke, ist
aber so kurz andentend, daß es seinen Werth erst erhalten wird,
wenn es, wie der Vers, verspricht, die vollständigen Titel im
„Berzeichniß der Literatur" bringen wird. Dies letztere, das wahr-
scheinlich erst in der letzten Lieferung erfolgen wird, hätte unseres
Erachtens besser schon jetzt gegeben werden sollen. Was dann
mittlerweile während des Erscheinens dieser „Kunsttopographie"
publicirt wird, hätte als Nachtrag auftreteu können. In jenem
sehr verständlich und übersichtlich gehaltenen „Ueberblick", worin
natürlich bei jeder neuen Stilform eine Menge konkreter Beispiele
angeführt werden, macht der Vers, nach Kualer's Vorgang die
Unterscheidung „Baukunst" und „bildende Künste", so daß der
letztere Ausdruck die Plastik und die Malerei umfaßt. Ob aber
der Ausdruck „bildende Künste" diejenigen bezeichnet, welche Bilder
darstellen (in welchem Falle Kugler Recht hat), oder ob nicht viel-
mehr alle drei Künste des Raumes darunter zu verstehen sind,
möchte kaum zweifelhaft sein.

Aus den zum Verständniß der Einrichtung und Anordnung
des Buches, der Ausdrücke, der Abkürzungen, der Citate u. s. w.
nothwendigen „Vorbemerkungen" (S. 27—29) ersehen wir, daß
der Vers, bei jedem Orte, deren Rheihenfolge die alphabetische
ist, zunächst die Kirchen in alphabetischer, nichr in chronologischer
Folge bespricht (was wegen der unendlichen Verschiedenheit der
Bauzeiten und der oft vorhandenen Schwierigkeit der Zeitstelluug
auch wohl nothwendig war) und daß die an und in ihnen vor-
handenen Bildwerke, sodann die Gemälde, die Webereien, Stik-
kereien und Glasmalereien möglichst chronologisch folgen. Daß
er Glocken, Grabsteine mit bloßen Wappen und Inschriften aus-
schließt, ist natürlich, da sie fast nie dem Gebiete der Kunst an-
gehören; daß er aber die Miniatur ebenfalls ausschließt, ist uns

unbegreiflich, da doch bekanntlich vorzugsweise aus ihnen mehrere
Jahrhunderte hindurch der Entwickclungsgang der Malerei er-
sichtlich ist. Was würden wir sagen, wenn Kugler, Schn aase,
Förster und Waagen (in seiner neusten „Geschichte der deut
schen und niederländischen Malerei") die Miniaturen ausgeschlossen
hätten? Lag der Grund dieser Ausschließung etwa in der Man-
gelhaftigkeit der Vorarbeiten, oder in der schwierigeren Zugäng-
lichkeit der Handschriften, oder etwa darin, daß der Vers, die
Miniaturen als zu wenig maaßgebend und bedeutend für die
Geschichte der Malerei ansah? Letzteres ist doch nicht glaublich.
Nach den Kirchen läßt er sodann 'jedesmal die weltlichen Ge-
bäude und Kunstanstalten folgen. Daß er die den Privatbesitz
angehörenden beweglichen Gegenstände ausgeschlossen hat, weil
sie häufigem Ortswechsel unterworfen sind, ist zu billigen, aber
auch zu bedauern, da manche mittelalterlichen Schätze besonders
der Malerei sich in Privathänden befinden.

Was den geographischen Umfang des Stoffes anlangt, so hat
der Vers, die Grenzen von Deutschland sehr weit gezogen und
Belgien und Holland, Holstein und Schleswig, die russisch-deut-
schen Ostsceproviuzcu, Lothringen, die Schweiz, Ungarn und Sie-
benbürgen mit hineingezogen, und zwar so, daß er, wahrscheinlich
wegen der größeren Handlichkeit des Buches auf Reisen, dasselbe
in Nord- und Süddeutschland trennt, wobei als Nordgrenze des
letzteren Lothringen, Bayern, Rheinhessen, Böhmen, Mähren und
Ungarn angenommen ist. Der erste Band beginnt demnach mit
Norddeutschland und zwar rein zufällig mit derjenigen Stadt,
welche als die Wiege der deutschen Kultur und insbesondere
der Kunst anzusehen ist, mit Aachen. Ganz praktisch ist es, daß
bei den größeren Städten die Ortschaften ihrer Umgebung bis
etwa 5 M. Entfernung genannt werden, damit der in die größeren
Städte von selber Kommende darauf hingewiesen wird, welche
kleinere Oerter in der Umgegend wenigstens besuchen könnte,
wenn auch nicht grade müßte. Hiebei drängt sich uns die Frage
auf, die dem Vers, ebenfalls nahe getreten sein mag, ob es wohl
praktisch gewesen wäre, diejenigen Kunstgegenstände, welche ais
Werke ersten Ranges oder großer kunsthistorischer oder gegen-
ständlicher Bedeutung besondere Beachtung verdienen, irgendwie
durch den Druck oder ein sonstiges Zeichen hervorzuheben und
in dieser Hervorhebung gewisse Abstufungen zu machen, wie etwa
Förster in seinem „Italien" oder Schaeser in dem ausführ-
licher Katalog der Dresdener Galerie. Der Gedanke mag viel
für sich haben und Manchem Plausibel erscheinen, öffnet aber doch
der Subjektivität Thor und Thür und greift dem Urtheil der
Beschauer vor. Im Allgemeinen wird der aufmerksame Leser-
leicht herausfinden, daß das Wichtigere vom Vers., der mit sei-
nem Raum wohl sparsam sein mußte, ausführlicher behandelt,
das Unbedeutender- dagegen nur namhaft gemacht ist.

Daß wir bei dem vorliegenden unendlichen Reichthum an
Material eine Menge kleiner Zusätze, theils im Stoffe, theils
in der Literatur, hin und wieder auch Einwendungen zu machen
hätten, daß andererseits Manches, was nur auf Spccial-Topv-
praphie beruht, deren kunsthistorisches Verständniß fern liegt, später
wohl eine Berichtigung erfahren wird, ist sehr natürlich. Dage-
gen enthält unser Werk aber auch eine Menge von Oertern, deren
Kunstwerke hier zum ersten Male, gestützt aus sachverständige Pri-
vatnotizen, Erwähnung finden, so daß der Reichthum an Oertern
und Denkmälern bewundernswürdig groß ist; cs sind in den bei-
den bis jetzt vorhandenen Lieferungen, die kaum bis zur Mitte
des ersten Bandes reichen, bereits mehr als 800 Oerter mit
ihren Kunstwerken nahmhaft gemacht. Bedenkt man nun, daß,
wie der Augenschein lehrt, der Vers, überall mit größter Gewis-
senhaftigkeit und Genauigkeit zu Werke ging, daß er eine unend-
liche Menge von gedruckten Schriften,^ Abbildungen, kürzeren und
ausführlicheren Privatnotizcn und Briefen zu cxcerpiren, zum
Theil auch zu überarbeiten hatte, so muß man Angesichts solcher
Resultate dem unermüdliche» Vers, dem wärmsten Dank zollen, ihm
aber auch wünschen, daß seine unendliche Mühe durch Einsendung
von Ergänzungen und sachkundigen Berichtigungen vergolten wer-
den möge. Denn daß ein derartiges Werk nicht auf' den ersten,
wenn auch noch so besonnenen und vorsichtig gethanen Wurf voll
kommen sein kann, weiß Niemand besser als der Vers, selbst. —
Der verhältnißmäßig niedrige Preis des Buches, dem wir nur
besseres Papier gewünscht hätten, wird sicherlich sehr zu seiner
Verbreitung beitragen.
 
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