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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0282

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266

Ernst und Sammlung an seine Aufgabe geht. Sieme-
ring hat sich, wie schon früher bemerkt, an den bekannten
„Nachruf Göthe's an den Heimgegangenen Freund" angelehnt.
Die Figuren zu den Füßen des Dichters sollen die sitt-
liche Freiheit, zu deren Erstrebung der Dichter mahnt,
und die Wahrheit, die ihm das Endziel menschlicher Ent-
wicklung war, — Beides die Träger seines Genius — Per-
son! sicirt darstellen.— Die Reliefs, realistische Darstel-
lungen seiner verschiedenen Dichtungen enthaltend, zeigen;
1) „Die Glocke," der Meister versammelt die Gesellen; 2)
„Tell's Abschied von den Seinen;" Tell und Geßler; die
Rütli-Scene; 3) Die Kraniche des Jbicus;" 4) „Wallenstein;"
die Kapuzinerprcdigt; Trennung des Max; Seni verkündet
Wallensteins Tod. — Dieses Modell verdient unserer An-
sicht nach entschieden den zweiten Preis, der ihm nur durch
die Arbeit A. W o lf s'S streitig geiuacht werden könnte. Das
Modell des Letzteren ist voll plastischer Ruhe und Abge-
schlossenheit in sich, ohne daß diese jedoch dem Beschauer ge-
genüber in Indifferenz ausartete. Es liegt unverkennbare
Klarheit, Kraft und Würde darin, nichts Deklamatorisches,
wiewohl ein gewisses allgemeines Pathos, das jedoch mehr
den pathetischen Menschen als den leidenschaftlichen Dich-
ter zur Erscheinung bringt. In Summa macht sie einen
wohlthuenden und ansprechenden Eindruck von Einfachheit
und verräth viel plastische Empfindung.

A. Wolfs hat, wie schon früher benierkt, bei der Kon-
ccption seiner Statuen jene bekannte Gewohnheit des gro-
ßen Dichters vor Augen gehabt, mit einem Schreibtäfelchen
in-der Hand ein Garten aus und niedergehen, „wobei er,
von Zeit zu Zeit stillstehend, Notizen gemacht und wohl
bald gen Himmel, bald zu Boden geblickt habe." — „So
wenig" — setzt der Künstler mit den: richtigen Gefühl von
dem Mangel an charakteristischer Bedeutung dieser „Ge-
wohnheit", die auch andern, unbedeutenden Leuten anhaften
kann, hinzu — „so wenig eine einzelne Situation oder Ge-
wohnheit eines Menschen an sich in einer plastischen Darstel-
lung vergegenwärtigt werden soll, so ist dieselbe zur Grund-
lage einer Statue doch dann vollkomnien berechtigt, wenn sie
in höherer Bedeutsamkeit den ganzen Menschen mit
seinen hauptsächlichsten Beziehungen in das Licht setzt".
— Aber eben diese „höhere Bedeutsamkeit" fehlt dem Motiv
an sich und könnte nur ans sehr gezwungene Weise hinein-
symbolisirt werden. Die folgenden Worte geben davon
Zeugniß: „Das zufällige Ausblicken deutet so natürlich (?)
das Streben Schiller's an, die Ideale der Dinge der nack-
ten und oft gemeinen Wirklichkeit gegenüber zu stellen.
Und gerade diese Idealität ist charakteristisch für die ganze
Person des Dichters, denn sie wurzelt gleich sehr in der
pathetischen Organisation seines Geistes, wie in der edlen
Gefühlsreinheit, welche alles Häßliche weit von sich ver-
bannt. Eben diese'Idealität erklärt es, daß der sanfte
und liebevolle Mensch gegen gewisse Dinge oder Bestre-
bungen mit der schroffen Energie eines gereizten Herzens
anftrat. Ans diesen Gründen ist Schiller dargestellt,
wie er, ruhig dahinwandelnd, eben zu einer Notiz sinnend
gen Himmel blickt." Das ist ganz schön, aber doch ge-
zwungen und darum ohne Unmittelbarkeit in der künstle-
rischen Wirkung. Warum denn auch zu solchen unbedeu-
tenden Motivchen seine Zuflucht nehmen und, daran an-
knüpfend, etwas dem ganz entfernt stehendes Bedeutendes
ausdrücken woll? — Ist denn ein realer Vorgang, eine zufäl-
lige „Gewohnheit" für eine Statue durchaus nothwendig zur
konkreten Gestaltung der idealen Persönlichkeit? Ja, wenn
cs sich um ein Genregemälde oder selbst um ein Relief
am Postament handelte! Aber für die Hauptfigur hat
dergleichen gar keine Bedeutung und stört nur, de» Künst-
ler sowohl wie den Beschauer. In der That aber würden
wir in dem Wolff'schcn „Schiller" eine Anspielung auf jene
„Gewohnheit" auch gar nicht herausfühlen, wenn uns der
Künstler nicht selbst darauf mit ausdrücklichen Worten hin-
wiese. Denn die Figur seines Schiller hat nichts Zufäl-
liges, Genrehaftes, sondern steht in plastischer Abrundung

und energischen Ausdrucks da. Sie besitzt in der That
eine hohe Noblesse. Vielleicht mag jene Tendenz auf das
Spazierengehen und zum Himmelblicken den Künstler den-
noch etwas beirrt haben; er hätte ihn sonst vielleicht noch
ruhiger, in sich gehaltener, nicht — wie er hier erscheint
— mehr als Rhetor, dann als begeisterter Dichter aufge-
faßt. Das „Dichten" nämlich hätte nicht als äußerli-
ches, d. h. als Ausschreiben eines poetischen Gedankens,
sondern als innerliches, als ein tiefeö Verscnktsein-in-
sich, wie bei Arnold, aufgefaßt werden müssen: als eine
Abstraktion allerdings von der realen Umgebung, aber
nicht in der Form eines Hinwendens zum Himmel außer
ihm, sondern als die eines Hineinwendens zu dem Him-
mel in ihm. —

Diese Koncentration nach dem Innen, die für Schiller
so eminent charakteristisch ist, und die in der sinnenden
Haltung und dem sinnigen Ausdruck des Arnold'schen
Schiller so meisterhaft zur Erscheinung gelangt, gewährt auch
noch für die statuarische Wirkung des Denkmals einen ganz
besondern Vortheil, nemlich den des vollen Anblicks
der Züge. Während man bei allen übrigen Statuen nur
wenig von dem Gesicht würde sehen können, da durch die
Erhebung des Kopfes eine zu starke Verkürzung der Ge-
sichtSfläche bewirkt werden muß (bei Begas würde man
nur die Unterflächc des Kinns oder höchstens noch die
Nasenlöcher sehen können, man müßte denn in so weite
Entfernung zurücktreten, daß man eben gar nichts mehr
von den Gesichtszügen unterscheiden könnte), wird Arnvld's
Schiller gerade durch die Senkung des Kopfes vollkommen
bis in die kleinsten Nuancen des Ausdrucks erkannt werden
können; und dies ist nicht der geringste unter den Vorzügen
dieses schönen.Modells.

Von besonderer Schönheit — und in dieser Beziehung
überragt die Wolff'sche Skizze nicht nur die andern, selbst
Hageu's und Siemering's, sondern auch Arnvld's be-
deutend — ist das Postament des Wolff'schcn Modells.
Wir sprechen jedoch hier vorläufig nur von der Form im
Allgemeinen, die in ihrer Hanptgcstalt eine Art vierseiti-
gen, etwas ausgeschweiften antiken Altars darstellt, was
ebenso originell wie architektonisch schön ist. Mit dem In-
halt der Kompositionen dagegen, so trefflich sic als solche
sind, können wir uns nicht ganz einverstanden erklären.
Auch hier ist der Künstler mit feinem Instinkt auf ganz-
richtigem Wege. Er sagt:

' „Kam es bei der Statue auf eine Vereinigung der
verschiedenen Eigenschaften in ein") Moment an, so hat das
Postament mit seinen Reliefs in einzelnen Bildern die
Hauptri chtungen und die H a u p t m omente in Schil-
ler's innerem Leben besonders darzustellen." — Vor-
trefflich gedacht; aber ist Schillers äußeres Leben so leer
au charakteristischen Scenen oder so wenig Ansdruck seines
innern Lebens, daß der Künstler — um das letztere zur
Anschauung zu bringen — zu einer weithergeholten, dem
Volke ganz unverständlichen Symbolik zu greifen gezwun-
gen war, einer Symbolik besonders, deren Anschauungen
einer dem nationalen Geist fremden Kulturentwicklung an-
gehören? „Darnach" — sagt der Künstler zwar, aber die
Nothwendigkeit dieses „Darnach" will uns keineswegs
einleuchtcn — „darnach ergiebt sich für die 4 Reliefs fol-
gende Gedankenreihe: das einzige und letzte Ziel aller
Bestrebungen Schiller's ist die Veredelung und innere
Durchdringung aller menschlichen Dinge. Zur Erreichung
dieses Zieles lebt in Schiller das Streben, die.Welt und
seine Mitmenschen aufzuklären und das geistige Dunkel zu
zerstreuen. Für die Erreichung dieses Zieles hat er auf
sich genommen und erduldet alle Noth einer äußerlich be-
drängten Lage und alle Qualen des nagenden Zweifels
an eigener Kraft. Aber durch alle Schmerzen und Hin-
dernisse ist er siegreich dnrchgedrungen zur Vollendung sei-
nes Geistes." *)

*) Soll wohl heißen „einen Moment.

D. R.
 
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