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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0286

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nicht zur Beurtheilung eines Werkes, die besonder» —
sei es fördernden, sei es hindernden — Umstände in
Rechnung zu bringen, welche bei der Ausführung desselben
obwalteten, die Beschränkungen z. B., welche dem Künstler
durch den Besteller auferlegt wurden, die Vor- oder Nach-
theile der persönlichen Stellung, ja selbst — wo man es nur
immer in Erfahrung bringen könnte! — die Gcfühlsstim-
mung des Künstlers selbst, welche zum großen Theil durch
mancherlei seiner Aufgabe ganz fremde Einflüsse bedingt
wird? Fließt von allem Diesem nicht ein großer Theil in
das Werk selbst über, trägt es demnach nicht die Spuren
dieser persönlichen Umstände, und ist es als Werk ohne
diese richtig zu würdigen? Wir sagen zu würdigen, nicht
„zu verstehen". Verstehen kann man das Werk wohl, aber
cs würdigen, d. h. seinem relativen Werth nach, als Werk
dieses Künstlers, schätzen: das vermag man eigentlich
nur durch eine genaue Kenntnis; der Geschichte seines Ent-
stehens. Diese kunstgeschichtliche, genetische Kritik eines
Werkes, aus welche bei der Würdigung der alten Meister-
werke mit Recht ein so großer Werth gelegt wird — sollte
sie bei Schöpfungen der modernen Kunst unnöthig sein?
Wollen wir warten mit der richtigen, persönlichen Wür-
digung des Werkes, bis den Künstler erst die kühle Erde
deckt?

Der Ansicht sind wir nicht. Zwar ist cs schwierig,
ja in manchen Fällen gradezu unmöglich, jedes Werk sei-
ner Genesis nach — wie wir der Kürze halber die durch
alle äußeren und persönlichen Umstände bedingte Entste-
hung eines Werkes nennen wollen — zu beurtheilcn, weil
in den seltensten Fällen dem Kritiker eine so genaue Kennt-
niß zu Gebote steht und sich die Künstler oft aus falschem
Stolz einer solchen Verständigung nur zu leicht verschlie-
ßen : wo er sie aber besitzt, ist er unsrer Ansicht nach ver-
pflichtet, ihr Rechnung zu tragen.

Aber auch noch von einem andern Gesichtspunkte hat
es die Kritik bei der Beurtheilung eines Werkes mit dem
Künstler selbst als Person zu thuu. Handelte cs sich nur
um das Werk selbst und seinen relativen Kunstwerth, so
wäre ja der Name des Künstlers ganz überflüssig, ja cs dürfte
sogar, wie bei Konkurrenzen, von Vortheil für die Partei-
losigkeit des Urlhcils sein, denselben zu verschweigen. Aber
glaubt man, daß der Name überhaupt nur hinzugefügt
werde, um dem Publikum aus äußerlichen Gründen von
dem Verfasser des betreffenden Werkes Kenntniß zu
geben?

Nein, die Kenntniß der Person ist nothwendig, weil
die gerechte Würdigung eines Werkes wesentlich abhängig
ist nicht nur von der Richtung des Künstlers im Allge-
meinen, sondern auch von dem künstlerischen Standpunkt,
zu dem er sich durch Schule, Studium und Talent auf-
geschwungen, ja von der besonderen Neigung in Betreff
der Wahl der Motive, der Auffassungsweise, der Behand-
lung u. s. f. Wäre diese Rücksichtsnahmc auf die persön-
liche Lage und Neigung des Künstlers nicht eine Noth-
wendigkcit, so wäre es bei der Beurtheilung eines Werkes
ja ganz gleichgültig, ob es von einem alten reuommirten

Meister oder von einem angehenden, vielleicht eben die
Malklasse der Akademie verlassenden Künstler herrührte.
Dasselbe Werk kann aber von dem letzteren Standpunkt
großer Anerkennung werth sein, während es für einen
Meister wenig bedeuten, ja vielleicht einen Rückschritt do-
kumentiren könnte.

Lob und Tadel ist also etwas Relatives, Sekundäres,
die Hauptsache und wahre Aufgabe einer ernsthaften
Kritik besteht nicht im Loben und Tadeln — sondern
in der sachgemäßen, alle jene besonderen Momente der
Genesis eines Kunstwerks berücksichtigenden Charakteri-
sirnng seines Inhalts und seiner Form, d. h.
seines gedanklichen Stoffs und der Art, wie er gestaltet
und zur künstlerischen Erscheinung gebracht ist.

Dies ist nun unser Standpunkt, von dem aus wir die
Ausstellung betrachten werden. Darauf freilich sind wir, durch
Erfahrung belehrt, von vorn herein gefaßt, daß wir es nicht
Allen, ja nur einem großen Theil recht machen werden. Denn
jeder Künstler sieht durch die Brille seiner besonderen An-
schauungsweise und betrachtet dadurch nicht blos seine und die
Werke anderer Künstler, sondern auch die Berurtheilung der-
selben. Wir könnten merkwürdige Beispiele anführen von Fäl-
len, wo wir wegen einer und derselben Kritik von einem
Künstler den Vorwurf der Härte erfuhren, während ein An-
derer daran die allzugroße Nachsicht, ja gradezu Partei-
lichkeit tadelte. Es giebt zwar unter den „Recenseuten"
Equilibristen von Profession, die nicht nur den Mantel,
sondern auch ihre Ueberzeugung auf beiden Schultern
tragen können, oder die aus Furcht, irgendwo eine em-
pfindliche Stelle zu verletzen, lieber uin den heißen Brei
herumgehen, als sich die Finger daran verbrennen: aber
wir glauben, daß diese Art zu kritisiren eine unwürdige
ist, und zwar grade deshalb, weil sie die Person und de-
ren kleinliche Schwächen über die Sache der Kunst und
den Ernst der Wissenschaft — denn die Kritik ist eine
Wissenschaft — stellt. Und schließlich machen es diese
weichen Seelen doch Niemandem recht — denn wie im
öffentlichen Leben, so ist auch in der Kritik die beste Po-
litik — die Wahrheit. —

Wir können diese Bemerkungen über unsere kritische Stel-
lung nicht schließen, ohne unsere Genugthuung darüber aus-
zusprechen, daß die Akademie endlich der früheren Unordnung
in Betreff des Einhaltens der Anmeldungs-und Einsendungs-
termine sowie des steten Umhängens der Bilder ein Ende
gemacht hat: und wenn wir uns bei dieser Gelegenheit
daran erinnern, daß wir selbst vor mehreren Jahren mit
der Akademie darüber in einen öffentlichen Konflikt geriethcu,
so können wir jetzt unser damaliges Märtyrerthum für die
gute Sache im Hinblick auf den endlichen Sieg derselben
mit Freude verschmerzen. Die Besorgniß, eine strenge Ein-
haltung der akademischen Bestimmungen werde, da die Künst-
ler an deren Nichtberücksichtigung gewöhnt seien, die Aus-
stellung unmöglich oder doch sehr ärmlich machen, hat sich
nicht bestätigt, da, wie wir hören, zahlreiche und vortreff-
liche Werke unserer bedeutendsten Meister — und von allen
sehr pünktlich — eingegangen sind. M. Sr.
 
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