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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0327

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311

+ Weimar, Anfang September. (Ausstellung im
Loogensaale. Fortsetz.) H. Wislicenus, von dessen
jüngster Thätigkeit auf dem Gebiete monumental-religiöser
Malerei ick) Ihnen neulich zu berichten Gelegenheit fand,
ist durch zwei Werke gleichfalls jüngeren Datums vertreten.
Des einem, einer „Caritas" in Oel, ist, wenn ich nicht irre,
bereits in diesen Blättern Erwähnung geschehn. Der
Künstler hat sich von je mit Vorliebe und besonderem
Glücke in derartigen, im höheren Wortsinn symbolischen
Darstellungen bewegt und einen wahrhaft bedeutenden Ge-
halt, eine tiefe und seelenvollc Empfindung hineinzulegen
gewußt. Das hier in Rede stehende Bild ist neben einer
sehr glücklichen und sprechenden Komposition auch durch
ein überaus schönes, warmes Kolorit ausgezeichnet. Nur
würden einige der Kinderkörper durch eine etwas schärfere,
klarere Modellirung gewonnen haben. Das andere Werk
(Aquarellzeichnung) ist eine Reihe architektonisch verbunde-
ner Darstellungen, die sich um den antiken Prometheus-
mythus gruppiren und für die Ausschmückung der Loggia
eines Museums gedacht waren. Die beiden Hauptfelder
enthalten die vier Hauptmomente des Mythus: „Beseelung
der Pandora", „Mittheilung des Feuers an die Menschen",
„Leiden des Prometheus, den die Oceaniden beklagen" und
„die Befreiung durch Herakles". Diese beiden Hauptfelder,
in die sich je zwei dieser Darstellungen zusammenordnen,
werden eingeschlossen von drei Nischen, in denen die Par-
zen, Eumeniden und Grazien vorgestellt sind, während
über ihnen die Lünetten „Apollo unter den Hirten" und
„Apollo auf dem Parnaß unter den Musen und Dichtern"
zeigen. In drei Medaillons, für die Decken gedacht, sehen
wir den „Feuerdiebstahl", „Epimetheus mit Pandora, welche
die Büchse öffnet" und „Herakles, welchem Hebe den Nek-
lartrank reicht." Es ist schwierig, in Worten einen Begriff
zu geben von der reichen Anordnung, welche für die An-
schauung leicht und einfach sich selbst erklärt, doch hoffe
ich, daß für den, welcher den Gegenständen näher nachzu-
denken nicht verschmäht, schon aus diesem kurzen Bericht
sich ergeben wird, wie diese mannichfachen Darstellungen
durch einen feinen inneren Bezug zusammengehalten wer-
den, welcher dem Charakter des zum Vorwurf genommenen
Mythus mit seiner tiefsinnigen Symbolik vortrefflich ent-
spricht. Was die künstlerische Gestaltung anlangt, so ist
sie eine nicht minder gelungene. Bei weitem die meisten
Darstellungen sind mit seltenem Glück in die von der
Architektur gebotenen Räume hineinkomponirt und tragen
einen zutreffenden überzeugenden Charakter. Dabei ist die
Zeichnung von außerordentlicher Schönheit und Lebendig-
keit, stilvoll und naturwahr, bis in die Details mit ein-
gehender Liebe gemacht. Das Kolorit ist sehr schlicht, aber
harmonisch und in gutem Ton, doch ist im Interesse des
schönen Werkes gewiß zu wünschen, daß der Künster Muße
und Stimmung gewinne, um die Farbe etwas tiefer zu
stimmen und so mit der sehr ausführlichen Zeichnung in
Harmonie zu setzen. Noch lassen Sie mich einer Reihe Fi-
guren gedenken, welche für die Winkelfelder der Decke ge-
dacht (also bestimmt, sich zu je vier an die drei Medaillons
anzuschließen), die zwölf Monate vorstellen. Sie sind zum
Theil von wirklich überraschend schöner charakteristischer
Erfindung, mit sehr vielem Geschmack den Räumen ange-
paßt, und, besonders vier in größerem Maaßstabe ausge-
führle, von vortrefflicher Zeichnung. (Schluß folgt.)

I London, den 10. September. (Die internatio-
nale Kunstausstellung. VI. Die Holländer.)
Keine Nation ist der Sphäre, worin sich ihre Malerei
seit dem 17. Jahrhundert bewegt, bis auf den heutigen
Tag treuer geblieben, als die Holländer. Das Genre,
die kleine heimische Landschaft, die Thiermalerei, die Ma-
rine, die Interieurs und die Städtebilder, das sind die
Gebiete, auf denen sie noch jetzt größtentheils mit Glück
thätig sind; der Historie und dem Portrait stehen sie bis
auf wenige Ausnahmen (Pienemann, Rochussen)

ziemlich fern. Daraus folgt, daß keine Nation unter dem
Fehler des allzu hohen Aufhängens der Bilder mehr ge-
litten hat, als die Holländer, eben weil ihre Werke fast
nur in den bescheidenen Dimensionen der Kabinetsstücke
auftreten. In der Malerei dieser Kabinetsbilder sind sie
noch immer die würdigen Nachfolger von Mieris und
Netscher, von Ruysdael, Hobbema und Paul
Potter, von Backhuysen und van der Neer. Das
Einzige, worin eine Veränderung bei ihnen vorgegangen,
ist das Gebiet Teniers', Br o uw er's und des geist-
vollen, lustigen Jan Steen: Dies niedere Genre haben
sie in ein höheres, feniereg, unserem Jahrhundert ange-
messeneres verwandelt. Was sie aber auch malen bis auf
den heutigen Tag, es trägt stets das ächt niederländische
Gepräge des Landes wie des Volkes an sich; Nichts ist
bei ihnen von außen her entlehnt.

Wenn Sie mir gestatten, auch bei den Holländern
wenigstens die hervorragendsten Meister und ihre Werke
namhaft zu machen, und zwar ohne die strenge Scheidung
nach den Fächern der Malerei beizubehalten, so beginne
ich mit David Bles, weil er hier in der Ausstellung
das ist, was Madou für Belgien. Er hat Geist und
Witz in seinen Motiven, eine treffende Charakteristik, aber
einige Härten und Eckigkeiten in den Schattcnpartien. Ihn
überragt, namentlich durch ein Gemälde, der Jsraelite
I. Israels, deffen Ruf in Holland noch ziemlich jung
ist. Sein „Schiffbrüchiger" ist ein wahres Meisterstück,
unter den Holländern unbedenklich das poetisch und tech-
nisch bedeutendste Bild. Man sieht eö dem Himmel, dem
Wasser und der Küste an, daß der Sturm erst soeben vor-
über ist. Durch eine unheimliche Dämmerung bewegt sich
landwärts ein Trauerzug von Menschen, an dessen Spitze
die tief erschütterte Mutter schreitet, mit einem Knäblein
an der Hand. Hinter ihr zwei Fischer, die den Leichnam
des verunglückten Gatten und Vaters tragen; andere
Bootsleute und Weiber folgen ihnen. Auf der See er-
blicken wir das gestrandete Boot. Kaum sollte man's
denken, daß das eine „Wäsche am Strande" darstellende
Bild von demselben Meister herrührt, aber man weiß ja,
daß das Talent der Söhne Abrahams gleich dem des
Proteus vielfach gelaunt ist. — Von Herrn, ten Kate,
den man seit einigen Jahren auch auf den norddeutschen
Vereinsausstellungen als einen tüchtigen, geistvollen Kolo-
risten kennt, der seine Vorfahren wohl studirt hat, erwähne
ich nur zwei Bilder (das dritte kam mir nicht zu Gesicht) :
den „Ueberfall" und den „Sonntag-Morgen ans der In-
sel Marken", die in seiner breiten, kräftigen Manier ge-
malt sind, wenn sie auch nicht zu seinen besten gehören. —

Wie den Holländern überhaupt der Idealismus fern
liegt, so auch in ihren Landschaften. Ihre Auffassungs-
wcise ist fast überall eine realistische, ihr Pinsel fast immer
breit und kräftig, ihr Vortrag oft sogar keck und derb.
So sind z. B. die Landschaften von W. Roelofs: „eine
holländische Wiese", „nach dem Regen" und „eine hollän-
dische Landschaft im Regen," von denen einige einen pla-
stischen, nur von fern zu betrachtenden Farbenauftrag ha-
ben. Aehnlich erscheint die Saftigkeit in A. Molling er's
„Landschaft nach dem Regenschauer", die in der Klarheit
der Atmosphäre, in dem durchnäßten Grase und Schilfe
unvergleichlich wahr ist. Eben so frisch und strotzend in
ihrem Grün sind Stortenbeke.'r's „Landschaft mit Vieh",
Weißenbruch's „Landschaft am Leck" und Kuyten-
brouver's großartige Waldpartie, die, schon aus dem
Jahre 1855 Herrührend, einigen französischen Einfluß ver-
rät!). Ein vielversprechendes, vielseitiges Talent für tief-
empfundene Auffassung verräth der noch jugendliche d e
Haas. Während sein Bild „Nach der Ueberschwemmung"
ein landschaftliche Trauerscene vorsührt, erscheint „der junge
Stier an der Fähre" im heitersten Sonnenschein; und
wiederum anders sein drittes Bild, „die Landschaft mit
Bich bei Arnheim," wo die Pinselführung freier und zar-
ter ist. Nicht minder bedeutend in ihrer Art sind des
 
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