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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0390

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nicht mehr befremden kann, auf ihm Griechen des Alter-
thums mit Personen des Mittelalters zusammengestellt
und Heiden, Christen, Juden, Muhamedaner untermischt
zu sehen; wir werden nun auch um so sicherer zur Deu-
tung der Einzelheiten schreiten können.

Insofern die schulmäßige Erlernung der Künste und
Wissenschaften durch Lektüre und Grammatik bedingt ist,
hat die Gruppe, welche sich mit diesen Uebungen beschäf-
tigt, — die sogenannte Leseschule — ihren Platz am wei-
testen links erhalten, und zwar so, daß man von hier ebenso-
wohl nach der oberen wie nach der unteren Region gelangen
kann. Das Buch, welches der Lektüre in der Leseschule
zu Grunde liegt, ist ohne Zweifel der Homer, gleichsam
die Volksbibcl der Griechen und der Inbegriff aller wahren
Weisheit, wie Tcnophou sagt (Symp. 4. 6): 'o"0/utjQog

o cocpiuTttTos nmoir\xE a/edöf -CI0l nüvciov] Iwv «v'ftHociivtüv.

Auch Horaz erkannte den bildenden Einfluß Homers aus
eigener Erfahrung an und suchte in demselben Geiste auf
seine Zeitgenossen zu wirken (Vergl. Epist. I., 2, 1—4).
Was hindert es also, daß wir ihn selbst im Geniälde als
Volksdichter vor uns sehen in dem Momente, wo er, die
Schläfe mit grünem Weinlaub bekränzt (cingentem viridi
tempora pampino, Horat. Carm. III., 25, 20.* *), vom
Bacchus und der Lectüre des Homer begeistert, damit be-
schäftigt ist, im Verein mit römischen Jünglingen, wie
z. B. den Lollicrn und Pisonen, aus dem Homer praktische
Lebensweisheit zu schöpfen, während ein älterer Pädagoge,
etwa Orbilius, kleine Kinder zu demselbeu Zwecke vorbe-
reitet?**)

Nach der Rangordnung, welche sich ans dem Tri-
vium und Quadrivium ergiebt, hätten wir nun der Gram-
matik die Dialektik und Rethorik anzureihen und dann
erst die dem Quadrivium oder der Mathematik zugehörigen
exakten Wissenschaften folgen zu lassen; da indeß die Letz-
teren im Berhältniß zur Philosophie sowohl au sich als auch
auf dem Gemälde einen niedrigeren Standpunkt einnehmen,
so wollen wir schon der Kürze halber diesen Gang ein-
schlagcn, daß wir in dem unteren Felde das Quadrivium
vorweg durchgehen und dann erst zur oberen Reihe auf-
steigen.***)

*) Bergt, die Abhandlung über die Horazischen Oden III,
24, 25, 1—6 und 14 im Programm des Posdamer Gymnasiums
v. I. 1857.

**) Weil Raphael und seine Rathgeber, Bembo, Castiglione
u. A. keine Erklärung des Gemäldes hinterlassen haben, der Be-
schauer desselben also auf sein eigenes Urthcil und ein sorgfältiges
Studium der Geschichte angewiesen ist, so war zu erwarten, daß
die Deutungen im Einzelnen mehrfach auseinander gehen würden.
Und so haben denn auch die kopircndcn Künstler, in Ermangelung
einer zuverlässigen Anweisung, unter Andern: die Person mit
Weinlaub auf den: Kopfe nach dem Gutdünken bald männlich
bald weiblich mehr oder weniger gezeichnet und dadurch wiederum
zu ganz unhaltbaren Erklärungen Anlaß gegeben, daß hier z. B.
Bacchus oder ein Bacchant oder Epikur oder Demokrit zu finden
sei. Ebenso sonderbar ist es, wenn Mengs dem grämlich ern-
sten Grammatistcn den pythagorischen Philosophen Epicharmus
von Cos, welcher in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts vor
Ehr. zu Syrakus Lustspiele dichtete, als Knabenlehrer unterschiebt.

***) Das Trivinm hat cs mit dem Innern, dem Geiste des
Menschen zu thun und geht in seinen Zielen höher als das Quadri-

Wie leicht der Uebergaug vom Lesen zum Rechnen und
Schreiben vermittelt werden könne, zeigt uns die Art, wie
Raphael auf seinem Gemälde die um Pythagoras ver-
sammelte Gruppe mit der Leseschule in Verbindung gesetzt
hat. Während nämlich vier Personen in den verschieden-
sten Lebensaltern mit der Lektüre des Homer beschäftigt
sind, horcht ein zu dieser Gruppe gehöriger, müßig da-
stehender Knabe neugierig auf, was Andere sich über Zahlen
mittheilen. Der tiefer stehende, hinter dem Säulenfuß
hervorblickende Jüngling mit dem klugen Gesichte und der
Helmkappe*) auf dem Kopfes, vermuthlich der zukünftige
Feldherr, Mathematiker und pythagoreische Philosoph Ar-
chytas,**) hat das Exempel, an welchem Pythogoras
noch auf der Tafel rechnet, schon heraus, was er durch
Hervorhebung zweier Finger der Hand andeutet; ein An-
derer hat eine mit einer Lyra bemalte und mit Berhältniß-
zahlen und Kunstausdrücken der Harmonielehre beschriebene
Tafel vor seinen Lehrer zur Beurtheilung hingestellt. Durch
seine Beziehung zu diesen beiden Jünglingen repräsentirt
Pythagoras sowohl die Arithmetik als auch die Harmonie-
lehre. Der hinter Pythagoras stehende, sich für dessen
gelehrte Arbeiten interessirende Araber mag wohl Averroes
sein,***) und der mit gespannter Aufmerksamkeit die Resul-
tate der pythagoreischen Mathematik aufzeichuende Jude
Maimonidas, ein Schüler des Averroes. ft) Nach einer
bei Künstlern beliebten Sitte, sich und andere ihnen theure
Personen der Gegenwart in ihren Werken abzubilden, hat
Raphael auf dem Gemälde unter anderen auch seinen Lan-
desfürsten, den jungen Herzog von Urbino, einen Neffen
des Papstes Julius II., dargestellt. ' Dadurch, das; er ihn
aus dem lebendigen Verkehr mit dem Quadrivium nach dem
Mittelpunkt des Triviums emporstreben läßt, hat er ihm
eine ausgezeichnete Stellung gegeben. Der rechts vom
Herzoge gleichsam unter den Augen desselben auf die Zu-
verlässigkeit seiner Berechnnngen und die Ilebcreinstimmung
mit seinem Vorgänger Pythagoras hinweisende Gelehrte
ist nicht sowohl Tcrpander (620 v. Ehr.), wie Mengs
annimmt, als vielmehr Euklides aus Alexandria, ein

vium. Gegenstand und Mittel seiner Wirksamkeit sind der Ge-
danke, das Wort; als äußeres Zeichen dient ihm dafür der Buch-
stabe, die Schrift. Das Quadrivium ist auf die Außenwelt
angewiesen; es bedarf zu seiner Thätigkeit materielle Mittel, für
die Arithmetik und Musik der Ziffern und Roten zur Bezeichnung
der Zahlen und Töne, für die Geometrie und Astronomie der
Linien, Figuren und Körper und besonderer Instrumente zur
Ausmessung des Raumes und der Entfernungen. Dazu kommen
noch, als außerhalb des Schnlkreises zu betreibende Künste, die
Malerei, Bildhauerei und BaiÄUnst. Aber alle diese Künste be-
greifen in und unter sich die Philosophie, >vie schon Cicero (0r. 1, 3)
sagt: Lrtiniu ownium quasi parous philosophia iwdieatur.

*) Zur Belehrung dient: „Das Leben der Griechen und
Römer nach antiken Bildwerken dargcstellt" von E. Guhl und
W. Koner. 1. Thcil, Seite 258—261.

**) Mengs glaubt die Aspasia hier zu finden; wir wcr-
den sie anderwärts antreffen. Auch Passavant läßt das von Mengs
und Bolpato weiblich gezeichnete Profil, aber als Theano, des
Pythagoras Gemahlin, gelten.

***) Aber nicht Anaxagoras, wie Einige annehmen,
ft) Nicht ohne Inkonsequenz und wohl nur aus Nothbchclf
hat Mengs dem Averroes den Eiupedokles zUgesellt.
 
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