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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 7.1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.13516#0391

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375

Schüler Platon's, genannt der Vater der Mathematik,
unübertroffen in der Strenge seiner Methode, wie er sie
namentlich in seinen „Elementen" (atoi/da) musterhaft
entwickelt hat. Den Mathematiker charakterisirt schon der
Umstand, daß er den einen Fuß, wenn auch nicht ans einen
Würfel, wie in der „Ecole d’Athenes,“ doch auf einen
Stcinblock gesetzt hat. Was Euklid über die Musik ge-
schrieben, gicbt uns den besten Begriff von dem Zustande
dieser Kunst bei den Griechen.

Indem wir noch im Bereich der Mathematik bleiben,
aber im Begriff sind, von der Arithmethik und Musik zu
der Geometrie und Astronomie überzugehen, kommen wir
auf den untersten Vorstufen des Prachtgebäudcs, ziemlich
in der Mitte, doch mehr diesseits, zu einem Manne, der
vor einem mit Schreibmaterial versehenen Steinwürfel
sinnend dasitzt, um seine Entwürfe sofort zu Papier zu
bringen. Man hat ihn für jdeu Stoiker Epiktet ausge-
geben; aber der kann es nicht sein, denn sonst würde er,
zumal als armer Stoiker, baarfllßig erscheinen, wie alle
übrigen Personen mit Ausnahme des Kriegers Alkidiades
und fünf anderer —- vorläufig gesagt, des Herzogs von
Mantua, des Ritters Castiglione, des gekrönten Astrono-
men, des Aristoteles und des florentiuischen Leibarztes
Marsilius Ficinus — die wir noch genauer zu betrachten
Gelegenheit haben werden. Er sitzt ganz vorn, außer
allem Verkehr mit den Philosophen, und kann nicht, wie
Diogenes, für einen ausgemerzten Ultra und Sonderling
seiner Sekte gelten, er hätte vielmehr, als würdiger Stoi-
ker, schon au Zeno seinen Repräsentanten. Er ist voll-
ständig, sogar mit einem Kragen und mit Stulpstiefeln, be-
kleidet, nicht elegant, aber auch nicht ärmlich oder in
affektirter Aermlichkeit, wie ein Stoiker im Philosophen-
mantel (rQ(ßojv)• kurz! er sieht aus wie ein Baumeister.
Da wir nun dem Vitruvius, dem Baumeister des Kaisers
Augustus, ein zwar nicht wegen seines Stils aber wegen
seines Inhalts Jahrhunderte hindurch geschätztes Werk
über die Baukunst verdanke»,*) so könnte derselbe als
Lehrer der Baukunst hier wohl einen Platz erhalten ha-
ben, zumal da Bramante, der Erbauer der Peterskirche,
als praktischer Architekt in anderer Weise auf dem Ge-
mälde zu Ehren gekommen ist. Jndeni wir nämlich der
Tradition folgen, nehmen wir an, daß in der vordersten
Gruppe unten rechts in der Person des Mannes mit dem
Zirkel Bramante als Archimedes figurire, der unstreitig
der ausgezeichnetste Geometer des Alterthums war. Das
bekannte ivgtjxa! tvQijxa! gab dem Maler wohl Veranlassung,
an den vier Personen in der Umgebung des Bramante-
Archimedes stufenweise die erstaunlichen Wirkungen einer
mathematischen Erfindung anschaulich zu machen. Zwei
derselben hat man historisch benannt. Derjenige nämlich,
welcher oberwärts vom Mathematiker mit ausgebreiteten
Händen entzückt auf die Zeichnung hinabschaut, soll der
kunstsinnige Herzog Friedrich II. Gonzaga von Mantua
sein, der andere, welcher zn diesem Fürsten freudig empor-

*) Ein Freund Raphaels, der Maler Caporali, hat den
Vitruv in's Italienische übersetzt (Vergl. Passavant: „Rafael
von Urbiuo n. s. w." I. Theil, Seite XXV.)

blickt, um ihm das glückliche Resultat der Messung zu
zeigen, der Graf Balthasar Castiglione, der, mütterlicher-
seits mit dem Hause Gonzaga verwandt, als sein gebilde-
ter Hoffmann, Ritter und Gesandte an den Höfen von
Mantua und Urbiuo eine glänzende Rolle gespielt hat.
Auf dem Kupferstich von Bolpato und der Kopie im Ra-
phaelsaale erscheint der Herzog in schöner Jünglingsgestalt
mit feinen Gesichtszügen; weniger ist dies der Fall auf
den anderen Abbildungen; aber auf allen macht ihn sein
Wappen am Fuße erkenntlich, gleichwie die Fußbinde und
Sandalen den Ritter Castiglione auszeichnen. *)

Von den beiden Männern mit den Weltkugeln in den
Händen ist der eine unstreitig der alexandrinische Gelehrte
Ptolemäus (geb. 70 n. Ehr.), welcher allgemein als der
erste unter den Astronomen des Alterthums angesehen
wird. Aber schon viertehalb Jahrhunderte vor Ptolemäus
lebte in Alexandrien ein nicht minder berühmter Gelehrter,
Namens Eratosthenes (geb. 275 v. Ehr.), welcher sich um
die mathematische Erdkunde und um die Sternkunde ver-
dient gemacht, den meisten Ruhm aber durch Untersuchun-
gen über die Größe der Erde erlangt hat. Es wäre also
wohl möglich, aus unserem Gemälde diesen Eratosthenes
seinem Landsmann Ptolemäus gegenübergestellt zu sehen,
nur müßten wir dann annehmen, daß der Letztere als ver-
meintlicher Nachkomme aus der Königsfamilie der Ptole-
mäer mit den königlichen Würdezeichcn, als da sind Krone,
Königsmantel und Sandalen bekleidet föäre.**) Die Be-
hauptung, der Mann mit der Krone auf dem Haupte sei
Zoroaster, der Stifter oder Verbesserer der persischen Re-
ligion und Gesetzgeber der Baktrier, scheint uns zu weit
hergeholt und bei dem Mangel an bestiniintere» Nachrich-
ten bedenklich; eher könnte Kaiser Friedrich II., welcher
den Almagast, eine arabische Uebersetzung des ptolemäischen
Weltsystems, in das Lateinische übertragen ließ, dafür
gelten, wenn derselbe nicht wegen seiner Kämpfe mit dem
Papste mit dem Kirchenbann behaftet gewesen wäre. Die
nächsten Ansprüche ans einen Ehrenplatz unter den Astrono-
men hätte König Alphons X. von Castilien (f 1584),
genannt der Weise, auch Titularkaiser von Deutschland,
den Sternkundigen noch jetzt durch seine alphonsinischen
Tafeln bekannt; wenngleich wir bedauern müssen, daß seine
Weisheit sich im Leben nicht besser bewährt hat und seine
wissenschaftlichen Beschäftigungen meist nur auf Stern-
deutung und Alchymie gerichtet waren. (Forts, folgt.)

*) Wenn bei Mengs der bürgerlich gekleidete Astronom den
Namen Castiglione als Unterschrift führt, so ist das ein auffallen-
der Jrrthum. (Vergl. Passavant II., 104.)

**) Im Raphaelsaale ist die Weltkugel in der Hand des
bürgerlich gekleideten Astronomen die größere und niit Sternen
besäet, also eine Himmelskugel, auf der Kugel des Fürsten hin-
gegen fehlen die Sterne und außerdem ist dieselbe als Erdkugel
daran zu erkennen, daß eine breitstreifige krumme Linie quer
über ihre Oberfläche die Erdthcilc der alten Welt von einander
scheidet. Bei Volpato hat der Globus des Bürgerlichen Sterne,
der des Fürsten nicht, aber verschiedene gefärbte Flecke; bei Tho-
massino und Mengs sind auf beiden Kugeln Sterne angedentet.
Auf der Lithographie des Mantuano fehlen diese, aber der Glo-
bus des Fürsten übertrifft den anderen an Größe.

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